Was deutsche Leitmedien wissen: Hier muss was Schönes stehen
An Weihnachten wollen wir endlich Urlaub vom Elend. Also drucken die Medien Schlagzeilen wie: „Muslime retten Christen das Leben“. Muss das sein?
Eine Nachricht ist eine Nachricht, wenn sie neu ist. Oder wenn sie überrascht. Wenn sie die Erwartungen der LeserInnen an die Welt um sie herum gehörig ins Wanken bringt. „Dezember wird kalt und nass“, ist deshalb keine Nachricht, denn das kennen wir ja schon. „Til Schweiger nutzt Flüchtlinge fürs Self-Marketing“ ist auch keine, denn das erwarten wir.
Was sagt uns also, dass welt.de und Spiegel Online am Dienstag unisono titelten: „Muslime retten Christen das Leben“? Warum ist das eine Nachricht? Weil wir anderes erwarten? Offenbar.
Zum Hintergrund: In Kenia haben Terroristen der Terrormiliz al-Schabaab, die al-Qaida nahesteht, einen Bus angegriffen, der auf dem Weg von der Hauptstadt Nairobi in den Nordosten des Landes war.
Wie die Lokalzeitung Daily Nation berichtet, forderten die Angreifer die Muslime im Bus auf, alle christlichen Passagiere zu identifizieren. Bis hierhin schon grausig genug für eine Nachricht, zum Aufhänger aber wurde, was dann passiert ist: Die Insassen nämlich schwiegen sich aus, gaben niemanden preis, woraufhin sich die Terroristen wieder verzogen.
Ein Akt der Solidarität? Außer Frage
Dass das ein beispielhafter Akt von Solidarität und Zivilcourage ist, steht außer Frage. Dass hier die Widerspenstigkeit der einfachen Leute über eine paramilitärische Terrororganisation siegt, ist inspirierend. Dass deutsche Leitmedien daraus die Nachricht „Muslime retten Christen“ stricken, zeigt hingegen, was hierzulande von Muslimen erwartet wird. Und was nicht.
Zugegeben, es war kein gutes Jahr für das Image des Islam. Selbst wenn Boko Haram keine Schulen zerstört hätten, der Iran nicht immer mehr Exekutionen vornehmen würde und Saudi-Arabien es irgendwie geschafft hätte, Frauen das Autofahren zu gestatten: Die Anschläge in Paris am 13. November waren Anlass genug, um das Misstrauen gegen Muslime, das in westlichen Gesellschaften ohnehin immer latent existiert, in den öffentlichen Diskurs zu heben.
Muslime überall in Europa sahen sich nach Paris genötigt, klarzustellen, dass das nicht ihr Islam sei. Warum denn eigentlich? Weil sie wissen, dass die Ereignisse auf sie zurückfallen werden. Weil die Neigung vieler, von einzelnen GewalttäterInnen auf alle Muslime zu abstrahieren, nur allzu groß ist. Weil der Islam, komme, was wolle, unterm Strich immer schlecht abschneidet. Und jetzt, wo nur wenige Tage von 2015 übrig sind und der Islam wie gewohnt einer negativen Jahresbilanz entgegensteuert, passiert es: das Wunder von Kenia.
Muslime retten Christen das Leben.
Das ist so weihnachtlich, dass man weinen möchte. Und damit passt es genau in die Zeit des Jahres, in der wir einfach genug haben von all den schlechten Nachrichten, von den Toten, der Armut, den Schweinereien in der Politik.
Friedlich, unterhaltsam, pragmatisch
Wir wollen Urlaub vom Elend, wollen in der Zeitung und im Netz lesen, dass es einen Ausweg gibt aus den Kriegen, wollen auf Besseres hoffen, das Gute im Menschen sehen. Tragt in die Welt nun ein Licht.
Die Medien bedienen das nur zu gern. Haben zum Jahresende selber keine Lust mehr auf die Kalamitäten, die sie täglich verwalten. Und sind letztlich auch von ganz pragmatischen Überlegungen geleitet. Denn an Weihnachten klickt sich am besten das, was friedliche Unterhaltung verspricht, und nicht das, was schlechte Laune macht.
Da dürfen dann auch Muslime mal gute Menschen sein. Die Story macht sich perfekt unterm Weihnachtsbaum, zeigt sie doch, wie sich die Gräben zwischen den Religionen schließen, wenn es ums nackte Überleben geht.
Pardon, aber was wissen wir eigentlich? Vielleicht waren die Fahrgäste im Bus einfach klug genug, daran zu denken, dass Verrat auch nach hinten losgehen kann. Dass zu rufen „Der da ist Christ!“ das Risiko mit sich bringt, dass „der da“ eben zurückdenunziert.
Aber egal, es ist Weihnachten und wir wollen gute Nachrichten lesen. Und wir wollen, dass alle Menschen – sogar die Muslime – jetzt mal gute Menschen sind. Dann können wir auch im Neuen Jahr wieder an ihnen rumnörgeln.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Greenpeace-Mitarbeiter über Aufrüstung
„Das 2-Prozent-Ziel ist willkürlich gesetzt“
Selbstzerstörung der FDP
Die Luft wird jetzt auch für Lindner dünn
Rücktritte an der FDP-Spitze
Generalsekretär in offener Feldschlacht gefallen
Keith Kelloggs Wege aus dem Krieg
Immer für eine Überraschung gut
Ampel-Intrige der FDP
Jetzt reicht es sogar Strack-Zimmermann
Stellungnahme im Bundestag vorgelegt
Rechtsexperten stützen AfD-Verbotsantrag