Gipfeltreffen EU-Türkei: Erdoğan gewinnt, Merkel verliert
Das Treffen in Brüssel brachte keine festen Zusagen zur Begrenzung der Flüchtlingszahlen. Die EU-Staaten streiten um eine Milliardenhilfe für Ankara.
Doch Erdoğan blieb dem Gipfeltreffen am Sonntag fern. Er schickte seinen Ministerpräsidenten Ahmet Davutoğlu vor, um den nach Ansicht vieler Kritiker „schmutzigen Deal“ zu besiegeln. Milliardenhilfen gegen Ruhe an der Flüchtlingsfront – so hatten sich Merkel und EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker die Einigung vorgestellt.
Auf den ersten Blick ist diese Rechnung auch aufgegangen. Die EU sagte der Türkei mindestens 3 Milliarden Euro zu, die den geschätzt 2,5 Millionen syrischen Flüchtlingen im Lande zugute kommen sollen. Wenn es den Syrern in der Türkei besser geht, so das Kalkül, werden sie sich nicht mehr so schnell auf die Reise nach Europa machen.
Im Gegenzug soll die Türkei verstärkt gegen „illegale Migration“ übers Mittelmeer vorgehen. Ab Sommer 2016 soll sie zudem zurückgewiesene Asylbewerber aus Europa zurücknehmen. „Die Türkei muss ihr Äußerstes tun, um illegale Einwanderung nach Europa aufzuhalten und die Zahl der Flüchtlinge muss erheblich zurückgehen“, sagte Marc Rutte, Regierungschef der Niederlande.
Keine Garantien für Abschottung
Doch der „Aktionsplan“, der am Sonntagabend verabschiedet wurde, bietet keinerlei Garantien für die geforderte Abschottung. Er bindet beide Seiten, nicht nur oder vor allem die Türkei. Und für die Begrenzung der „Flüchtlingsströme“ bietet er nur vage Kann- und Soll-Formulierungen. Wie es weiter geht, bleibt jedoch unklar.
Muss die Türkei nun die Flüchtlinge von der Überfahrt über die Ägäis nach Griechenland abhalten, zur Not auch mit Gewalt? Oder muss die EU zuerst die zugesagte Finanzhilfe leisten? Selbst Kanzlerin Merkel konnte dies nicht sagen. Es müsse noch darüber diskutiert werden, wer „den ersten Zug macht“, sagte sie nach dem Gipfel.
Offen ist auch, wie die EU die zugesagten drei Milliarden finanziert. Aus dem EU-Budget stehen nur 500 Millionen Euro bereit. Über den Restbetrag müssen sich die 28 Staats- und Regierungschefs noch einigen. Auch Deutschland habe noch keine Zusagen gemacht, sagte Merkel. Offenbar will sie die Unklarheit nutzen, um Druck auf die widerstrebenden Osteuropäer zu machen und ihnen mit einem Stopp von EU-Mitteln zu drohen.
Und was wird mit den Kontingenten? Darüber will Merkel beim nächsten regulären EU-Gipfel kurz vor Weihnachten reden. Dazu hat sie eine „Koalition der Willigen“ gebildet, der neben Griechenland und Italien auch die Benelux-Staaten, Schweden und Finnland angehören. Bei einem eigens angesetzten Treffen vor dem EU-Gipfel konnte sich der Merkel-Freundeskreis aber auf keine Beschlüsse einigen.
Misserfolg für Merkel und Juncker
Selbst das zunächst geplante Kontingent von 400.000 Flüchtlingen, die legal aus der Türkei nach Europa kommen könnten, fand keine Mehrheit. Die Niederlande stellten sich quer, Belgien meldete Sicherheitsbedenken an. „Es wurden keine Zahlen genannt“, betonte Merkel nach dem Treffen. Für sie und Kommissionschef Juncker, der den deutschen Vorstoß unterstützte, war es ein Misserfolg.
Feierlaune kam dagegen bei den Türken auf. „Dies ist ein historischer Tag“, sagte Davutoğlu, denn zum ersten Mal in den seit 2005 laufenden Beitrittsverhandlungen sei die Türkei zu einem Gipfel eingeladen worden. Künftig werde sein Land zweimal im Jahr an EU-Spitzentreffen teilnehmen. Große Hoffnungen setzt Davutoğlu zudem in den Beitrittsprozess, der nun „wieder mit Energie geladen“ werde.
Bereits im Dezember soll ein neues Verhandlungskapitel geöffnet werden. Dabei geht es um Wirtschaft und Finanzen. Ab Oktober nächsten Jahres könnten türkische Staatsbürger zudem von Visaerleichterungen bei der Einreise nach Europa profitieren. Beides waren zentrale Forderungen von Staatschef Erdoğan, der bereits im Oktober mit großem Pomp in Brüssel empfangen worden war.
Nun hat sich Erdoğan weitgehend durchgesetzt. Dass er gerade erst einen russischen Kampfjet über Syrien abschießen ließ und prominente oppositionelle Journalisten wegen Landesverrats anklagen lässt, wollten ihm die EU-Chefs nicht vorwerfen. Darüber könne man künftig viel besser sprechen als bisher, so Merkel, schließlich werde der Dialog ja nun intensiviert.
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