Wirtschaft in Europa: Wachstum durch Flüchtlinge
Die EU-Konjunkturprognose ist positiv. Besonders Deutschland soll von Migranten profitieren – wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt.
„Selbst eine stärkere Abkühlung der Konjunktur in China könnte die Erholung in Europa nicht gefährden“, heißt es in dem 204 Seiten dicken Wälzer. Insgesamt soll die Wirtschaft in der EU 2016 um 2,0 Prozent wachsen, 2017 dann um 2,1 Prozent. Deutschland liegt mit je 1,9 Prozent etwas unter dem EU-Durchschnitt, Griechenland bleibt mit minus 1,3 Prozent im nächsten Jahr der größte Problemfall.
Dass Hellas länger als erwartet in der Rezession verharrt, obwohl es sich mit seinen Gläubigern auf neue Kredite geeinigt hat, war Moscovici jedoch kaum der Rede wert. Auch dass Frankreich, sein Heimatland, in den nächsten Jahren wohl weiter das Defizitlimit von drei Prozent reißen wird, mochte Moscovici nicht kommentieren: Empfehlungen zur Finanzpolitik will er erst in einigen Tagen vorlegen
Viel interessanter, so Moscovici, sei doch etwas ganz anderes: Die Schätzungen zu den wirtschaftspolitischen Folgen der Flüchtlingskrise. Diese stehen allerdings noch auf ziemlich wackeligen Füßen, da niemand genau weiß, wie viele Migranten noch nach Europa kommen werden. Die Kommission spricht denn auch von einer „Guesstimation“, was mehr mit Raten als mit Schätzen zu tun hat.
Flüchtlinge wären keine Belastung, sondern Hilfe
Spannend sind die Zahlen dennoch. Denn zum einen geht Brüssel davon aus, dass bis 2017 noch einmal drei Millionen Flüchtlinge den Weg nach Europa finden – das entspreche einem Bevölkerungszuwachs von 0,4 Prozent, heißt es in der Prognose. Zum anderen erwartet Moscovici eine „schwache, aber positive“ Wirkung auf das Wirtschaftswachstum in der EU. Die Flüchtlinge wären also keine Belastung, sondern eine Hilfe für die Ökonomie.
Besonders positiv könnte das Ergebnis für Deutschland sein. Das größte EU-Land, das am meisten Flüchtlinge aufnimmt, könnte auch (wieder einmal) am meisten profitieren. Grund für den Optimismus ist, dass jeder neu Angekommene die Zahl an potenziellen Arbeitnehmern und damit an künftigen Steuerzahlern erhöht – auch wenn die Integration zunächst Kosten verursacht.
In diesem Jahr könnte das Bruttoinlandsprodukt in Deutschland, also die Summe aller hierzulande produzierten Waren und Dienstleistungen, demnach zusätzlich zwischen 0,1 und 0,2 Prozentpunkte wachsen, 2016 dann um 0,3 bis 0,4 Prozentpunkte. Allerdings nimmt die Wirtschaftsleistung pro Einwohner wegen der höheren Bevölkerungszahl zunächst ab – in diesem Jahr um rund 0,7, 2020 dann zwischen 0,3 und 0,6 Prozentpunkte.
Die positiven Effekte seien auch nur dann zu erwarten, wenn die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt, warnt Brüssel. Zudem könnten sie geringer ausfallen, wenn die Flüchtlinge vor allem niedrig qualifizierte Jobs annehmen sollten. Dies würde auch einen stärkeren „Abwärtsdruck auf die Löhne“ ausüben, heißt es in der Herbstprognose.
Und überhaupt: Zu den Kosten, die die Registrierung, Unterbringung und Integration so vieler Menschen zunächst einmal verursachen wird, gibt es in dem Kommissionswälzer keine Angaben – die sollen dann in zehn Tagen folgen.
Der Text enthält aber dennoch auch einige schlechte Nachrichten für Deutschland. So warnt die Brüsseler Behörde davor, dass sich der Abgasskandal bei Volkswagen negativ auf die Wirtschaft durchschlagen könnte. Die Unternehmen könnten dann weniger investieren, so die Befürchtung – dabei leide Deutschland ohnehin schon an einem zu geringen Kapitaleinsatz.
Außerdem sei der Leistungsbilanz-Überschuss, also das Mehr an deutschen Exporten im Vergleich zu den Importen, weiterhin zu hoch. Erwartet werden 8,7 Prozent der Wirtschaftsleistung, erlaubt sind maximal 6 Prozent. Sanktionen muss Berlin deshalb aber nicht fürchten.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
US-Interessen in Grönland
Trump mal wieder auf Einkaufstour
Täter von Magdeburg
Schon lange polizeibekannt
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Insolventer Flugtaxi-Entwickler
Lilium findet doch noch Käufer
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml