Massentierhaltung in Brandenburg: Versteckte Schweinerei

Ein Volksbegehren kämpft in Brandenburg gegen die industrielle Fleischproduktion. Wir haben eine beteiligte Initiative im Landkreis Teltow-Fläming besucht.

Leider gar nicht zum Kringeln: die Zustände in vielen Brandenburger Schweineställen. Foto: dpa

Man muss sich das Saalower Kräuterschwein als glückliches Tier vorstellen. Umgeben von Wiesen und Windmühlen wächst es dort auf, wo Brandenburg noch in Ordnung ist. Seinen Namen verdankt es der Futtermischung aus Getreidearten, die durch beigemischte Samen von Kornblume oder Kamille besonders appetitlich wird. Das Logo, das auf der Website der Saalower Mast GmbH mit den leuchtend grünen Wiesen prangt, zeigt das Kräuterschwein als Strichzeichnung, wie es sich auf den Hinterläufen trippelnd und selig lächelnd einer Blume nähert. So ein zufriedenes Tier muss köstlich schmecken, wenn es als Medaillon oder Rippchen in der Pfanne landet.

Michael Röske hält das alles für einen schlechten Witz. Mehr noch: „Das ist Verbrauchertäuschung“, findet der höfliche Mann mit dem grauen Schnauzer, der nach seiner Pensionierung als Lehrer in Berlin vor ein paar Jahren in die Nachbarschaft des Brandenburger „Kräuterschweins“ gezogen ist. Wiesen und Windmühlen bekommt dieses Tier in Wirklichkeit nie zu sehen, weiß Röske. Mit Tausenden Artgenossen steht es in Großställen – langen Hallen mit hohen Abluftrohren auf den Dächern – und schlürft eine nach exakter Rezeptur gemischte Pampe aus Getreide, Raps, Soja und Molke, um innerhalb eines halben Jahres sein Schlachtgewicht zu erreichen.

Etwas blumiger formuliert, steht das so auch auf der Website – unter der Überschrift „Natürliche und artgerechte Aufzucht“. Dass die besagten Kräutersamen den Appetit des Schweins anregen, wie ebenso behauptet wird, ist, gelinde gesagt, eine Anmaßung: Im Grunde wird das Getreide einfach nicht so aufwendig gereinigt.

Michael Röske ist zum Gespräch nach Saalow gekommen, in den kleinen Vierseithof, in dem Marianne Frey eine Filiale ihres Berliner Architekturbüros eingerichtet hat. Beide sind Sprecher der „Bürgerinitiative Am Mellensee gegen Massentierhaltung und deren Auswirkungen“. Röske packt einen Stapel Infomaterial auf den Holztisch, Frey bringt Kaffee; vor dem Fenster bläst der Wind die Blätter von der Rosskastanie, die sie hier beim Einzug vor 20 Jahren gepflanzt hat. Es ist ein idyllisches Fleckchen, dieses Saalow mit seinen Nachbardörfern, die die Gemeinde Am Mellensee bilden. Südlich von Zossen im Landkreis Teltow-Fläming gelegen, ist der Berliner Speckgürtel mit seinen Auswüchsen des Nachwende-Baubooms weit genug weg. Urwüchsige Alleen, charmant gealterte Häuschen, Kopfsteinpflaster. Und dazwischen die Schweinemast, gegen die sich die Bürgerinitiative wehrt.

Mitten in der brandenburgischen Idylle liegt die Schweinemastanlage, gegen die sich die Bürger­initiative wehrt.

Gegründet hat sie sich 2013. Da war gerade bekannt geworden, dass die Saalower Mast GmbH die Anlage von gut 2.000 auf über 4.000 Plätze aufstocken wollte. Und sie plante noch mehr: Im benachbarten Ortsteil Klausdorf, direkt am Mellensee, der der Gemeinde ihren Namen gibt, sollte eine weitere Schweinemast mit rund 5.000 Plätzen entstehen. Ein Grundstück war bereits gefunden.

Erste Demo seit der Wende

Für Michael Röske, der selbst in Klausdorf wohnt, eine katastrophale Entscheidung: „Unser See ist ein Anziehungspunkt für Touristen“, erklärt er, und dass das Gewässer schon jetzt regelmäßig vom Umkippen bedroht sei. Eine mögliche Kontamination durch Gülle wäre da fatal: „Wenn die Fische mit dem Bauch nach oben treiben und es stinkt, bleiben die Besucher aus.“ Hinzu komme die Geruchsbelästigung und andere Risiken, etwa durch multiresistente Keime, die in Schweineställen grassieren.

Rund zwei Dutzend Bürger fanden sich zusammen, sammelten 3.000 Unterschriften und zogen mit Transparenten über die Straße. „Die erste Demo in Klausdorf seit der Wende!“, sagt Röske und lacht. Von ihrem Erfolg war die Gruppe selbst ein bisschen überrascht: Nicht die Gemeindeverwaltung verhinderte den Bau – das hätte sie vermutlich gar nicht gekonnt –, sondern der Grundstückseigentümer, der es sich aufgrund des öffentlichen Drucks anders überlegte und das Verkaufsangebot an den Mastbetrieb zurückzog.

Was wollen die Initiatoren des Brandenburger Volksbegehrens gegen Massentierhaltung? Dasselbe, was sie schon mit der erfolgreichen Volksinitiative forderten, die im März vom Landtag abgelehnt wurde:

Das Land soll nur noch artgerechte Haltung von Tieren finanziell fördern, das Abschneiden (Kupieren) von Schwänzen und Schnäbeln ohne Ausnahme verbieten, einen Landestierschutzbeauftragten berufen und den Tierschutzverbänden Klagerecht einräumen.

Über den Bundesrat soll das Land weitere Verbesserungen anstoßen: eine Verschärfung des Immissionsschutzrechts und der Düngemittelverordnung, eine Reduzierung des Antibiotikaeinsatzes und ein stärkeres Mitspracherecht der Kommunen in Genehmigungsverfahren für Nutztieranlagen.

All das ist freilich in Form von Forderungen formuliert – nicht als konkreter Gesetzentwurf.

www.volksbegehren-massentierhaltung.de

Diese Schlacht war gewonnen. Aber nebenan, beim Ausbau der Anlage in Saalow, ließ sich nichts machen. Marianne Frey berichtet von Kontaktaufnahmen mit dem Geschäftsführer der Saalower Mast GmbH, Andreas Vogel. Man könne sich über die Forderungen der Initiative ja unterhalten, habe der gesagt, und die Gruppe habe ihm dann bei einem Treffen mitgeteilt, was sie akzeptieren könne: artgerechte Haltung im Sinne eines Bio-Betriebs. Für Vogel sei das kein Thema. Aber, so Frey, „zur Presse sagt er dann: ‚Was wollen die denn, ich bin doch gesprächsbereit, wir reden ja miteinander‘“. Inzwischen scheint auch Vogels Gesprächbereitschaft gegenüber den Medien abgenommen zu haben: Auf eine Anfrage der taz reagierte er nicht.

Marianne Frey und Michael Röske, die beiden Sprecher der Initiative, zeichnen ein düsteres Bild von den landwirtschaftlichen Großbetrieben in der Region. Sie berichten von geschredderten Zigaretten und Geflügelabfällen, die im großen Maßstab auf den Feldern rund um Saalow verteilt worden seien. Wer der Urheber solcher Umweltsünden sei, werde oft nicht klar. „Das ist ein Netzwerk“, glaubt Frey, „die entsorgen das Zeug systematisch in einer solchen Entfernung vom Entstehungsort, dass man keine Verbindung mehr herstellen kann.“

Der neue Stall in Saalow steht inzwischen, aber auflösen will sich die Initiative nicht: Wer weiß schon, wann das nächste Bauprojekt kommt?! Nach oben ist in Saalow noch Luft, das zeigt ein Blick übers Land: Von den knapp 700 Nutztieranlagen in Brandenburg, in denen rund 14 Millionen Schweine und Hühner, Puten und Rinder gemästet werden, erreichen viele Betriebe Dimensionen, gegen die die Mastanlage am Mellensee bescheiden wirkt.

Ganz oben in Sachen Schweinemast – im quantitativen Sinne – steht die Bolart GmbH in Tornitz bei Vetschau: Dort, im Landkreis Oberspreewald-Lausitz, fressen sich über 50.000 Paarhufer gleichzeitig Speck an, auf knapp 80.000 Plätze soll die Anlage erweitert werden. Beim Geflügel sind die Stückzahlen noch gigantischer – und sie wachsen weiter. Ein Beispiel: In Gumtow in der Prignitz will die Agrifirm Deutschland GmbH zwei Hähnchenmastanlagen mit zusammen 400.000 Plätzen errichten. Die Statistik belegt: In der Mark haben Großbetriebe das Sagen.

Der Unmut wächst

Aber der Unmut über die industrielle Tierhaltung wächst auch: Viele Menschen wollen sich mit den ökologischen Nachteilen und dem Leid der zusammengepferchten Tiere nicht mehr abfinden. Initiativen wie die am Mellensee gibt es in ganz Brandenburg; ein Dutzend von ihnen sind neben Organisationen des Umwelt- und Tierschutzes sowie der Biolandwirtschaft Träger des laufenden Volksbegehrens gegen Massentierhaltung: Sie wollen den Landtag in Potsdam mit 80.000 Unterschriften dazu zwingen, die Bedingungen in der Tierhaltung zu verbessern. Wo möglich per Landesgesetzgebung, aber auch über Initiativen im Bundesrat.

Nach mehr Tierschutz krähen in Brandenburg viele Hähne: auf den Plakaten, die für das Volksbegehren werben. Foto: Volksbegehren gegen Massentierhaltung, Screenshot: taz

Es sind gar keine besonders radikalen Forderungen. Michael Wimmer, einer der Sprecher des Volksbegehrens, will sie auch nicht als Frontalangriff auf die Bauern verstanden wissen – er kommt selbst aus der Landwirtschaft und ist Geschäftsführer der Fördergemeinschaft Ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg. Das Volksbegehren richte sich gegen die industrialisierte Tierhaltung, erklärt Wimmer, vor allem bei der Schweine- und Geflügelmast, wo Skaleneffekte voll ausgenutzt werden. Soll heißen: Je größer der Betrieb, desto billiger produziert er Fleisch, mit vielen Medikamenten und Futtermitteln, die selten aus der Region kommen. „Wenn wir hier nicht ein Stoppschild aufstellen, führt dieser Strukturwandel dazu, dass wir nur noch Megamastanlagen wie in Tornitz haben“, so Wimmer. „Mit Landwirtschaft hat das dann nichts mehr zu tun.“

Wimmer kritisiert auch die einseitige Weltmarktorientierung des Bauernverbands. Der mache sich zum Sprachrohr der Agrarindustrie und predige das Credo von der Kostenführerschaft: Die landwirtschaftliche Produktion müsse immer billiger werden, um den Weltmarkt bedienen zu können. „Damit bedient der Verband aber vorrangig die Interessen des vor- und nachgelagerten Bereichs, also der Hersteller von Pestiziden, Düngemitteln und Landmaschinen sowie der Lebensmittelindustrie.“ Das Tierwohl falle ebenso unter den Tisch wie die Ökologie, „gelackmeiert“ seien auch kleinere landwirtschaftliche Betriebe: „Die kommen gar nicht hinterher, ihre Kosten zu senken, um bei den ständig fallenden Preisen mitzuhalten.“

Auf die Größe kommt‘s (nicht) an

Eines muss der Sprecher des Volksbegehrens einräumen: Was die „artgerechte“ Haltung der Tiere angeht, ist die Größe der Anlagen eigentlich irrelevant. „In kleinen Ställen mit alter Technik kann es den Tieren schlechter gehen als in einem Großbetrieb.“ Dass der alte Kampfbegriff „Massentierhaltung“ dennoch im Titel des Volksbegehrens fixiert ist, bietet Verfechtern des Status quo wie dem Landesbauernverband eine Steilvorlage. Dieser versucht, die Debatte geradewegs in ihr Gegenteil zu verkehren: „Jeder neue Stall führt zu mehr Tierwohl!“, behauptet der Verband in einer Stellungnahme zum Volksbegehren – denn er mache Tierhaltung in anderen Weltregionen überflüssig, wo die Standards niedriger lägen als in Deutschland.

Auf der anderen Seite des Spektrums stehen jene, die jegliche Form der Tierhaltung für einen unmoralischen Akt halten: die kleine, aber sehr aktive Szene der Tierrechtler. Sie ist am Volksbegehren nicht beteiligt, womit wohl beide Seiten gut leben können. „Peta und Ariwa würden uns hier auf Landesebene eher schaden“, sagt Wimmer, „weil die mit ihrer Strategie extrem polarisieren.“

Die Regeln der Volksgesetzgebung sind in Brandenburg viel restriktiver als in Berlin. Gerade deswegen sprachen die Initiatoren des Volksbegehrens zur Halbzeit am 16. Oktober von einer „überwältigenden“ Zwischenbilanz, obwohl erst 30.000 der benötigten 80.000 Unterschriften vorlagen. Viele zur Briefwahl angeforderten Unterlagen sind noch nicht zurückgeschickt worden – und eine echte Dynamik entwickeln solche Prozesse ohnehin erst gegen Ende.

Oder ist das Glas doch eher halb leer? Auf die Frage, ob der Rückhalt in der Bevölkerung ausreicht, wiegt Michael Röske bedächtig den Kopf: „Vor allem manche älteren Leute sind für unsere Argumente nicht zugänglich. Die sehen da in erster Linie Arbeitsplätze, Wirtschaftswachstum und billiges Fleisch im Supermarkt.“ Auch ein Erbe DDR-Geschichte, wie Marianne Frey glaubt: „Viele haben früher in einer LPG gearbeitet.“

Gibt es hier auch noch einen kulturellen Graben zwischen Alteingesessenen und Zugezogenen? Der Gedanke drängt sich auf. Michael Wimmer, dem man seine bayerischen Wurzeln anhört, macht sich da keine Sorgen: „Ich bin mir absolut sicher, dass die Einstellungen in Brandenburg nicht so viel anders sind als die in Berlin.“ Hier wie dort wünschten sich die meisten Bürger eine verbesserte Tierhaltung und insgesamt eine andere Landwirtschaft.

Aber spricht nicht das Konsumverhalten eine andere Sprache? „An der Ladentheke sieht das anders aus“, räumt Wimmer ein, „aber als Endverbraucher ist der Bürger oft heillos überfordert.“ Das fange bei der Suggestivkraft von Discountersiegeln à la Bauernglück an und höre beim unzureichenden Angebot nicht auf: Wenn laut Umfragen 80 Prozent sich mehr Tierwohl wünschten, aber nur 2 Prozent ausgewiesene Tierwohllabels wie Bio oder Neuland gekauft würden, „dann ist das maximales Marktversagen“, findet Wimmer. „Und wenn der Markt versagt, muss die Politik eingreifen.“

Ein 400 Seiten starkes Gutachten stärkt den Tierschützern den Rücken. Der Wissenschaftliche Beirat für Agrarpolitik (WBA), in dem 14 der renommiertesten deutschen Agrarökonomen sitzen, hat es im Auftrag des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft erstellt. Unter dem Titel „Wege zu einer gesellschaftlich akzeptierten Nutztierhaltung“ fordert der Beirat einen Abschied vom „Immer billiger“ und substanzielle Verbesserungen in der Tierhaltung – nicht nur, weil die Sache es erfordert, sondern weil die Akzeptanz der herkömmlichen Produktionsweise in der Bevölkerung schwindet.

Neben mehr Auslaufmöglichkeiten, weniger Arzneimitteln, dem Verzicht auf Amputationen und besser ausgebildeten Arbeitern in der Tierhaltung gehört übrigens auch ein verringerter Fleischkonsum zu den Empfehlungen des WBA. Die Pointe: Das Fleisch an der Ladentheke würde laut den Experten nur 3 bis 6 Prozent teurer, wenn all das umgesetzt würde.

Der Ortstermin in Saalow endet mit einem Spaziergang zur Schweinemast am Waldrand. „Hier fördert die Europäische Union die ländliche Entwicklung“, steht auf einer Plakette am neu gebauten zweiten Stall, der noch nicht bezogen ist. Strenger Ammoniakgeruch liegt in der Luft, von außen ist nicht viel zu sehen. Das Kräuterschwein kommt eben nie an die frische Luft, höchstens beim Transport in die Schlachterei.

Vorsichtig optimistisch

Wird das nun was mit dem Volksbegehren? „Ich bin zuversichtlich“, sagt Marianne Frey, aber in ihrer Stimme schwingt Vorsicht mit. „Bei uns funktioniert die Kampagne, das Aufhängen der Plakate hat sehr gut geklappt. Aber in anderen Landkreisen hing lange fast nichts.“ Von den großen Parteien sind Frey und Röske enttäuscht. „Die SPD macht im Land nichts; in der Gemeinde sind CDU und Linke gegen uns“, sagt Frey. Immerhin: Vor Kurzem hat Landwirtschaftsminister Jörg Vogelsänger (SPD) versprochen, die Basisförderung in der Tierhaltung zu beenden. Von ihr profitieren auch Betriebe, die sich nur an das gesetzliche Minimum in Sachen Tierwohl halten.

Am Ende erzählt Michael Röske noch, wie er wegen einer Handverletzung zum Chirurgen musste und ihn spontan für die Sache der Initiative werben wollte. „Der war empört, er hielt das für Unsinn“, sagt Röske und grinst: „Zum Glück war das nach der Operation.“

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