Aus der zeozwei: „Wir können Glück ermöglichen“
Eine Co2-Steuer kann Menschen glücklich machen, sagt der Weltklimaökonom Ottmar Edenhofer. Die Ökosteuer habe Unglück verhindert. Bitte?
zeozwei: Ottmar Edenhofer, welcher Satz eines Politikers war für Sie ein Signal: Da will jemand dem Klimawandel etwas entgegensetzen?
Ottmar Edenhofer: Nur wenige Politiker haben das Problem in seiner ganzen Wucht verstanden. Das ist beim Wall Street Journal oder der Frankfurter Allgemeine Zeitung anders.
Klimapolitik ist Sache der konservativen Wirtschaftspresse?
Dieser Teil Wirtschaftspresse sagt doch im Klartext: Leute, ihr seid ja verrückt. Wir wollen keine Klimapolitik, wenn das heißt: Bis zu 90 Prozent der Kohle und zwei Drittel des Gases und des Öls müssen im Boden bleiben.
Davon ist die Welt aber weit entfernt.
Das ist ja das Problem. Wir dürfen insgesamt nur noch 1.000 Milliarden Tonnen CO2 in die Atmosphäre blasen, wenn sich die Erde nicht um mehr als um die gerade noch für verträglich gehaltenen zwei Grad Celsius aufheizen soll. Machen wir weiter wie bisher, ist unser CO2-Budget bei heutigem CO2-Ausstoß in dreißig Jahren verbraucht. Zurzeit blasen wir jedes Jahr 35 Milliarden Tonnen in die Atmosphäre. Und die fossilen Energie träger, die noch in der Erde lagern, machen 15.000 Milliarden Tonnen CO2 aus.
Der Bürgerkrieg in Syrien, Tausende auf der Flucht, Instabilität im Nahen Osten – Regierungen setzen andere Prioritäten.
Mag sein, aber Klimawandel ist eine langfristige, globale Herausforderung. Wir wissen zwar nicht genau, wo Dürren, Hungersnöte oder Fluten auftauchen werden. Wir wissen auch nicht, wann die gefährlichen Kipppunkte aktiviert werden, die zu unaufhaltsamen und dramatischen Veränderungen führen.
Was wissen wir denn?
Genug, um zu handeln. Die Unsicherheiten über die Klimafolgen sind kein Grund zum Warten. Denn wir können die globale Mitteltemperatur nicht einfach mal probeweise erhöhen, und wenn uns die Veränderungen nicht passen, wieder zurückdrehen.
Direktor des privat finanzierten Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change und Chefökonom des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. Er lehrt an der TU Berlin. Edenhofer, 54, kommt aus Niederbayern und leitet im Weltklimarat die Arbeitsgruppe zur Milderung des Treibhauseffekts. Er ist weltweit einer der bekanntesten Befürworter einer CO2-Abgabe, um die Nutzung der fossilen Energien zu verteuern.
Seit wann ist Ihnen das klar?
In der vollen Schärfe kennen wir das Problem seit etwa zehn Jahren. Seither beschreiben es meine Kollegen und ich in Büchern und wir halten darüber eine Vielzahl von Vorträgen. Aber der breiten Öffentlichkeit wird das jetzt erst so langsam bewusst. Das grüne Spektrum der Bevölkerung lebte lange Zeit in der Welt des Club of Rome ...
… der warnte die Industrienationen vor gut vier Jahrzehnten mit „Den Grenzen des Wachstums“, dass der Welt die Rohstoffe ausgehen.
Die Leute hatten das Gefühl, um mit „Peak Oil“, dem knappem Öl und dem knappen Gas, zurechtzukommen, müssen wir Energie sparen. Das war es.
Peak Oil war kontraproduktiv?
Ja. Peak Oil sagt, es gibt beim konventionellen Öl einen Höhepunkt der Förderung, danach ist die Zeit des billigen, leicht zu fördernden Öls vorbei. Das spielt aber keine Rolle. Denn steigt der Ölpreis, rentiert sich auch die schwierigere Ausbeutung etwa von ölhaltigen Teersanden. Shell bohrt jetzt sogar zur Probe in der Arktis, wo die Bedingungen extrem sind.
Im Sommer ist die Region mittlerweile eisfrei.
Die Bohrung zeigt doch, dass Firmen den Klimawandel für real halten. Sonst würde dort niemand investieren. Gemessen an der knappen CO2-Aufnahmefähigkeit der Atmosphäre haben wir ein Überangebot an fossilen Ressourcen.
Lässt sich der Klimawandel überhaupt noch stoppen?
Aufhalten lässt er sich nicht, aber er lässt sich noch begrenzen. Sonst wird das Ausmaß des Klimawandels in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts gewaltig. Den Leuten ist bislang nicht klar, wie tiefgreifend der gesellschaftliche Transformationsprozess zur Begrenzung des Klimawandels ist.
Ist es doch, weil es immer heißt: Esst kein Fleisch, lasst das Auto stehen, fliegt nicht.
Diese Änderung des Konsumverhaltens ist gut – der traditionelle Tugendkatalog hat sich heute erweitert. Aber es wäre irreführend, wenn wir glaubten, das würde ausreichen.
Dieser Text stammt aus der neuen zeozwei, dem taz-Magazin für Klima. Kultur. Köpfe. Unser Ziel: Eine geistige Bewegung für die sozialökologische Transformation schaffen. Die neue Ausgabe liegt jetzt am Kiosk. Oder gleich richtig mitmachen: 20 Euro für ein Jahresabo mit Prämie.
Was braucht es vor allem?
Wir brauchen Innovationen und technische Durchbrüche. Umweltschützer gelten als Behinderer und Miesmacher des technischen Fortschritts. Es geht heute darum, dass wir dem technischen Fortschritt eine andere Richtung geben. Das hat es während der Industrialisierung schon einmal gegeben. Im 19. Jahrhundert traten auf Arbeitsmärkten plötzlich machtvolle Gewerkschaften auf, die die Löhne neu verhandelten und Lohnerhöhungen durchsetzten. In der Folge steigen diese jedes Jahr bis in die 70er-Jahre des 20. Jahrhundert im Schnitt um mehrere Prozent.
Unternehmer warnen heute noch, dass sie auswandern, wenn die löhne steigen.
Aber die neue Macht der Arbeitnehmer hat vor allem zu einem geführt: technischem Fortschritt. Die Unternehmen waren gezwungen, die Arbeitsproduktivität zu erhöhen. Güter wurden so billiger, Massenwohlstand wurde möglich.
Das hat Grenzen. Mit der Industrie 4.0, mit einer neuen Digitalisierung, werden in der industriellen Produktion Tausende Jobs vernichtet.
Schon, aber es werden an anderer Stelle neue Jobs entstehen. Es ist für mich wenig plausibel, dass Menschen durch Maschinen und Computer völlig überflüssig werden. Die Menschen werden weiter die wichtigste Rolle spielen, etwa wenn der Gesundheitssektor expandiert, weil wir lernen müssen, mit einem höheren Anteil alter Menschen zu leben. Wir werden jedoch mit der wachsenden Ungleichheit fertigwerden müssen. Die Reallöhne sind seit den 1990er-Jahren kaum noch gestiegen, hingegen sind die Einkommen aus dem Besitz von städtischem Boden sehr viel stärker gestiegen.
Das heißt für den Klimaschutz?
Klimapolitik und Lohnpolitik ähneln sich. Auch jetzt muss ein Preis über lange Zeit hinweg steigen, und zwar der Preis für den Ausstoß von CO2. Er wird die Wirtschaft nicht ruinieren, sondern Anreiz geben, Technik zu entwickeln, die weniger Treibhausgase ausstößt.
Unrealistisch, kein Mensch redet derzeit über eine neue Ökosteuer.
Aber Umweltpolitik ist nicht primär Verhinderungspolitik, sondern bedeutet Ermöglichung, und zwar von technischem Fortschritt. Wir könnten so die Materialintensität, die Energie- und Kohlenstoffintensität verringern sowie Kreislaufwirtschaft ermöglichen. Und Glück.
Herr Edenhofer, wir reden von CO2-Preisen und Sie von Glück?
Auf jeden Fall ist ein bisschen Unglück verhindert worden, seit Deutschland 1999 die Ökosteuer eingeführt hat. Denn der Ertrag ist an die gesetzliche Rentenkasse überwiesen worden. Die Lohnnebenkosten wären ohne Ökosteuer sehr viel stärker gestiegen. Das müssen wir weiterdenken. Ein CO2-Preis kann bessere Bedingungen für das Glück schaffen.
Sie sind einer, der sich die Welt schönredet?
Da irren Sie sich gewaltig. Wir könnten jetzt den Blick mal kurz abwenden von Europa ...
... bitte.
Afrika spielt im Augenblick in der Weltwirtschaft und bei den Emissionen noch keine große Rolle. Aber das ist ein Kontinent mit enormem Potenzial. Nicht nur in China werden Kohlekraftwerke gebaut. Es gibt Leute, die sagen, Afrika wird das neue China.
„Uns bleibt immer Paris“ – eine zeozwei-Sonderausgabe zum UN-Klimagipfel in Paris. Peter Sloterdijk fordert ein Ethos der Nachhaltigkeit, Jennifer Morgan erklärt, wer in Paris wie agiert, Wladimir Kaminer trennt seinen Müll nicht. Und Humphrey Bogart und Ingrid Bergman sind auch dabei. Jetzt am Kiosk.
In China nehmen die Emissionen gerade ab.
Wir sollten abwarten, ob diese ersten Daten Bestand haben. Die Kohlerenaissance macht aber nicht in China Halt, sondern setzt in den armen und zugleich schnell wachsenden Entwicklungsländern Asiens und Afrikas ein. Dort werden neue Kraftwerke entstehen.
Das heißt?
Zugleich haben dort zu viele Menschen keinen Zugang zu sauberem Wasser, Sanitäranlagen oder Bildung. Sauberes Wasser macht sicher nicht per se glücklich, aber dreckiges Wasser bringt einen Haufen Unglück. Um dem entgegenzuwirken, fehlt den dortigen Regierungen das Geld. Eine Erhöhung der Verschuldung würde durch die Kapitalmärkte bestraft. Auch die Besteuerung von Arbeit würde schwierig, weil es zu sozialen Verwerfungen käme. Hier würde sich eine Bepreisung von CO2 als Lösung anbieten.
Der Ökonom Thomas Piketty, Autor des Buches „Das Kapital im 21. Jahrhundert“, schlägt eine Vermögenssteuer vor.
Das erscheint mir eher schwierig, denn Kapital ist mobil. Die Bürger lagern ihr Geld dann im Ausland. Und einen gemeinsamen Entschluss aller Länder zur Steuerharmonisierung gibt es nicht. In so einer Welt ist eine CO2-Bepreisung der bessere Weg, um finanzpolitische Handlungsfähigkeit wiederzugewinnen.
Darauf werden sich die Staaten der Welt niemals einigen.
Zunächst reicht es, wenn das einzelne Staaten machen. In großen Teilen Afrikas ließe sich mit zehn Euro für eine Tonne CO2 schon viel machen. Dann wäre Geld da für den Zugang zu sauberem Wasser, zu sauberem Strom, zu Straßen und zu Mobilfunkdienstleistungen. Das alles würde wirtschaftliche Entwicklung ermöglichen.
Sie machen beim CO2-Preis Unterschiede – 10 Euro in Afrika, 50 Euro in Deutschland?
Selbst für einzelne Staaten sind CO2-Steuern interessant, weil sie damit Handlungsspielraum erhalten, auch wenn ihnen der Klimawandel gar nicht so stark am Herzen liegt. Wenn die CO2-Steuern harmonisiert werden, sind Transfers an die ärmeren Länder unausweichlich. Wir werden sonst keine internationale Vereinbarung bekommen.
Das hört sich schön an, aber Sie dringen damit nicht durch.
Ich werbe dafür. Und so schlecht stehen meine Aktien nicht. China wird nächstes Jahr einen Emissionshandel einführen und die Finanzminister der OECD werden über CO2-Steuern beraten; mit meinen Vorschlägen bin ich dort jedenfalls auf großes Interesse gestoßen. Aber bislang war das kein Thema für die Finanzminister. Wir planen am MCC ...
Dem Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change.
… einen größeren Bericht, in dem wir analysieren, wie Finanzminister Steuerreformen umsetzen können, die das Klima schützen und zugleich die Armut bekämpfen.
Europa hat zwar versucht, CO2 einen Preis zu geben, aber das gilt nicht einmal für die Hälfte der Emissionen, denn Verkehr, Immobiliensektor, Landwirtschaft sind raus. Auch sonst hat er noch nie richtig funktioniert. Der Preis stand schon einmal bei läppischen drei Euro, derzeit liegt er bei acht Euro.
Der Emissionshandel ließe sich reparieren, die EU müsste dafür einen Mindestpreis einführen und den Transport- sowie den Gebäude- und den Landwirtschaftssektor mit einbeziehen.
Macht aber keiner.
Darum müssen Sie doch die Frage stellen, woher die Blockade kommt.
Woher?
Für eine Regierung ist es eben bequemer, wenn bei einer Energiewende alle subventioniert werden: die Erneuerbare-Energien-Branche und am Schluss auch noch die Betreiber von Kohlekraftwerken.
Wieso versteht die Politik die Glückstheorie nicht?
Vielleicht versteht sie das Argument, aber der Widerstand ist groß, weil sie mit einem CO2-Preis, ökonomisch gesprochen, sofort Renten abschöpfen. Sie entwerten jedes Kohlekraftwerk und jedes Auto. Sie bewerten Vermögen neu und haben unangenehme Verteilungseffekte. Es ist einfacher zu sagen: Pass mal auf, ich lass dich in Ruhe, aber ich subventioniere ein paar neue Technologien wie die Windkraft und die Photovoltaik. Das war richtig, solange die Erneuerbaren eine Nischentechnologie waren. Aber jetzt muss man umsteuern. Nur kann ein Umweltminister keine Steuern erheben und ein Finanzminister zeigt bislang an der CO2-Steuer noch kein großes Interesse, obwohl er eigentlich welches haben sollte.
Einnahmen freuen einen Wolfgang Schäuble immer.
Die CO2-Steuer ist in vielen Finanzministerien noch nicht auf dem Radarschirm. Für die energieintensiven Sektoren ist eine CO2-Steuer abschreckend und diese Industrien sind gut organisiert. Aber in der Öl- und Gasindustrie wächst die Bereitschaft, eine CO2-Steuer zu akzeptieren. Viele befürchten, eine CO2-Steuer belaste vor allem die ärmeren Haushalte. Dabei könnte man 19 diese Einnahmen sogar wieder an die einkommensschwachen Haushalte verteilen. Derzeit aber belastet die Energiewende die unteren Einkommensbezieher überproportional.
Sie machen damit Konsumgüter teurer. Die Reichen zahlen locker etwas mehr, aber die ärmeren Leute trifft das.
Aus dem Dilemma kommt man nur raus, wenn man Umweltpolitik und die Besteuerung von Einkommen gleichermaßen in den Blick nimmt. Die Akzeptanz von Umweltsteuern wird sich nur dann erhöhen, wenn diese progressiv wirken. Die Ungleichheit darf durch Umweltsteuern nicht zunehmen. Am Ende wird man die Besteuerung des Umweltverbrauchs im Rahmen einer Steuerreform diskutieren müssen.
Damit machen Sie jetzt ein großes Fass auf.
Aber ohne ein großes Reformpaket wird es nicht gehen ...
... das für Politiker kaum zu vermitteln ist. Das haben wir gerade gesehen. Die Regierung hat versprochen, die Treibhausgase um 40 Prozent zu senken, das wird durch den Kohlekraftboom konterkariert. SPD-Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel schlägt eine Abgabe vor. Tausende Kohlearbeiter demonstrieren in Berlin, der Plan wird gestrichen.
Jeder Strukturwandel führt zu Arbeitsplatzverlusten. Wir haben auch hingenommen, dass in den Städten Droschkenkutscher arbeitslos wurden, weil es Taxis gab. Wer glaubt denn allen Ernstes, dass für Deutschland die Zukunft in der Kohle liegt.
Kohlearbeiter?
Das hört sich jetzt so an, als würde ich einfach herzlos über die Bedürfnisse der Kohleleute hinweggehen. So ist es aber nicht. Man wird den Strukturwandel sozial abfedern müssen. Aber der Strukturwandel darf nicht verhindert werden. Wir müssen die gesellschaftliche Debatte führen, wo wir eigentlich hinwollen.
Herr Edenhofer, selbst der Papst kritisiert in seiner Enzyklika „Über die Sorge über das gemeinsame Haus“ den Emissionshandel, weil er nicht dazu beitrage, „den Gesamtausstoß der schädlichen Gase zu verringern“.
Der Papst äußert Bedenken gegen ein umweltpolitisches Instrument, aber er maßt sich keine Kompetenz an, hier ein Urteil zu fällen. Aber es ist wahr, er ist skeptisch gegenüber Marktinstrumenten.
Er wurde beraten, auch von Ihnen.
Sie können sich sicherlich vorstellen, dass ich den von Ihnen zitierten Satz so nicht geschrieben hätte. Lateinamerikaner haben aber die große und ernst zu nehmende Befürchtung, dass mit solchen marktbasierten Instrumenten Leute über den Tisch gezogen werden. Der Papst hat sicher nicht den Anspruch, einen umweltökonomischen Fachaufsatz zu schreiben. Wichtiger sind seine ethischen Prinzipien. Er sagt: Leute, ihr habt die verdammte Pflicht und Schuldigkeit, einen Transformationsprozess einzuleiten. Wie der am besten zu gestalten ist, da habt ihr eure Experten. Fragt die.
Sie machen es sich zu einfach?
Keineswegs, ich nehme den Papst sehr ernst. Aber selbst wenn man mit dem Papst die Ehe für einen heiligen Bund hält, kann man doch mit guten Gründen darüber streiten, welche Methoden der Familienplanung erlaubt sein sollen.
Macht die Kirche Ernst, müsste sie ihr Vermögen durchforsten und ihr Geld aus Beteiligungen an Öl-, Gas- oder Kohlefirmen abziehen. Ließe sich das globale Klimaproblem auch so lösen?
Das wäre eine gute Sache, wenn die Kirche als ein ethischer Investor kraftvoller und überzeugender auftreten würde. Die Kirchen sind kluge, aber sehr vorsichtige Investoren. Wenn wir sie vom ethischen Investment überzeugen können, dann würden auch andere mitziehen. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen. Ohne eine Bepreisung von CO2 wird das ethische Investment keine große Kraft entfalten können.
Selbstkorrektur ist schwierig. Die große Transformation kann sich vielleicht ein Land wie Deutschland leisten und Verlierer bezahlen. Aber was sagen Sie einem Land wie Venezuela, dessen Ökonomie vom Export fossiler Energie abhängt?
Das Argument, die Schwellenländer müssten die fossilen Energieträger subventionieren, um den Armen zu helfen, ist nur bedingt zutreffend. So zeigen Untersuchungen in Indonesien, dass die Abschaffung der Subventionen für Mineralöl die Armen kaum belastet hat, sondern die Mittelschicht. Die ärmsten Haushalte haben keine Autos, daher waren sie gar nicht betroffen.
Bisher schafft es aber keine Regierung, die wahren Kosten des Wirtschaftswachstums zulasten des Naturvermögens anzurechnen. Naomi Klein, linke kanadische Bestsellerautorin, sagt, ohne einen radikalen Umbau des Kapitalismus geht es nicht. Für Sie ist der Kapitalismus die Lösung?
Was ich vorschlage, ist eine radikale Transformation, eine Reform des Kapitalismus. Machen wir mit der Klimapolitik Ernst, beschränken wir die Nutzung fossiler Energieträger, weil wir die Übernutzung globaler Gemeinschaftsgüter wie der Atmosphäre verhindern wollen. Ob das gelingt, das ist eine andere Frage.
Der Niederländer Yvo de Boer trat 2010 als UN-Klimachef zurück, weil er den Glauben an die Klimadiplomatie verloren hatte. Er sagte: „Der einzige Weg, wie ein Abkommen im Jahr 2015 zum Zwei-Grad-Ziel führen könnte, wäre, die gesamte Weltwirtschaft stillzulegen.“
Ach ja. Das sind solche Sätze. Die Welt ohne uns, die Welt ohne den Menschen, das wäre das Beste. Dann gäbe es keine Emissionen, dann hätten wir keine Probleme. Das ist doch Unsinn. So kann man keine Politik machen.
Alles, was produziert wird, frisst nun einmal auch Ressourcen. Da kommen Sie mit einem CO2-Preis nicht raus.
Das sehe ich überhaupt nicht, warum jedes Wachstum im gleichen Umfang Ressourcen frisst.
Nicht in jedem Umfang, aber es frisst.
Es geht um einen Transformationspfad. Das heißt nicht, dass wir morgen schon mit null Emissionen hinkommen müssen. Wir haben noch Zeit bis über das Jahr 2050 hinaus, um komplett auf saubere Technologien umzusteigen. Aber wir müssen mit der Transformation beginnen. Die derzeitige Debatte ist aberwitzig. Wir wollen also, dass die Lebenserwartung nicht mehr zunimmt, das Gesundheitssystem nicht besser wird, das Bildungssystem auch nicht. Wir wollen kein Leid mehr lindern? Habe ich das richtig verstanden?
Nein – und das wissen Sie auch.
Mich nervt dieser Fatalismus, diese heimliche Lust am Untergang. Es geht aus meiner Sicht nicht um Wachstumsverzicht. Das ist die völlig falsche Perspektive. Wir müssen begreifen, dass wir heute zu viel Naturkapital verbrauchen und zu wenig in die kommenden Generationen investieren. Denn dann wird klar: Wir müssen mehr in Bildung, mehr in das Gesundheitswesen, mehr in Forschung und Entwicklung, mehr in die Armutsbekämpfung investieren. Das setzt Strukturwandel voraus, Innovationen bei der Arbeits- und der Ressourcenproduktivität, dafür muss es Anreize geben. Ein CO2-Preis kann das leisten.
Haben wir dafür überhaupt eine Partei in Deutschland?
Haben wir nicht.
Die Grünen würden das für sich in Anspruch nehmen.
Aber wir brauchen dafür auch keine eigene Partei, sondern einen gesellschaftlichen Konsens. Ein solcher Transformationsprozess kann nur erfolgreich bestanden werden, wenn er eine breite demokratische Basis hat.
Wer soll das politisch umsetzen?
Neue Allianzen und Koalitionen. Die Enzyklika des Papstes könnte ein Katalysator für solche Koalitionen sein.
Sie sagen selbst, dass der CO2-Preis allein nicht reicht, und reden auch von sogenannten negativen Emissionen.
Jetzt haben wir alle Schreckgespenster ausgepackt.
Sie wollen Treibhausgasemissionen im Abgas von Kraftwerken, egal ob sie mit Kohle oder Pflanzen gefüttert werden, wieder einfangen und dann deponieren. Der Anbau von Mais zur Energiegewinnung frisst aber Acker und Artenvielfalt. Die Kohlendioxid-Deponien, die CCS-Technik, fürchten auch viele.
Die negativen Emissionen sind schon allein deshalb zum Erreichen des Zwei-Grad-Ziels wichtig, weil wir eine Kohlerenaissance erleben. Wir befinden uns mitnichten im Erneuerbare-Energien-Zeitalter. Das verstehen aber viele Leute nicht. Die fragen dann: Seid ihr jetzt völlig verrückt geworden mit euren negativen Emissionen? Das wiederum finde ich leicht absurd: Ein ambitioniertes Klimaziel zu fordern – aber nicht zu sehen, was das heißt.
Sie würden auch Atomkraft akzeptieren?
Nein, die Kernenergiefrage ist leicht vom Tisch zu wischen, weil sie relativ leicht durch Erneuerbare zu ersetzen ist. Die Frage von Kohle, von Bioenergie und von CCS aber nicht. Noch hat niemand einen anderen Weg gefunden. Wir müssen aber sehen, ob wir die Nebenwirkungen wie etwa den großen Landbedarf und die Auswirkungen auf die Nahrungsmittelproduktion in den Griff bekommen.
Glauben Sie daran?
Das ist keine Glaubensfrage, sondern eine Frage eines Lernprozesses. Ich bin kein blinder CCS-Befürworter. Aber es ist die Aufgabe der Wissenschaftler aufzuzeigen, unter welchen Bedingungen das Zwei-Grad-Ziel noch zu erreichen ist. 2008 hat es Leute gegeben, die meinten, das Ziel müsse aufgegeben werden.
Das sagt Oliver Geden von der Stiftung Wissenschaft und Politik heute noch.
Aber damals waren es wissenschaftliche Schwergewichte, die das forderten. Sie haben aber eingesehen, dass wir als Wissenschaftler die Aufgabe hatten, zu untersuchen, unter welchen Bedingungen das Ziel erreicht werden kann. Das haben wir getan – werden aber dafür jetzt angegriffen.
Wie wehrt man das als Wissenschaftler ab?
Ich habe immer gesagt, dass wir irrtumsfähige Wissenschaftler sind, die vorläufiges Wissen produzieren. Was mich vielmehr stört ist, dass Politiker gerne Ziele formulieren und vor sich hertragen, aber nicht bereit sind, die Verantwortung für die Mittel zu übernehmen.
Gibt es keine Alternative?
Der CO2-Preis macht Klimaschutz berechenbar. Ich weiß, dass das Nichtökonomen nicht gerne hören, es lässt das Herz nicht höher schlagen. Aber dann müssen diejenigen, die Politikinstrumente wollen, die die Herzen höher schlagen lassen, diese auf den Tisch legen. Die Emissionen steigen und steigen und steigen.
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