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Online-Universität für Flüchtlinge„Wir wollen etwas zurückgeben“

Die Kiron-Universität verspricht jedem Flüchtling einen Studienplatz – ohne Dokumente. Ein Gespräch mit dem Gründer und einem afghanischen Studenten.

In den ersten vier Semestern brechen 30 bis 40 Prozent der Studenten das Studium ab, erklären die Partner-Unis. Und: Die freien Plätze könnten doch Flüchtlinge auffüllen. Foto: .marqs / photocase.de
Ralf Pauli
Interview von Ralf Pauli

taz: Herr Aman, Sie besuchen ab Oktober die ersten Onlinekurse an der Kiron-Universität. Warum gehen Sie nicht auf eine staatliche Universität?

Mozemel Aman: Vor einem Jahr zog ich mit meiner Familie von Afghanistan nach Berlin. Ich habe schnell gemerkt, dass ich mich weder an der Freien Universität noch an der TU einschreiben konnte. Mein afghanischer Schulabschluss ist nicht gleichwertig mit dem deutschen Abitur. Um studieren zu dürfen, müsste ich für ein Jahr ein Studienkolleg besuchen. Dafür benötige ich aber ausreichende Deutschkenntnisse. Selbst wenn ich damit richtig schnell wäre und gleich einen Platz in einem Studienkolleg bekäme, bräuchte ich mindestens zwei Jahre. Wahrscheinlicher sind drei Jahre.

Herr Kressler, Sie versprechen Flüchtlingen eine Hochschule ohne Zugangsbeschränkung. Wie genau funktioniert das?

Markus Kressler: Die meisten Flüchtlinge scheitern wie Mozemel an den Hürden der Univerwaltungen. Um hier studieren zu können, müssen Asylsuchende ihre Identität, Deutschkenntnisse, Schulabschlüsse und ihre Schutzwürdigkeit nachweisen. Wir brauchen keines dieser Dokumente. Wer nach Deutschland geflüchtet ist, kann sich bei uns einschreiben.

Einen staatlich anerkannten Abschluss können sie an der Kiron-Universität aber nicht ablegen. Was bringt das Studium?

Kressler: Wir selbst müssen gar keine Titel vergeben. Das machen unsere Partneruniversitäten, auf die unsere Studierende nach vier Semestern Onlinestudium wechseln. Dort können sie ins dritte Jahr einsteigen. Ihre Onlinekurse, die sie bei uns machen, bekommen sie dort alle anerkannt. Unsere Studenten haben also zwei Jahre Zeit, die notwendigen Unterlagen für ein reguläres Studium an einer Fachhochschule oder Universität zu besorgen – ohne zwei oder drei Jahre unnötig in der Warteschleife zu hängen.

Welche Hochschulen sind das?

Kressler: Momentan haben 15 deutsche und ausländische Universitäten ihre Kooperation zugesichert. Das Erstaunliche dabei ist, dass fast alle unsere Partner-Unis auf uns zugekommen sind, als sie von unserer Idee erfuhren. Die haben gesagt: In den ersten vier Semestern brechen 30 bis 40 Prozent unserer Studenten das Studium ab. Die freien Plätze könnten doch Flüchtlinge auffüllen. Gerade sind wir dabei, ein weltweites Netz an Partnern aufzubauen. In Deutschland haben wir bislang 15 Hochschulen, ohne eine einzige Anfrage verschickt zu haben. Das ist Wahnsinn.

Im Interview: 

Mozemel Aman stammt aus Afghanistan und beginnt zum Wintersemester das Studium an der Kiron-Universität.

Markus Kressler hat die Kiron-Universität mitgegründet.

Nun sind Flüchtlinge gerade zu Beginn oft schon genug isoliert: durch die Heimpflicht, die Sprachbarriere, ihren kulturellen Hintergrund. Würden Sie, Herr Aman, nicht lieber gleich an einer Campus-Uni Deutsche kennenlernen wollen, als allein vor dem Rechner zu studieren?

Aman: Wenn es diese Möglichkeit gäbe, klar. Für mich ist es aber toll, sofort mit meinem Studium loslegen zu können. Momentan schwanke ich noch zwischen BWL und Informatik. Ich bin motiviert, Onlinekurse genauso zuverlässig zu besuchen wie Seminare mit Anwesenheitspflicht. Das ist sicher Typsache. Manche Studenten benötigen das Campus-Gefühl, um gut lernen zu können. Ich glaube aber, dass die Universitäten nach und nach auf digitale Bildungskonzepte umsteigen werden. Online ist die Zukunft.

Kressler: Was mir hier wichtig ist: Onlinestudium bedeutet nicht automatisch Isolierung. Die Kiron-Universität wird sogar einen physischen Campus in Berlin-Brandenburg haben. Dort können sich unsere Studenten wie an einer normalen Uni begegnen und zusammen lernen. Zudem hat die Macromedia Hochschule Berlin angeboten, ihren Campus für unsere Studenten zu öffnen. Viele Universitäten stehen für sechs Monate im Jahr leer und könnten diesem Beispiel folgen. Der einzige Unterschied zur Campus-Uni ist, dass der Professor beim Onlineseminar nicht physisch vor einem steht wie bei der klassischen Vorlesung. Aber viel Interaktion gibt es da in der Regel ohnehin nicht.

Wer stellt sicher, dass die Kiron-Studierende genauso weit sind wie ihre KommilitonInnen an den staatlichen Unis?

Kiron-Universität

Angebot: Im Oktober starten die ersten Studiengänge an der Kiron-Universität (vormals Wings-University). Fächer sind Computer-, Ingenieur-, und Wirtschaftswissenschaften, Architektur, Intercultural Studies.

Nachfrage: Bisher 5.000 Bewerber aus 60 Herkunftsländern. 80 Prozent sind Syrer.

Aufbau: Für zwei Jahre belegen die Studierenden Onlinekurse bei den Plattformen edx, coursera, iversity und openhpi. Dann wechseln sie an eine der 15 Partnerunis, darunter die Macromedia Hochschule Berlin und die University of Westafrica.

Finanzierung: Die Kosten für die ersten 1.000 Studenten sollen komplett über Crowdfunding eingeworben werden. Mehr Infos: http://kiron.university

Kressler: Die Partneruniversitäten legen fest, welche Kurse die Studierenden nach zwei Jahren besucht haben müssen. Wer bei uns anfängt, sucht sich nach einem Jahr Studium generale einen Studiengang aus. Wir starten mit Computerwissenschaften, Ingenieurwissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Architektur und Intercultural Studies. Für jeden Onlinekurs bei uns gibt es Prüfungen und Leistungspunkte. Die Onlineplattformen, die die Kurse anbieten, nehmen auch die Prüfungen ab.

Solange Sie keine staatlich anerkannte Hochschule sind, bekommt die Kiron-Universität auch kein Geld vom Staat. Werden Sie die Flüchtlinge irgendwann zur Kasse beten müssen?

Kressler: Nein. Bisher geben wir aber auch so gut wie kein Geld aus. Die Gebühren, die Studenten bei Onlinekursen üblicherweise für die Prüfungsabnahme bezahlen, können wir den Studenten erlassen. Wir haben natürlich Ausgaben für IT, Verwaltung, Studienberatung oder Bibliotheken. Die Kosten für den ersten Studienjahrgang wollen wir über eine Crowdfunding-Kampagne reinbekommen. Wenn der Staat erst merkt, wie günstig es ist, Tausenden Flüchtlingen ein Studium zu ermöglichen, wird er uns schon unterstützen.

In einem Punkt bleibt die Kiron-Universität aber zulassungsbeschränkt: Wie können Flüchtlinge in Heimen oder Zeltstädten ohne Laptops und Internetzugang Onlinekurse besuchen?

Wenn jemand aus den USA einreist, um hier zu arbeiten, wird er als Experte bezeichnet. Bei Flüchtlingen ist das anders, obwohl sie aus demselben Grund hierherkommen: Sie suchen Arbeit und ein besseres Leben.

Mozemel Aman, Student

Kressler: Wir geben jedem unserer Studenten einen Laptop samt Internetzugang. Wir arbeiten mit einem israelischen Anbieter zusammen, der gebrauchte PCs für studentische Zwecke optimiert. Ein USB-Stick für die Internetverbindung per WLAN ist da mit dabei. Das kostet uns pro Laptop 80 US-Dollar. Insgesamt kostet uns ein Student pro Jahr gerade mal 400 Euro. Verglichen mit den 15.000 Euro, die der deutsche Staat im Schnitt für jeden Studenten zahlt, ist das nichts.

Einerseits verbaut Deutschland seinen Flüchtlingen den Zugang zur Bildung. Andererseits versucht er qualifizierte Arbeitskräfte aus dem Ausland zu importieren. Fühlen Sie sich, Herr Aman, vom deutschen Staat willkommen?

Aman: Bildung ist für Einwanderer die beste Möglichkeit, sich in die Gesellschaft zu integrieren. Ein Studium in Deutschland wäre also gut für beide Seiten. Ich beobachte jedoch, dass Flüchtlinge im Vergleich zu anderen Einwanderergruppen diskriminiert werden. Wenn jemand aus den USA einreist, um hier zu arbeiten, wird er als Experte bezeichnet. Bei Flüchtlingen ist das anders, obwohl sie aus demselben Grund hierherkommen: Sie suchen Arbeit und ein besseres Leben. Würde Deutschland sie hier studieren lassen, wäre es für die Flüchtlinge und für das Land von Vorteil. Die Flüchtlinge müssen auch das Gefühl haben können, der deutschen Gesellschaft etwas zurückgeben zu können. Dafür gibt ihnen der deutsche Staat nicht sehr viel Spielraum.

Fühlen Sie sich, Herr Kressler, manchmal als eine Art Willkommensbotschafter, der die bildungspolitischen Defizite der Regierung nachbessert?

Kressler: Definitiv. Ich bin kein großer Freund davon, jegliche Verantwortung auf die Politik abzuschieben. Dennoch: Die Politiker wussten seit Jahren, dass die Flüchtlingszahlen steigen würden. Nur es passiert nichts. Manche Politiker betrachten Flüchtlinge immer noch als Gefährdung der inneren Sicherheit und des friedlichen Zusammenlebens. Sie sehen nicht ihr Potenzial. Das ist traurig, wenn man bedenkt, dass wir Deutsche vor zwei Generationen selbst noch in einer ähnlich bedürftigen Lage waren. Bildung ist ein Menschenrecht. Und Deutschland benötigt qualifizierte Arbeitskräfte. Die deutsche Gesellschaft kann von Flüchtlingen nur profitieren.

Würde Ihre Kritik verstummen, wenn das Bildungsministerium Ihre Hochschule fördern würde?

Kressler: Das wäre ein Anfang, aber sicher nicht die Lösung. Die ganze Bildungsstruktur muss umgebaut werden. Die Universitäten arbeiten immer noch so wie vor 500 Jahren. Innovativ wäre, wenn sich deutsche Hochschulen überlegten, wie sie sich den Bedürfnissen der Flüchtlinge anpassen könnten. So gehen ihnen hoch motivierte Studenten flöten. Viele unserer Studenten wollen Informatik, Ingenieurwissenschaften oder Architektur studieren. Genau das, was auf dem deutschen und europäischen Arbeitsmarkt gefragt ist.

Was würden Sie, Herr Aman, gerne der deutschen Bildungsministerin Johanna Wanka sagen?

Aman: Personen aus anderen Kulturkreisen fehlt es hier an Orientierung. Warum helfen die Universitäten uns nicht mehr? Mit einem simplen Einstufungstest etwa könnten sie ein bestimmtes Studium empfehlen. Es gibt viele Bildungsangebote in diesem Land. Das Problem ist, dass sie dir niemand verrät. In Afghanistan gibt es viele der deutschen Studiengänge nicht. Ich hatte Glück, weil ich einen gültigen Pass und eine Aufenthaltsgenehmigung habe. Andere haben das nicht, und vielleicht fehlt ihnen die Zuversicht, dass es ihnen in Deutschland gut gehen wird, wenn sie sich weiterbilden. Vielleicht fehlt ihnen auch das Gefühl, willkommen zu sein.

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