Ermittlungen gegen netzpolitik.org: Journalismus wird sanktioniert
Das Blog netzpolitik.org ist zwar nicht „Der Spiegel“, aber das Leitmedium der „Netzgemeinde“. Die Drohung gilt allen: Journalisten und ihren Quellen.
Erinnerungen an die Spiegel-Affäre aus dem Jahr 1962 drängen sich auf. Die politisch motivierten Ermittlungen gegen Rudolf Augstein und Kollegen kosteten Franz Josef Strauss damals das Amt des Verteidigungsministers.
Nun ist Markus Beckedahl nicht vor den Augen seines Sohnes verhaftet worden. Die Ermittler haben das Büro von netzpolitik.org in Berlin-Mitte auch noch nicht versiegelt. Und: Noch treibt es die Republik nicht auf die Straßen. Zumindest das könnte sich allerdings ändern. Netzaktivisten haben für Samstagmittag zu einer Solidaritätsbekundung in der Hauptstadt geladen.
Die große Solidarität ist kein Zufall, denn heute ist netzpolitik.org das Leitmedium der Szene. Seit ein paar Jahren schieben dann auch immer mehr Informanten den Blogbetreibern Vertrauliches zu, mithin eben auch streng Geheimes. Netzpolitik.org liefert so zunehmend Exklusives, etwa über das Ausmaß, mit dem Polizisten in Mobilfunkdaten stöbern. Auch wenn Beckedahl und Co. stets eine klare Agenda verfolgen: Sie leisten mit ihrer Arbeit Aufklärungsarbeit im besten Sinne.
Die Informationen sind frei
Als Beckedahl netzpolitik.org vor gut zehn Jahren startete, war die Seite noch ein klassisches Blog: eine Spielweise für die Kommentare des Netzaktivisten. Inzwischen begleitet eine ganze Redaktion die Digitalisierung und deren Folgen für die Gesellschaft. Sie alle sind so etwas wie aktivistische Journalisten, die eine klare Position haben: Das Internet soll frei sein – der Datenverkehr ebenso wie der Zugang zu Informationen.
In dem nun strittigen Fall hatten die Blogger treu ihrer Prinzipien anhand geleakter Dokumente publik gemacht, wie der Staat die Kommunikation seiner Bürger durchleuchtet und dabei die Grundrechte mindestens erstaunlich großzügig auslegen will.
Dass die Generalbundesanwaltschaft in dieser Sache überhaupt ermittelt, erfuhren die Blogger aus den Medien. Zuerst dachten sie noch, es seien allein ihre Quellen im Visier. Das wiederum kommt immer mal wieder vor, ist aber freilich ebenso ein behördlicher Versuch, Rechercheure und deren Informanten abzuschrecken und Enthüllungen zu verhindern. Beckedahl wollte für diesen Vorgang auch andere Journalisten interessieren. Der Fall ging allerdings weitgehend unter, bis jetzt klar wurde: Ermittelt wird auch gegen die Autoren selbst.
Seit der Spiegel-Affäre mögen sich Journalisten sicher gefühlt haben, nach dem Motto: Das traut sich niemand mehr, und wenn, dann nur gegen das Magazin konkret. Jedoch: Die Bundesregierung hat ihren Verfassungsschutz-Präsidenten nicht abgehalten. Egal wie die Sache nun ausgeht, eines steht schon jetzt fest: Journalisten leben auch hierzulande wieder in einer Zeit, in der die Mächtigen ihre Apparate einsetzen, um investigativen Journalismus zu sanktionieren.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Exklusiv: RAF-Verdächtiger Garweg
Meldung aus dem Untergrund
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei