Pornorap: Verbales Mutterficken
Orgi ist Pornorapper. Er produziert schmutzige Fantasien, inspiriert von der eigenen Geilheit. K.I.Z haben Spaß an Porno-Horror-Metaphern. Für sie ist das Kunst.
Im Frühjahr saß Orgi, der Pornorapper, auf der Anklagebank. Die Klägerin war die Feministin Alice Schwarzer, der Gerichtssaal ein ARD-Fernsehstudio. Schwarzer warf Orgi vor, dass er Frauen verachte. Sie nannte ihn „Herr Romeike“, das ist sein bürgerlicher Name, Manuel Romeike aus Berlin-Tempelhof. Orgi hörte sich seine indizierten Texte an, die Schwarzer wie ein Gedicht vortrug. Es war wie immer viel von Ficken die Rede und davon, dass die Frau das Maul halten soll. Auch von Schwänzen in Hälsen und Kotze auf Schwänzen.
Orgi, der zum Termin mit dunkler Sonnenbrille und in gestreiftem Polo-Shirt erschien, hat sehr oft das Wort „äh“ benutzt, oft auch mehrfach hintereinander. Er wirkte etwas hilflos, aber er war vor allem sauer. Mit der Redaktion hatte er vorher vereinbart, dass es nicht wieder um die indizierten Texte geht. Sie mussten ihm anschließend Geld zahlen deswegen. Außerdem hatte er gedacht, sie würden dort diskutieren. „Aber dit war da ja so nicht möglich jewesen“, sagt Orgi.
Er hat den Begriff „Pornorap“ publik gemacht, er hat ihn vor drei Jahren auf T-Shirts drucken lassen. Pornorap hat einen ziemlich miesen Ruf. Jugendliche laden sich Pornos aus dem Internet herunter, tauschen sie über Handys aus und hören auf denselben Handys Musik von Rappern wie Sido, Bushido, Frauenarzt und Orgi, der mit vollem Künstlernamen King Orgasmus One heißt. Sexualwissenschaftler, Pädagogen und Politiker fürchten, dass zu viel Pornografie die Jugend verdirbt. Die jungen Leute würden sich kaum noch küssen, sondern sich an der Gefühlskälte und manchmal auch an der Brutalität von Pornoclips und Pornorap orientieren. Bald, so die Angst, sprechen sie nicht vom ersten Kuss, dafür aber vom ersten Blowjob.
Orgi produziert, was Pädagogen und Politikern gerade Sorgen macht, und er sagt, was sie auch immer sagen: „Das Internet gibt alles frei, jede Sexart, jeden indizierten Song.“ Das ist für die das Problem und für ihn die Entschuldigung. Im Onlinezeitalter gebe es keine Zensur mehr.
Er sitzt auf einem schwarzen Ledersessel, Jeans, Puma-Jacke, keine Sonnenbrille, wippende Beine, hinter ihm Metallregale voller Platten und CDs, das Büro eines Hiphop-Vertriebs in einem Kreuzberger Hinterhof. Er hat hier nur seinen Schreibtisch stehen und einen Schrank mit Porno-DVDs, darin lagern unter anderem „Original Arschgeil“ und „Orgi Pörnchen“ eins bis drei. Er ist Pornoproduzent mit „Pornoboss Productions“ und Kleinlabel-Chef mit „I Luv Money Records“.
Schon als er 15 Jahre alt war, hat er Porno-Videokassetten verkauft. Nach der Ausbildung zum Einzelhandelskaufmann an einer Tempelhofer Tankstelle war er eine Weile arbeitslos, flog gelegentlich nach Mallorca und drehte irgendwann den ersten Porno. Gerappt hat er da schon, schmutzige Fantasien verpackt in unreine Reime. Seine Texte, sagt Orgi, seien inspiriert „von der Geilheit von einem selber“. Wenn er geil sei, schreibe er Ficktexte. Geil sein bedeutet für ihn „ficken wollen“. Er sagt: „Ich bin direkt, freizügig, für mich gibt es keine Tabus. Jeder sollte so abgehen, wie er gerade Bock drauf hat.“
Zurzeit allerdings ist Orgi treu. Er hat seit viereinhalb Jahren eine Freundin, die er „eine ganz normale, liebe Dame“ nennt. Sie ist Rechtsanwaltsgehilfin. Als sie sich einmal für ein paar Wochen getrennt hatten, ist Orgi mit dem Zug durch Deutschland gefahren und hat „überall gefickt“. Das Angebot war groß, er musste nur aussuchen. Fast jeden Tag melden sich Frauen über das Netzwerk myspace bei ihm, schreiben ihm, wie geil er ist und dass sie ihn gerne flachlegen würden. „Wenn ich keine Freundin hätte, würde ich den ganzen Tag nur noch voll am Bumsen sein“, sagt Orgi, der Pornorapper.
Es ist nicht ganz klar, wie sich Pornobilder und Pornoreime auf 15 Jahre alte Jugendliche auswirken. Es gibt in Deutschland dazu keine Studien, die Sexualwissenschaft findet an Universitäten nicht mehr statt. Wie wird man so wie Orgi?
Sex mache den Frauen Spaß, sagt er, auch mit mehreren Männern. So ist das in seiner Welt. Sie bieten sich über myspace an, ziehen sich nach dem Konzert im Hotelzimmer für ihn aus, halten ihre wunden Körperöffnungen in seine Kamera und ihre Gesichter in den Spermastrahl ihrer Arbeitskollegen, wenn er sie als Darstellerinnen für seine Filme gebucht hat. In dieser ARD-Sendung wollten ihm nun alle einreden, das sei schlimm. Sie hatten sogar eine junge Frau eingeladen, die vergewaltigt worden war. „Das ist eine Straftat“, sagt Orgi, „das hat mit Sex nichts zu tun.“ Er fühlt sich für diese ganze Verrohung, von der immer die Rede ist, überhaupt nicht verantwortlich.
Er hält die Leute aus der Sendung auch im Nachhinein noch für völlig realitätsfremd. Sie erscheinen ihm mindestens so seltsam wie er ihnen. Als die Kameras aus waren, hat er sich deshalb richtig mit seiner Sitznachbarin, einer Frauenärztin, angelegt. „Das in deinem Kopf da drin, das ist alles falsch“, hat er ihr gesagt. Orgi glaubt, dass er Dinge ausspricht, über die sonst einfach niemand redet. Die Geilheit von einem selber.
Marcus Staiger sieht das ganz ähnlich. Er ist Chef des Labels Royalbunker. Er sagt, dass Rap vieles aus dem Unterbewussten der Gesellschaft hervorholt. Das Frauenbild sei hinter das Niveau von vor 20 Jahren zurückgefallen. „Es krankt doch überall.“
Er hat ein Philosophiestudium abgebrochen und war vor zehn Jahren dabei, als der Battle-Rap in Berlin groß wurde und das variantenreiche verbale Mutterficken zu einer anerkannten Hiphop-Disziplin. Staiger war als Business-Schwabe für den Verkauf zuständig. Es gab vorher in Deutschland vor allem zwei Rap-Zentren. In Hamburg saßen die Partychaoten, in Stuttgart die politisch korrekten Gesinnungssprechgesängler. In Berlin entstand die harte Straßenvariante. Die Bilder für ihre Beleidigungstiraden nahmen die MCs aus Pornofilmen und Horrorschockern. Es wurde gefickt, gespritzt und geschlitzt. Die Texte wimmelten vor Schwänzen und Fotzen. Ironie war ganz wichtig.
Auch Sido ist anfangs im Royalbunker aufgetreten; so hieß das Café, wo sich alle trafen. Als er längst allein unterwegs war, hat er davon gerappt, wie er als 13-jähriger Junge einer gewissen „Kathrin“ seinen Arm anal einführt und dann die Faust ballt. So hat eine größere Öffentlichkeit den Battle-Rap, der aus dem Bunker kam, kennen gelernt. Von der Ironie war nichts mehr übrig.
In Staigers Label Royalbunker erscheint bald das Album „Hahnenkampf“ von K.I.Z. Bei Rock am Ring wurden sie in diesem Jahr erst ein- und dann wieder ausgeladen. Wegen ihrer expliziten Reime. Maxim, Tarek und Nico sitzen in einem Kreuzberger Café beim Frühstück. Alle tragen Nike-Schuhe, zwei von ihnen Trainingshosen. Tarek, 20 Jahre alt, sagt, dass es die Aufgabe von Eltern sei, ihren Kindern eine liebevolle Beziehung zum anderen Geschlecht zu vermitteln. Er sagt, er habe Liebe erfahren und könne deshalb Liebe geben.
Für Tarek sind die Porno-Protagonisten der Szene Menschen, „die sich lockermachen können.“ Die keuschen Reime der Studentenrapper kann er nicht leiden, das vollkommen Entsexualisierte daran. Wenn sie selbst pornografisch würden, dann immer witzig und völlig überdreht. „Das Make-up deiner Mutter macht mein Sack zum Regenbogen.“ Es geht ums Battlen, um Gegnervernichtung. Manche ihrer Texte sind so vielschichtig ironisch, dass sie sogar in einem Stück an der Volksbühne aufgeführt werden, andere widerlich brutal: „Tour zu Ende, ich bring dir dein Mädel zurück, Fotze ausgeleiert, Arsch zerfleddert, Schädel gefickt.“
„Das ist Neandertalerdenken“, sagt Tarek, man treffe den Mann, indem man seiner Frau schade. „Dumm und lächerlich, aber so ist das eben im Battle-Rap.“ Er weiß, „es gibt so ein paar Zeilen, für die könnte man uns so richtig an die Wand nageln“.
Im Gästebuch auf ihrer Internetseite haben K.I.Z. die Rubrik „sexuelle Neigung“. „Die F. Anal von Vorn mit klatschen … fick die fotzen“, steht da, oder „den Hals einer frau ficken!!!ja!des isch fett!“ Ein Fan beschwert sich, dass die Konzerte erst ab 16 Jahren freigegeben sind, wo doch viele Jüngere das sicher auch hören. Es gibt weibliche myspace-Fans von K.I.Z., die sich Schluckmieze nennen.
„Zu unseren Konzerten kommen ganz normale Mädchen, keine Schluckmiezen“, sagt Nico, kurze blonde Haare, sonnenbrandrote Haut. Viele Gästebucheinträge seien sicher so ironisch gemeint wie die K.I.Z.-Texte. Ihre Tracks würden vielleicht die Sprachverrohung bei Jugendlichen fördern. Aber keine Frauenverachtung. Sie unterhalten sich selbst im Kreuzberger Teenietürkenslang, nennen andere „Opfer“, ganz ernsthaft. Nico studiert Soziologie. Mit einer Kommilitonin redet er manchmal auch so. Wie genau? „Ey, du Fotze“? Es ist für einen Moment sehr still am Tisch. „Das ist ne Beleidigung“, sagt Tarek. „Leute von hier, die sagen nicht zu Frauen Fotze. Das ist Quatsch“, sagt Nico.
Der Unterschied zwischen ihren Texten und ihrem Leben ist beträchtlich. Sie sind nette Jungs, die Spaß an ekelhaft überdrehten Porno-Horror-Metaphern haben. Sie sagen, sie machen Kunst, die müsse einiges dürfen. Was ihnen Sorgen macht, ist die Wertevermittlung auf Sendern wie MTV, wo Formate laufen, in denen Eltern einen neuen Freund für ihre Töchter aussuchen oder junge Frauen sich das Gesicht operieren lassen.
In einer MTV-Show ist kürzlich auch ein Video des Rappers Frauenarzt auf den ersten Platz gewählt worden. Er bringt gerade ein neues Album heraus, mit Titeln wie „Sie braucht es hart“ oder „Mädel gibt Schädel“. Auf seiner myspace-Seite fordert Frauenarzt seine Fans dazu auf, den Index zu ficken. In einem Magazin ist vor einiger Zeit ein Artikel über die sexuelle Verwahrlosung Jugendlicher erschienen. Es ging auch um Vergewaltigungen, und Frauenarzt stellt dem Reporter eine Bekannte vor, die mit zwölf Männern hintereinander geschlafen hat. Er macht sich seitdem tatsächlich ein bisschen Sorgen um sein Image. Vor allem gehe es ihm schließlich um Spaß. „Ich bin doch ein guter Mensch“, sagt er.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Hoffnung und Klimakrise
Was wir meinen, wenn wir Hoffnung sagen
Abschiebung erstmal verhindert
Pflegeheim muss doch nicht schließen
Künstler Mike Spike Froidl über Punk
„Das Ziellose, das ist doch Punk“
Rechte Gewalt in Görlitz
Mutmaßliche Neonazis greifen linke Aktivist*innen an
+++ Nachrichten im Ukraine-Krieg +++
Slowakischer Regierungschef bei Putin im Kreml
Negativity Bias im Journalismus
Ist es wirklich so schlimm?