Erste Adresse als Berliner Forschungseinrichtung: Kritischer als die Studenten

Anfangs mit Stinkbomben attackiert, heute Elite-Institut: Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung feiert sein 40-jähriges Bestehen. Es ist Vorbild für interdisziplinäres Forschen.

Nicht alle Expertisen des WZB, wie hier das Gesundheitsgutachten, das Rolf Rosenbrock (l.) der Ministerin Ulla Schmidt vorlegte, sind lustig. Sie sind meist kritisch. Bild: ap

Die Pressekonferenz hat noch nicht richtig begonnen, da fliegen schon die Fetzen. Die "Roten Zellen" der Freien Universität stürmen den Konferenzsaal. Studenten skandieren Parolen gegen die "Wissenschafts GmbH der Kapitalistenklasse". Sie werfen Stinkbomben und Knallkörper. Am Schluss plündern sie das kalte Buffet.

Das alles ist 40 Jahre her. Das Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung - kurz WZB - versuchte sich damals vorzustellen, genauer der Nukleus des heutigen WZB, hinter dem die Studierenden ein groß angelegtes Privatisierungsprojekt universitärer Bildung befürchteten. Nicht etwa Sozialforscher, sondern 15 CDU- und SPD-Abgeordnete hatten 1969 als Gesellschafter die WZB GmbH in Westberlin gegründet. Aber nicht nur die Studis waren gegen das WZB, die Westdeutsche Rektorenkonferenz lehnte es ebenso vehement ab wie Westberliner Unis. Es ist die Hochphase der studentischen Reformproteste.

Selten hat sich ein Fehlstart so gut entwickelt. Heute residiert das WZB unweit des Verteidigungsministeriums in einem wilhelminischen Prunkbau und einem postmodernen, blau-pink getünchten Turm. Und nichts befürchtet man weniger als einen studentischen Aufstand, wenn das WZB am heutigen Dienstag seinen 40. Geburtstag feiert. Bundespräsident Horst Köhler und Bundesbildungsministerin Annette Schavan (CDU) haben sich angekündigt. Der wichtigste lebende deutsche Soziologe, Lord Ralf Dahrendorf, der im WZB ein Büro mit dem Lord im Türschild hat, wird die Laudatio halten. Und er wird feststellen: Das WZB ist heute kritischer und zugleich staatstragender, als es die Studenten je sein könnten.

"Viele Probleme, die wir in den vergangenen vier Jahrzehnten erforscht haben", sagt WZB-Präsidentin Jutta Allmendinger, "stehen immer noch auf der politischen Agenda - mit zunehmender Dringlichkeit." Nie hat sich das WZB im Elfenbeinturm eingerichtet, stattdessen stets die öffentliche Einmischung gesucht. Vor allem aber wird zusammengearbeitet: Rund 150 Soziologen, Ökonomen, Politologen, Historiker und Juristen tüfteln im WZB gemeinsam an ihren Studien. "Problemorientierte Grundlagenforschung", sagen sie im Haus dazu. "Uns interessieren die großen gesellschaftlichen Fragen", so Allmendinger.

Dass das WZB auch künftig kritisch auftritt, ist unter anderem ihrer Präsidentin geschuldet. Jutta Allmendinger, Soziologin, Harvard-Absolventin und Exchefin des Forschungsinstituts der Bundesanstalt für Arbeit, leitet seit 2007 als erste Frau den Wissenschaftsdampfer. Die 52-Jährige ist eine, die für ihre wissenschaftliche Überzeugung öffentlich streitet. Es ist die Frage nach der gesellschaftlichen Gerechtigkeit, die sie antreibt und deren Mangel sie anprangert, wo immer er sich ihr auftut: im deutschen Bildungs- und Sozialsystem, in der Geschlechtergleichbehandlung oder Integrationspolitik. Allmendinger steht für das WZB: forschen, einmischen, verändern.

In seinen 40 Jahren ist es dem Institut immer wieder gelungen, klangvolle Namen in die Stadt zu locken: Karl W. Deutsch, Fritz Scharpf, Gosta Esping-Andersen, Jürgen Kocka, Ralf Dahrendorf. Als es Mitte der 70er-Jahre seinen privaten Status verliert und dem Bund und Land Berlin übertragen wird, geben auch die Technische und Freie Universität ihren Widerstand auf. Heute preist FU-Präsident Dieter Lenzen die "enge Kooperation" zwischen WZB und den Unis, die für eine "einzigartige Vernetzung der Berliner Forschungslandschaft" gesorgt habe.

Und dennoch steht das WZB vor seiner vielleicht größten Herausforderung. Denn was in dem Institut schon jahrelang praktiziert wird, ist jetzt ebenfalls Maxime bundesweiter Exzellenzinitiativen: Auch die Unis bilden Forschungscluster, entdecken Interdisziplinarität und Internationalität. Dennoch, wirft Präsidentin Allmendinger ein, bewege sich das WZB in eigenen Dimensionen: Kaum irgendwo werde so disziplinoffen und international geforscht wie hier. Und selten in so weiten Zeithorizonten. Allein das gerade vom Bildungsministerium eingeführte Nationale Bildungspanel, an dem das WZB mitwirkt, soll 60.000 Bundesbürger über Jahrzehnte auf ihrem Bildungsweg begleiten. "Für solche komplexen Projekte reichen die von der Exzellenzinitiative geförderten Vorhaben nicht aus", ist Allmendinger überzeugt.

Dass sich das WZB auch diesmal durchstrampeln wird, steht im Haus außer Frage. Das Zentrum soll noch sichtbarer, internationaler, weiblicher und jünger werden. Inzwischen pflegt man Kooperationen mit Hochschulen in Harvard, London, New York und Paris. 7 Millionen Euro Drittmittel warb das WZB 2008 ein - ein Rekord. Und es ist auch ein kleiner Verdienst des 40-jährigen Forschens dieser Wissenschaftstruppe, dass sich WZB-Sprecher Paul Stoop heute freuen kann: "Dass wir 40 Jahre alt werden, darauf hätten damals wohl nicht viele gewettet. Die Antworten der Sozialwissenschaften auf die Probleme unserer Zeit finden wieder Gehör."

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