Kommentar Zwangsräumungen Spanien: Es wird weiter geräumt
Der spanische Regierungschef Rajoy hat ein neues Hypothekengesetz durchs Parlament gebracht. Das ignoriert ein Volksbegehren.
S paniens Konservative machten die Hoffnung zunichte. Im Alleingang brachte die Volkspartei (PP) von Regierungschef Mariano Rajoy eine Reform des Hypothekengesetzes durchs Parlament. Die wichtigsten Forderungen der Initiativen der von Zwangsräumungen Betroffenen und des von ihnen beim Parlament eingereichte Volksbegehren wurden dabei allerdings außer acht gelassen.
Ganz oben stand die Forderung nach Schuldenerlass für diejenigen, die ihre Wohnung verlieren. Dies wird es auch künftig nicht geben. Die Menschen, die auf die Straße gesetzt werden, weil sie drei oder mehr Monatsraten im Rückstand sind, werden weiterhin ein Leben lang Restschulden von bis zu 60 Prozent des Kaufpreises der verlorenen Wohnung abbezahlen müssen.
1,4 Millionen Bürger haben das Volksbegehren unterschrieben, mehr als zwei Drittel der Bevölkerung unterstützen den Schuldenerlass in Umfragen, doch das Wort der Banken hat bei der konservativen Regierung in Madrid mehr Gewicht.
ist Korrespondent der taz in Madrid.
Dabei ist die Lage dramatisch: Seit dem Beginn der Krise 2008 haben mehr als vier Millionen Spanier ihren Job verloren. 26 Prozent sind ohne Arbeit. Viele bekommen schon lange keine Stütze mehr. Die von Europa auferlegte drakonische Sparpolitik verstärkt die Rezession noch. Bis zum Jahresende werden weitere Hunderttausende ihre Arbeit verlieren. 400.000 Zwangsräumungsverfahren zählt die spanische Justiz mittlerweile. Im letzten Jahr waren es 500 pro Tag – Tendenz steigend.
Gleichzeitig wurden rund 150 Milliarden Euro öffentlicher Gelder und Anleihen in marode Banken und Sparkassen gepumpt. Geht es um die Bevölkerung, fehlt das Geld. Vor allem fehlt der politische Wille. Was sich in Spanien abspielt, ist symptomatisch für die Euro-Krise und die Lösungsvorschläge aus Brüssel und Berlin. Die Menschen zahlen weiter für die Spekulationsorgien der Banken. Die Zwangsgeräumten und die Anleger mit den Sparguthaben, das nicht nur in Zypern, sondern auch in Spanien zur Sanierung der Finanzinstitute herangezogen wird.
Dabei wäre die Lösung so einfach: Würde den Familien geholfen, würden sie nicht zahlungsunfähig. Das wiederum würde den Banken und Sparkassen zu Gute kommen. Die Bankenhilfe nützt jedoch nur den Banken.
Das mag naiv klingen in dieser von Merkel, der Deutschen Bank und dem Internationalen Währungsfond geführten und von den Ratingagenturen benoteten Europa. Doch sind es einfache Überlegungen wie diese, die deutlich machen, wie weit wir uns im Namen der einheitlichen Währung von den bei Festakten so gerne gepriesenen Grundpfeilern dieser Europäischen Union wie Solidarität, sozialer Gerechtigkeit und Demokratie entfernt haben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Stockender Absatz von E-Autos
Woran liegt es?
Erfolg gegen Eigenbedarfskündigungen
Gericht ebnet neue Wege für Mieter, sich zu wehren
Wahlprogramm der FDP
Alles lässt sich ändern – außer der Schuldenbremse
Grüne über das Gezerre um Paragraf 218
„Absolut unüblich und respektlos“
Tod des Fahrradaktivisten Natenom
Öffentliche Verhandlung vor Gericht entfällt
Migration auf dem Ärmelkanal
Effizienz mit Todesfolge