Krise bei Wüstenstrom-Projekt Desertec: Millionen im Sand versenkt
Fünf Jahre nach dem Start steht die Wüstenstrom-Initiative Desertec vor dem Aus. Über die Zukunft sollen die Gesellschafter kommende Woche entscheiden.
MÜNCHEN rtr | Das kriselnde Wüstenstrom-Projekt Desertec steht Insidern zufolge vor dem Aus. Wenn sich am Montag und Dienstag nächster Woche die Gesellschafter der umstrittenen Desertec Industrial Initiative (DII) in Rom treffen, dürften sie das Ende der erst fünf Jahre alten Unternehmung einleiten, wie es am Mittwoch aus Industriekreisen heißt. Die DII hält sich bedeckt und verweist auf die Versammlung der 20 Gesellschafterfirmen am Montag.
Das Scheitern der Wüstenträume hat sich schon länger angekündigt. Die meisten deutschen Technologie- und Baukonzerne wie Siemens, Bosch, E.ON oder Bilfinger haben sich bereits abgewandt, genauso wie die ursprünglich namensgebende Desertec-Stiftung.
Der Club of Rome, in dem sich Experten mit Themen wie Nachhaltigkeit und Grenzen des Wachstums beschäftigen und in dessen Mitte die Idee einst geboren worden war, kehrte der Industrie enttäuscht den Rücken. Beim ehrgeizigen Start des Projekts 2009 hatten die Manager der Energie-, Technik- und Finanzbranche noch hohe Erwartungen. Fast eine halbe Billion Euro sollte in Solarkraftwerke unter der Sonne Nordafrikas und dem Vorderen Orient investiert werden, so die Pläne. Der Sahara-Strom sollte über Verbindungen über das Mittelmeer nach Süd- und Zentraleuropa fließen und dort klimaschädliche Kohlekraftwerke überflüssig machen.
Die Rückversicherungsgesellschaft Münchener Rück machte sich zum Vorreiter des Energietraums. Längst ist auch dort Ernüchterung eingetreten. Ihre Einstellung zu den Zukunftsplänen wollen die Münchner vor der Sitzung kommende Woche nicht preisgeben. „Mal sehen wie es weiter geht“, sagte ein Sprecher.
Pech und Fehlschläge
Das auf ein halbes Jahrhundert angelegte Großprojekt stand unter einem schlechten Stern. Selbst Konzernlenker scheuten sich vor Prognosen über wenige Monate. In der spannungsgeladenen Zielregion Nordafrika brach der arabische Frühling aus, eine Zeit großer politischer und ökonomischer Unsicherheit brach an. Die Investoren agierten vorsichtiger.
Hinzu kam die Reaktorkatastrophe von Fukushima, die paradoxerweise das Fortkommen der DII erschwerte. Die Europäer wandten ihren Blick stärker auf die heimische Energiewirtschaft und trieben den Ausbau erneuerbaren Energien vor Ort voran. Ihnen kam ein rapider Preisverfall für Photovoltaikanlagen entgegen, die Kosten für Solarstrom wurden immer geringer. Die Aussicht, 15 Prozent der europäischen Gesamtenergiemenge aus Desertec-Anlagen zu bekommen, wurde immer reizloser, wenn etwa Bayern auch als Folge der deutschen Energiewende schon bis zu 35 Prozent seines Energiebedarfs aus erneuerbaren Quellen im eigenen Land beziehen kann.
Aber Desertec hatte nicht nur Pech. Von Beginn an gab es Querelen. So setzten die Europäer eher auf die vergleichsweise teure Solarthermie – die Stromgewinnung aus Sonnenhitze – und erlebten damit ein Debakel. Allein Siemens versenkte mehr als 300 Millionen Euro in der Technologie und stieg letztlich aus.
Die afrikanischen und arabischen Länder, die eigentlich Geschäftspartner werden sollten, beklagten sich anfangs über die koloniale Attitüde der Nachbarn nördlich des Mittelmeers. Es folgte ein Streit über die Aufnahme des chinesischen Netzbetreibers State Grid in den Kreis der Gesellschafter.
Die Co-Geschäftsführerin Aglaia Wieland flog im Streit über die Strategie raus. Der verblieben DII-Chef Paul van Son richtete sein Haus stärker auf die Beratung von Einzelprojekten für die heimische Stromerzeugung vom Maghreb bis zur Levante aus. Bleiben wollte er allerdings nicht mehr längerfristig, zumal die DII-Verträge Ende des Jahres auslaufen. Im Januar wechselt der Niederländer zum Energieversorger und DII-Partner RWE.
Beratungsgesellschaft denkbar
Die DII-Gesellschaft verweist unterdessen auf die Erfolge. Mit ihrer Unterstützung liefen derzeit 68 Erzeugungsprojekte in Nordafrika, vornehmlich in Algerien und Marokko. Deren Kapazität belaufe sich auf vier Gigawatt, so viel wie vier Atomkraftwerke, betonte ein Sprecher. Die DII lieferte vor allem kostbare Daten für die Standortwahl.
Sollten die Gesellschafter der DII ein neues Budget von zwei Millionen Euro nicht mehr gewähren, ist Insidern zufolge auch ein Weiterleben als Beratungsgesellschaft auf eigene Faust denkbar. Das Projekt umfasst gut zwei Dutzend Mitarbeiter. Neue Energieprojekte könnten die Münchner dann entgeltlich beraten. Ob das Büro dann weiterhin in Schwabing liegen wird, ist offen.
Energieexpertin Claudia Kemfert von Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung ist optimistisch: „Desertec war und ist interessant, wenn man die Energieversorgung in Nordafrika sicherstellen will. Die Kosten für Solar- und Windparks sinken auch dort kontinuierlich“, sagte sie. „Die Idee Strom von Nordafrika nach Europa zu bringen ist sicherlich nicht tot, aber es war auch für Desertec immer die zweite Priorität nach der Energieversorgung vor Ort. Wenn man die Energieversorgung in Europa viel stärker integriert, bleibt es eine Perspektive, sich mit Nordafrika zu vernetzen. Das ist eine Aufgabe von Jahrzehnten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind