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Kommentar Flüchtlinge in SchwerteSo geht Geschichtsklitterung

Anja Krüger
Kommentar von Anja Krüger

Flüchtlinge in früherer KZ-Außenstelle: Die Weigerung der Stadt Schwerte, die Entscheidung zu überdenken, ist borniert und geschichtsvergessen.

Mahnmal für die Opfer des KZ-Außenlagers in Schwerte. Bild: reuters

E ine Stadt zeigt sich uneinsichtig. Es ist schon abenteuerlich, wie resistent sich die politischen Verantwortlichen in Schwerte gegenüber der Kritik zeigen, dass eine ehemalige Außenstelle des Konzentrationslagers Buchenwald kein angemessener Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen ist. Die Not der Kommunen ist groß, Flüchtlinge vernünftig unterzubringen. Trotzdem nimmt es einen den Atem, dass an einem solchen Ort Flüchtlinge untergebracht werden sollen.

Es mag Unbedarftheit gewesen sein, die die Stadt zu dieser Entscheidung gebracht hat: Was könnte das für ein Problem darstellen, wo in dem anvisierten Gebäude doch schon ein Waldorfkindergarten, Künstler und andere Nutzer untergebracht waren?

Nachdem sie auf das Problem hingewiesen wurde, hätten die Stadtoberen zurückrudern und ihren Fehler korrigieren können. Aber stattdessen reiten sie Attacke gegen ihre Kritiker. Das ist erbärmlich. Und noch erbärmlicher ist es, dass – bis auf die Linkspartei – alle im Stadtrat vertretenen Fraktionen mitmachen, von der CDU über SPD und FDP bis zu den Grünen.

Die bornierte und ignorante Haltung, mit der die Stadt auf die Kritik von Flüchtlingsinitiativen, NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) und von jüdischen Gemeinden reagiert, ist mindestens so empörend wie die ursprüngliche Entscheidung – und der eigentliche Skandal in dieser Angelegenheit. Die politisch Verantwortlichen loben sich selbst, wo Selbstkritik angebracht wäre.

Bei seinem Auftritt am Freitag vor der Presse vermied Bürgermeister Heinrich Böckelühr geflissentlich, überhaupt von einer KZ-Außenstelle zu sprechen. Stattdessen wählte er lieber den Begriff „Eisenbahnausbesserungswerk“ – für das waren die Häftlinge tätig. So geht Geschichtsklitterung.

Trotzdem behaupten der Bürgermeister und die ihn unterstützenden Ratsparteien in ihrer gemeinsamen Erklärung, Schwerte habe wie kaum eine andere Stadt historische Aufklärung betrieben. Die Botschaft ist: Wir haben unsere Pflicht in Sachen Vergangenheitsaufarbeitung getan, und nun muss wirklich mal Schluss damit sein. Aber: Ein Tatort nationalsozialistischer Verbrechen bleibt ein Tatort – auch 70 Jahre nach der Befreiung vom Faschismus. Und damit ist er kein geeigneter Ort zur Unterbringung von Flüchtlingen.

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Anja Krüger
Wirtschaftsredakteurin
Buchveröffentlichungen: „Die verlogene Politik. Macht um jeden Preis“ (Knaur Taschenbuch Verlag, 2010), „Die Angstmacher. Wie uns die Versicherungswirtschaft abzockt“ (Lübbe Ehrenwirth, 2012).
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12 Kommentare

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  • Warum nimmt es einem den Atem, wenn Flüchtlinge an einem solchen Ort untergebracht werden?

     

    Im Gegensatz zum Faschismus werden die Menschen hier nicht gequält sondern es wird Flüchtlingen geholfen.

     

    Einige Zuschriften weisen darauf hin, dass das Gebäude nach dem 2. WK gebaut wurde. Ist das so? Wenn ja, was genau stört die Bedenkenträger?

     

    Sind Turnhallen besser geeignet?

  • Zur Sache will ich mich als Beteiligter vor Ort gar nicht äußern. Ich gehöre zu denen, die zu diesem gemeinsam getragenen Vorgehen in Schwerte stehen!

    Was mich nur sehr wundert und als langjähriger Taz-Leser ärgert ist Folgendes: die Behauptung der Redakteurin, der Bürgermeister hätte geflissentlich vermieden, von einem KZ-Außenlager zu sprechen und stattdessen vom Eisenbahnausbesserungswerk gesprochen, ist nicht wahr!

    Ich war dabei wie die Redakteurin auch! Allein in der verlesenen und anschließend verteilten Presseerklärung ist schon 2x das KZ-Außenlager genannt. In den weiteren Ausführungen des Bürgermeisters fiel zwar auch einige Male das Wort Eisenbahnausbesserungswerk, mindestens genauso häufig aber auch KZ-Außenlager!

    Bei der Boulevardpresse hätte mich Derartiges nicht gewundert, sehr wohl aber bei einer Taz-Redakteurin!

    Das ist Geschichten-Klitterungen!

  • Man kann aus jeder kleinen Kacke ein Thema machen.

  • Hier am Alex ist ein Gebäude wo die Nazis früher Menschen folterten und jetzt wird es von der Polizei genutzt. Ich dachte erst es wird der Gemeinde vorgeworfen das sie die Gebäude nicht für Flüchtlinge nutzen wollen aber es wird scheinbar vorgeworfen das sie die Gebäude für Flüchtlinge nutzen wollen. Also man sollte vor allem an die Not der Flüchtlingsfamilien denken anstatt zu diskutieren. Das Haus wird ja hoffentlich keine kalte Baracke sein oder so, das wäre dann kritikwürdig.

  • wenn ich bedenke, wieviele ehem. von den nazis errichtete und genutzte dienstgebäude von den behörden genutzt werden, ohne dass es jemanden juckt, dann verstehe ich die aufregung wirklich nicht.

    • @Paturuzu:

      Sie halten KZ´s also für ganz gewöhnliche Dienstgebäude?

  • Ich bin Flüchtlingsaktivist und ich muss sagen, dass ich diese Kritik in der Form so nicht zielführend halte. Natürlich hat es ersteinmal ein Geschmäckle, Flüchtlinge in einem ehemaligen KZ-Gebäude unterzubringen.

     

    Aber wie sich jetzt herausstellt, ist das Gebäude ja sogar erst nach dem 2. WK errichtet wurden und lediglich auf dem ehemaligen Gelände. Ich kann nicht erkennen, wer irgendetwas davon gewinnt, wenn man dieses Gebäude ungenutzt verrotten lässt. Man sollte es doch lieber sinnvoll nutzen - so wie es jetzt angedacht ist und ja auch früher wohl praktiziert wurde - und mit einer solchen Nutzung dem "Andenken" der Nazis widersprechen. Wir sollten auch nicht ich ewige Schockstarre verfallen ob der grausamen deutschen Geschichte sondern es als Auftrag verstehen, uns umso mehr für Flüchtlinge und humanitäre Zwecke einzusetzen.

  • Mal davon abgesehen, dass die Flüchtlinge in Gebäuden untergebracht werden, die in den fünfziger Jahren errichtet wurden, halte ich diese Diskussion für reichlich aufgeblasen.

  • Ja genau, lasst uns nochmal ein halbes Jahr über einen anderen Standort diskutieren. Das ist bestimmt auch im Sinne der Flüchtlinge, die sich sicherlich gerne noch etwas länger der Verfolgung in ihren Heimatländern ausgsetzen, damit sie nicht auf einem solch historisch belasteten Gelände untergebracht werden müssen.

  • Aber eine Funktion als Kindergarten oder Kunstatelier ist okay oder was?

    • @John Farson:

      ja, es ist schon problematisch, wenn ehem. Grundstücke der Nazis, auch ehem. Nazi-Gebäude genutzt werden. So z. B. das gigantische Gauforum in Weimar. Dort sind jetzt Landes-Verwaltungen zu finden - nur ein kleiner Teil ist Gedenkstätte.

  • An dem Ort der Unterbringung und der Allgemein miesen Behandlung sieht man deutlich was die Regierung von Flüchtlingen hält.