Schockierende Zahlen: Türken gehen in Berlin unter
75 Prozent der Migranten türkischer Herkunft haben keinen Schulabschluss, fast jeder zweite ist arbeitslos. Eine Studie zeigt, dass es Migranten in Berlin besonders schwer haben, einen Job zu finden.
Jeder zweite Berliner türkischer Herkunft lebt von Sozialleistungen. Das geht aus einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) hervor, die heute veröffentlicht wird. Allein die Arbeitslosenquote der türkischstämmigen Migranten liegt demnach bei 44 Prozent. "Das Problem ist bei dieser Gruppe deshalb so gravierend, weil drei Viertel keinen Schulabschluss nachweisen können. Das ist dramatisch", sagte Karl Brenke, der die Studie verfasst hat, am Dienstag zur taz.
Der Soziologe, der auf Arbeitsmarktpolitik und Regionales spezialisiert ist, hat die ökonomische Lage von Migranten in Berlin mit der in anderen deutschen Städten verglichen. Dabei berücksichtigte er nicht nur Ausländer, sondern auch Deutsche mit Migrationshintergrund. Brenkes Erkenntnis: In Großstädten ist die Arbeitslosigkeit unter Zuwanderern generell doppelt so hoch wie die der übrigen Bevölkerung. Weil in Berlin die Erwerbslosigkeit weit über dem Bundesdurchschnitt liegt, erreicht hier die Unterbeschäftigung von Migranten besonders heftige Ausmaße: Jeder Dritte war 2005 arbeitslos gemeldet.
Zuwandererhaushalte bestehen im Schnitt aus 3,2 Personen und haben 1.500 bis 1.700 Euro zur Verfügung - ein geringeres Einkommen als die restlichen Berliner. Vor allem die zweite und dritte Generation der Migranten ist laut Brenke auf die Hilfe des Staates angewiesen. In West-Stadtteilen wie dem nördlichen Neukölln, Kreuzberg, Wedding und Moabit lebten besonders viele Zuwanderer, die alleine nicht über die Runden kommen.
Brisant sind die Zahlen vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung. Heute stammt jeder vierte Berliner nicht aus Deutschland. Der Anteil wird in Zukunft aber rasant steigen: Bei den Kindern haben 43 Prozent einen Migrationshintergrund. Wenn Berlin es nicht schaffe, die Kinder bildungsferner Schichten besser als ihre Eltern zu qualifizieren, sei das auch für die Zukunft der Wirtschaft in der Stadt ein großes Problem, glaubt Brenke.
Den Türkischen Bund in Berlin-Brandenburg überraschen die Ergebnisse der Studie nicht. "Sie zeigen, dass wir gezielte Maßnahmen brauchen, um gerade junge Leute im Arbeitsmarkt zu integrieren", sagte die Sprecherin Eren Ünsal. Das deutsche Schulsystem biete Kindern aus sozial benachteiligten Familien zu wenig Möglichkeiten. "Chancengleichheit ist nach wie vor nicht gewährleistet."
Auch der Integrationsbeauftragte Günter Piening sagte: "Eine stärkere Eingliederung der Migranten ins Arbeitsleben ist die Schlüsselfrage Berlins." Die Integrationskonzepte des Senats zielten genau darauf ab. Die Einrichtung von Gemeinschaftsschulen und der öffentliche Beschäftigungssektor kämen den Migranten ebenfalls zugute.
Die DIW-Studie berücksichtigt nur Daten von 2005. Seitdem habe sich jedoch viel getan, sagte Piening. "Es gibt inzwischen eine leichte Verbesserung bei der Erwerbslosigkeit." Auch die Zahl der jungen Migranten ohne Berufsabschluss sei etwas zurückgegangen. "Aber keine Frage: Wir haben noch einen langen Weg vor uns."
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Christian Lindner
Die libertären Posterboys
Außenministerin zu Besuch in China
Auf unmöglicher Mission in Peking
Olaf Scholz’ erfolglose Ukrainepolitik
Friedenskanzler? Wäre schön gewesen!
Neuer Generalsekretär
Stures Weiter-so bei der FDP
Rücktrittsforderungen gegen Lindner
Der FDP-Chef wünscht sich Disruption
Zuschuss zum Führerschein?
Wenn Freiheit vier Räder braucht