: Freiburg soll bald „sauber“ sein
■ Nach der Räumung des Hauses „Willy 36“ soll in Freiburg nun gänzlich mit der alternativen Szene aufgeräumt werden / Konzept der Befriedungspolitik des OB Böhme unter christdemokratischem Beschuß
Aus Freiburg Thomas Scheuer
Vor wenigen Tagen erst, pünktlich zum Auftakt der touristischen Saison, konnte Freiburgs Oberbürgermeister Rolf Böhme die Preise des Fassadenwettbewerbs „Schöneres Freiburg“ verteilen. Ein besonders gelungenes Beispiel für aktive Stadtbildverschönerung kam zum Wettbewerb zu spät: Nachdem das seit Jahren besetzte Haus „Willi 36“ am vergangenen Freitag morgen geräumt worden war, ließen Freiburgs Saubermänner sogleich die bunte Protestbemalung mit einem dreckigen Braun–Grau übertünchen. Dieser Schandfleck wird nun Tag und Nacht bewacht, da wegen eines letzten Mieters mit gültigem Mietvertrag das Haus nicht einfach zugemauert werden kann. Die Räumung der „Willi 36“ war die „erste Antwort“, so OB Böhme, seitens der Stadtoberen auf die schweren Krawalle in der Nacht auf den Pfingstsonntag. Um die 100 bis 150 Aktivisten hatten gegen Mitternacht völlig unerwartet auf einigen Straßen des Sanierungsgebietes „Im Grün“ aus Baustellenmaterial Barrikaden gestapelt, diese sowie zahlreiche Fahrzeuge angezündet, eine Tankstelle geplündert und sich heftige Schlachten mit einer völlig überraschten Polizei geliefert. Obwohl die Identität der Krawallisten völlig ungeklärt ist, nahm das rechte Spektrum im Gemeinderat und Behörden die Pfingstscherben zum willkommenen Anlaß, eine Säuberungsoperation einzuklagen. Nach der bislang gedulteten „Willi 36“ scheint nun das letzte besetzte Haus am Schloßbergring akut räumungsgefährdet. Es wurde kurzfristig auf die Tagesordnung der Gemeinderatssitzung am heutigen Dienstag nachgeschoben. CDU und Polizeiführung wollen die Gunst der Stunde gleich zum Rollback gegen die gesamte Szene nutzen. Vergeblich hatten die Christunionisten letztes Jahr unter dem Stichwort „Chaotenhochburg Freiburg“ OB Böhme wegen seiner angeblich „chaotenfreundlichen Gebäudeüberlassungspolitik“ attackiert. Im Gegensatz zum direktgewählten SPD–Oberbürgermeister sind die Sessel der mittleren Verwaltungsbehörden sämtlich mit CDU–Statthaltern von Stuttgarts Gnaden besetzt. Denen, ebenso wie dem lokalen CDU–Klientel, ist besonders die „Grether–Fabrik“ ein Dorn im Auge, ein altes Fabrikareal im Zentrum des Sanierungsviertels, in dem sich zahlreiche alternative Projekte einge richtet haben. Nach langem hin und her beschloß das Stadtparlament erst kürzlich, dem Arbeitskreis Alternative Kultur (AAK) dort eine große Halle zwecks Kulturzentrum zu überlassen. Das Projekt gilt als eine wichtige Säule in Böhmes Befriedungspolitik gegenüber der Freiburger Szene. Und diese schien bisher zu tragen: In der Pfingstnacht sprang der Funke der zusammenhangslosen Randale eben nicht über auf jene rund tausend Besucher der Grether–Fabrik, die dort bei „Polizeistaats–“ und „Revoluzzer–Cocktails“ den 10. Geburtstag des in freudiger Lizenz–Erwartung befindlichen „Radio Dreyeckland“ feierten. Vergeblich versuchten die schwarzen Trupps die Festteilnehmer mit dem Gerücht von einer kurz bevorstehenden Räumung der „Willi 36“ zu mobilisieren, eine Isolierung, die OB Böhme prompt als Erfolg seiner Leitlinie „Ja zur Toleranz, Nein zum Rechtsbruch“ feierte. Polizeidirektor Schreiber hingegen sieht in der bevorstehenden Räumung des Schloßbergrings nur einen Zwischenschritt in seinem Feldzug gegen die „Infrastruktur“. Die CDU will vom Gemeinderat den frischen Vertrag mit der Grether– Fabrik wieder aufkündigen lassen. OB Böhme fordert vom AAK ultimativ eine Distanzierung von den Krawallen. Derweil drehen die Freiburger Straßenkehrmaschinen weiterhin ums Münster ihre Runden. Auf ihnen prangt der überlieferte Slogan: „Sufer ischs un glatt, z Friburg in dr Stadt.“
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