Kritik an Germany's Next Topmodel: Verbeultes Finale
Am Donnerstag endet die Castingshow. Kritik, die Sendung fördere Magersucht, kontert ProSieben mit Zynismus. Lange wird das nicht gutgehen.
BERLIN taz | Mit einer großen Beule biegt Heidi Klum in die Zielgerade von Germany's Next Topmodel (GNTM) ein. Für Donnerstag ist das finale Stöckeln in einer großen Show in Mannheim angesagt. Die Beule besteht aus den Worten „mörderisch“ und „Essstörungen“.
„Mörderisch“ hat der Chefarzt der Alexianer-Klinik in Köln, der Psychiater Manfred Lütz, die Show in der Bild-Zeitung genannt. Weil Magersucht eine Krankheit sei, an der 10 bis 15 Prozent der Patientinnen sterben. Und weil eine Studie des Internationalen Zentralinstituts für Jugend- und Bildungsfernsehen (IZI) ergab, dass 70 von 241 befragten Frauen, die wegen Essstörungen in Behandlung waren, angaben: GNTM habe einen starken Einfluss auf ihre Erkrankung gehabt.
Noch versucht ProSieben, diese Beule zu ignorieren. Die IZI-Studie kommentierte der Sender knapp: Übergewicht sei ja wohl ein größeres Problem als Magersucht. Klums Show sei ein klarer Appell, sich gesund zu ernähren und Sport zu treiben. Manfred Lütz schickte der Sender zwei Freikarten – für seine Töchter. Und die nächste Staffel für 2016 ist schon geplant.
Doch die Beule bleibt sichtbar. Dafür sorgt unter anderem Stevie Schmiedel. Ihre NGO „Pinkstinks“ lobbyiert gegen die Fixierung auf unrealistische Körperbilder bei jungen Frauen. Die Organisation begleitet GNTM mit der Kampagne „Kein Bild für Heidi“ und einem Theaterprojekt, das die Körperfixierung thematisiert. Schmiedel forderte von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB), die die Aufsicht über ProSieben hat, die Sendung als jugendgefährdend einzustufen. „Wenn das Mindestalter 16 Jahre betrüge, dann dürfte die Sendung erst ab 22 Uhr gesendet werden“, so Schmiedel.
Nicht die einzige Ursache
Die MABB reagiert zögerlich. Theoretisch muss sie die Beanstandung der Kommission für Jugendmedienschutz (KJM) vorlegen, die dann eine Altersfreigabe festlegt. Man warte erst mal auf die offizielle Veröffentlichung der Studie im Juli, heißt es aber aus der Medienanstalt. Die KJM wiederum hatte sich schon zur ersten Staffel geäußert, die 2006 ausgestrahlt wurde: Sie sei „der Auffassung, dass problematische Szenen relativiert wurden, indem kritische Kommentare (’Du bist zu dick‘) ausdrücklich auf die beruflichen Anforderungen an ein Laufstegmodel bezogen wurden“. Die Sendung könne „nicht als Entwicklungsbeeinträchtigung oder Gefährdung von Jugendlichen bewertet werden“.
Kann man eine solche Beurteilung beibehalten, wenn 29 Prozent einer Gruppe von Essgestörten angeben, dass die Klum-Show die eigene Krankheit „besonders beeinflusst“ habe? Maya Götz meint: Nein. Sie ist Autorin der Studie des IZI und macht auf die psychischen Zusammenhänge aufmerksam. Natürlich sei die Show nicht die einzige Ursache für eine Essstörung. So sei etwa ein angeknackstes Selbstwertgefühl ein weiterer Risikofaktor. Aber die Zuschauerinnen seien eben in einem sehr vulnerablen Alter.
Die Sendung treffe auf Mädchen in der Vorpubertät und Pubertät. Das sei ein Alter, in dem das Selbstwertgefühl zusammenbreche, weil man sich nun mit dem weiblichen Idealbild auseinandersetze, dem man meist nicht entsprechen könne. „Die Show haut genau in diese Kerbe: Den verunsicherten Mädchen wird nun beigebracht, dass sie mit Leistung, absoluter Anpassung und Selbstverleugnung die begehrte Aufmerksamkeit erringen können. Und das sind exakt die Züge, die auch essgestörte Mädchen zur Selbstschädigung motivieren.“
Von der Medienaufsicht erwartet Götz nicht viel. Wohl aber vom Sender selbst: ProSieben könnte sich dazu verpflichten, Kandidatinnen nur ab einem bestimmten Body-Mass-Index aufzunehmen. In der Show könnte klarer gemacht werden, dass nur 4 Prozent der Mädchen überhaupt die gewünschten Maße mitbringen. Und sie könnten den jungen Frauen mehr Freiraum lassen. Da könnten sich auch mal ein paar weigern, halbnackt mit einem Männermodel zu knutschen – ohne dass ihnen gleich der Rauswurf droht.
Abgesetzt wird die Sendung wegen der Kritik wohl nicht. Aber die desaströse Reaktion darauf wird ProSieben auch nicht durchhalten können. Der Sender wird die IZI-Kritik in irgendeiner Form zumindest als Alibi integrieren. Nächstes Jahr könnte auf der Beule der Heidi Klum ein Feigenblatt kleben.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Vorsicht mit psychopathologischen Deutungen
Polizeigewalt gegen Geflüchtete
An der Hamburger Hafenkante sitzt die Dienstwaffe locker
Lohneinbußen für Volkswagen-Manager
Der Witz des VW-Vorstands
Rekordhoch beim Kirchenasyl – ein FAQ
Der Staat, die Kirchen und das Asyl
Kochen für die Familie
Gegessen wird, was auf den Tisch kommt
Preise fürs Parken in der Schweiz
Fettes Auto, fette Gebühr