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Kommentar Schutz von ReligiositätReine Gefühlssache

Martin Kaul
Kommentar von Martin Kaul

Wegen „Charlie Hebdo“ leiden wieder die Großmuftis und die CSU will den Blasphemieparagrafen verschärfen. Wer schützt die Gefühle von Atheisten?

Statt religiöser Symbole lieber die Freiheit der Vernunft. Bild: reuters

W enn alle so weinerlich wären wie die Strenggläubigen dieser Welt, dann, so viel ist sicher, gäbe es nicht mehr allzu viel. Nach Erscheinen der jüngsten Ausgabe des Satiremagazins Charlie Hebdo litten Großmuftis und andere Sensible wieder an verletzten Gefühlen. In Deutschland möchten die Vorzeigechristen der CSU den Strafgesetzbuchparagrafen 166 verschärfen. Der stellt die Beleidigung religiöser Befindlichkeiten unter Strafe, wenn dadurch der öffentliche Frieden gestört wird.

Der Paragraf droht also denjenigen, auf die andere mit Gewalt reagieren. Nach und nach ist das „religiöse Gefühl“ zum Standardinventar einer Auseinandersetzung geworden, der etwas Gefährliches zugrunde liegt: die Irrationalität, ihrerseits Grundlage des Religiösen. Und doch bleibt das religiöse Gefühl eines von besonderer Güte: bevorzugt, geachtet, überbewertet.

Selbst im deutschen Pressekodex, dem sich JournalistInnen gemeinhin verpflichtet fühlen, heißt es, die Schmähung religiöser, weltanschaulicher oder sittlicher Überzeugungen komme nicht infrage. Immerhin: „Überzeugungen“, nicht „Gefühle“. Doch gerade jene Medien, die jetzt vorgeben, an der Seite von Charlie Hebdo zu stehen, verzichteten in der Vergangenheit bevorzugt auf besonders religionskritische Karikaturen.

Aber was begründet eigentlich eine öffentliche Hierarchisierung von Gefühlen? Warum sind die Befindlichkeiten antiemanzipatorischer Glaubensgemeinschaften mehr wert als die anderer? Und was ist mit jenem Set von Gefühlen, die die Agnostiker, Atheisten, die aufgeklärt Gottlosen dieser Welt zu bewältigen haben, wenn sie täglich mit unnützen Theologismen in Funk und Fernsehen malträtiert werden?

Die Sporen des Religiösen weben sich immer stärker durch den Alltag der säkularen Gesellschaft. Das ist gefährlich: Religiöse sind nicht die schlechteren Inhaber von Gefühlen. Aber auch nicht die besseren.

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Martin Kaul
Reporter
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26 Kommentare

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  • F: Warum greifen impotente Atheisten nicht zu Viagra?

    A: Sie glauben nicht an die Auferstehung.

  • Ich fühle mich auch massiv in meinen Glauben, meinen Gefühlen verletzt!

    .

    Dieses Gebimmel am Sonntag Vormittag, da reden Leute in meinen Alltag rein, die das nichts angeht. Ich muss an Tagen arbeitsfrei machen die mich nicht interessieren,.... wenn ich den 8. Mai, den 7. November, den 14. Juni... festlich begehen will... gibt es Probleme.... Ich bezahle ohne gefragt zu werden Gehälter, Ausbildung, irgendwelcher Sekten-Funktionäre mit, muss selbst die Indoktrination von Kindern in der Schule mit den Inhalten verschiedener historischer Sekten hinnehmen.... usw. .....

    .

    Ok, jeder soll nach seiner Facon selig werden!... kein Thema... so viel Freiheit für alle MUSS sein, ... aber die, die "Glauben" an was auch immer, für sich selbst wichtig finden, sollen aufhören MICH damit zu belästigen und MEINE Gefühle zu verletzen!....

    .

    Haarschnitt, Kleidung, Essgewohnheiten, Sprache, Glauben usw.... meiner Mittmenschen will ich nicht bestimmen, aber die bitte schön auch meinen Alltag nicht!...

    .

    Freiheit, auch Glauben!!!! hat da Grenzen, wo sie/er Andere einschränkt!....

    .

    Meint Sikasuu

    • @Sikasuu:

      Was siehst du aber den Splitter im Auge deines Bruders, die fette immer lärmende Karre aber vor deinem eigenen Hause bemerkst du nicht?

    • @Sikasuu:

      Nachtrag: Schon bei den "alten" Griechen gibt es die Ansicht, nicht "Gott" habe dei Menschen, sondern die Menschen haben sich die Götter gemacht. Eine mMn. sehr logische Idee.... Es ist verwunderlich, das diese Art von "Bewusstseinsstörung" immer noch in unserer Zeit nach fast 3.000 Jahren DENKEN "Schutzrechte" zugebilligt bekommt!

      .

      S.

      • @Sikasuu:

        Und ich wundere mich über nichts mehr sondern bin nur noch entsetzt über unsere Elite, die nicht in der Lage sein will, etwas konstruktives für unsere soziale Situation zu tun. Aber über die Bösen Christen etc. schwadronieren.

      • @Sikasuu:

        Daß die Götter von Menschen erfunden wurden, bedeutet nicht, daß sie keinen realen Nutzen erfüllen. Sonst müßten Sie ja alle anderen Produkte menschlicher Kreativität, seien sie fiktiv oder konkret, ebenfalls als Bewußtseinsstörung abtun - insbesondere Philosophie, Kunst und Kultur.

  • "Religiöse sind nicht die schlechteren Inhaber von Gefühlen. Aber auch nicht die besseren."

     

    Richtig. Warum wird also nicht mal zur Abwechslung auf die Gefühle der Atheisten rumgetreten ;-) Immer nur Religionsbashing ist doch langsam langweilig! Gäääähn...

     

    Wie stehen eigentlich die Atheisten zu ihrem aktuellen "Best of all" Atheisten dem kleinen fetten Führer Kim Jong-un? Wurde der schon exkommuniziert?

  • Die vorhandenen Gesetze gegen Volksverhetzung, Beleidigung oder die Anleitung zu Straftaten reichen vollkommen aus, um weltanschauliche Bekenntnisse hinreichend zu schützen. Der § 166 hat - wie auch die künstlich aufgeregte Diskussion und Artikel - juristisch keinen weiteren Mehrwert

  • "Und was ist mit jenem Set von Gefühlen, die die Agnostiker, Atheisten, die aufgeklärt Gottlosen dieser Welt zu bewältigen haben, wenn sie täglich mit unnützen Theologismen in Funk und Fernsehen malträtiert werden?"

     

    Wenn alle so weinerlich wären wie die Atehisten und Agnostiker dieser Welt, dann, so viel ist sicher, gäbe es nicht mehr allzu viel.

  • "Wer schützt die Gefühle von Atheisten?"

     

    Was? Gefühle brauchen ein Objekt, uns sei es ein fiktives. Da Atheismus gar kein Objekt hat, können Atheisten diesbezüglich auch keine Gefühle haben.

  • ich fühle regelmäßig betroffen und werde sehr zornig, wenn ich auf kreationistische Machwerke stoße.

    Vielleicht sollte ich es mal mit diesem Paragrafen probieren :)

    • @nutzer:

      Bei soviel Zorn müssen ja selbst die Anhänger des Spagettimonster Angst vor ihnen haben ;-)

  • "Die Sporen des Religiösen weben sich immer stärker durch den Alltag der säkularen Gesellschaft."

     

    Diese Feststellung ist nicht richtig. Man muss nicht im Osten leben, wo der "real existierende Sozialismus" es geschafft hat, Religiösität zu einer gesellschaftlichen Randerscheinung zu machen, auch im Westen, selbst im tiefsten Oberbayern, spielt die christliche Verwurzelung nicht mehr die dominante Rolle wie noch vor 30 Jahren.

     

    "Religiöse sind nicht die schlechteren Inhaber von Gefühlen. Aber auch nicht die besseren."

     

    Treffend bemerkt. Ansonsten sehe ich nicht, dass die Religion in Deutschland aktuell einen eher schlechten Einfluss auf das gesellschaftliche Zusammenleben hätte. Eher das Gegenteil: Dort, wo religiöse Traditionen ganz fehlen, ist leider viel zu selten ein gesunder Humanismus an deren Stelle getreten und ist es leider viel zu häufig zu einer weitreichenden Sinnentleerung gekommen.

  • "...Religion. Ihr auch die noch zu nehmen, bedeutet, ihnen den Rest ihrer Würde auch noch zu rauben.", das erzählen Sie mal den Toten in den KZs der Deutschen. Soviel zu 'Religion', 'Gott' und dem ganzen Käse.

    • @Fotohochladen:

      Können Sie mal erklären was Sie eigentlich sagen wollen. Hitler und seine Schergen hatten mit Religon nichts zu tun. Genauso wenig wie Mao oder Lenin/Stalin oder Einstein. Der ar massgeblich an der

      Entwickling der Atombomb beteiligt.

      • @serbmem:

        Er meint wahrscheinlich, dass der Begriff "Jude" bzw. der Holocaust mit Religion nichts zu tun hat.

  • irgendwo im Himmel über den Wolken müsste Jesus und Mutter Maria leibhaftig sein, denn es heisst ja , die beiden sind, leibhaftig, aufgefahren, naja, lasst die Leute doch glauben, was sie wollen, das Bild oben sagt doch alles, ein paar alte Männer klammern sich an was??? fest, Glauben ist doch ok, aber diese Schau, die dei RKK abzieht ist eher peinlich !

  • Dem Tenor des Artikels stimme ich zu und sähe den §166 am liebsten ersatzlos gestrichen. Trotzdem lohnt es sich, die Problematik im globalen Kontext zu betrachten: Offensichtlich existiert eine relevante Zahl von Muslimen, die das Bilderverbot ihrer Religion sehr ernst nehmen, ihren Propheten nicht dargestellt und schon gar nicht karikiert sehen wollen. Das ist auch im Westen bekannt und war es bereits lange vor den ersten „Mohammed-Karikaturen“. Ebenso vorhersehbar sind die Reaktionen. Wird im Westen eine solche Karikatur veröffentlicht, demonstrieren danach weltweit beleidigte Muslime, gewaltsame Ausschreitungen gegen „Anders- oder Ungläubige“ inbegriffen. Das stärkt Zusammenhalt und Identität solcher Orthodoxen, jeder neue Anlaß liefert neue Argumente für „Respektlosigkeit“ des Westens, vergrößert den Haß. Nun steht es bei uns glücklicherweise jedem frei, solche Karikaturen zu veröffentlichen. Aber beweisen wir uns damit nicht nur immer wieder aufs Neue, dass fundamentalistische Muslime oder (die kryptorassistische Variante) „der Islam“ schnell zu beleidigen sind? Bestätigen uns, was wir eh schon wissen: dass „die“ hinterwäldlerisch, schnell beleidigt, unaufgeklärt sind? Ich halte es für kindisch zu glauben, Milliarden Religiöser ließen sich durch Provokationen zu Laizisten oder gar zu Atheisten „bekehren“. Hinzu kommt: Es ist ein Unterschied, ob ich meine eigene Religion kritisiere – oder von „den anderen“ kritisiert werde. Zumal wenn die „anderen“ mit den westlichen Imperialisten identifiziert werden. Da ist es gleichgültig, dass CH schlichtweg alle, auch die Imperialisten, karikiert hat.

  • Der § 166 ist ob seiner perversen Beweislastumkehr und mangelnden Normenklarheit eh eine Schande für den Rechtsstaat.

     

    "Religiöse Gefühle" sind nicht objektivierbar, als Tatbestandsmerkmal taugen die deshalb auch nicht.

     

    Und die Störung des öffentlichen Friedens geht ja von der Partei aus, die mit Gewalt oder sontigen negativen Folgen droht, nicht von einer Karikatur!

  • 1G
    10236 (Profil gelöscht)

    Bin selber (wahrscheinlich) (noch) kein Atheist, aber da es nie schlecht sein kann, eigene Religion im Zaun zu halten:

     

    https://www.youtube.com/results?search_query=atheism+tapes

  • Gott, Propheten, der Glaube an sich sind Produkte der Menschen ebenso die dazugehörigen Tempel und sog. heiligen Stätte. Vielleicht entstanden aus einem menschlichen Bedürfnis. Die Literatur, Kunst (Architektur, Malerei, Zeichnungen, Bildhauerei etc.) sind auch ohne Zweifel die menschlichen Produkte. Selbst diese einpaar Zeilen stammen von einem Menschenkind. Warum sollte ein/e/r heiliger sein als die Anderen?

    • @ERDOĞAN IŞIK:

      Das ist schnell erklärt: Weil eine Religion denjenigen, die alles verloren haben, ihre Identität zu bewahren helfen kann und gelegentlich dafür sogar Voraussetzung ist.

       

      Beispiel Palästina: Es wurde nicht etwa geteilt, sondern vollständig zerstört, sowohl territorial, materiell als auch kulturell. Sie hausen zahllosen Lagern und Restgebieten. Wenn es Palästinenser als Volk noch gibt, dann vor allem aufgrund ihrer gemeinsamen Religion. Ihr auch die noch zu nehmen, bedeutet, ihnen den Rest ihrer Würde auch noch zu rauben.

       

      In anderen Ländern sind die Verhältnisse, wenngleich auch nicht ganz so schlimm, so doch in vielerlei Hinsicht ähnlich, haben sie sich von der Kolonialzeit doch noch immer nicht erholen können. Deshalb ist es wenig erstaunlich, dass sie bei Angriffen auf ihre Religion so empfindlich reagieren.

       

      Da die Westpresse das nicht begreift und auch das Anstandsgefühl vieler Journalisten verloren gegangen ist, ist eine deutliche Verschärfung des § 166 StGB offensichtlich erforderlich.

      • @Müller Peter:

        Was ist daran eine Erklärung ?

        Ausser absurden Annahmen nichts Substanzielles. Als ob jeder Palästinenser automatisch Moslem wäre.

        Und wer alles verloren hat hat ja wohl auch seine Religion verloren oder nicht ?

        Eine Identität aus einer Religion heraus entwickeln zu wollen ist genauso sinnvoll und armselig wie sie aus einer Nationalität heraus entwickeln zu wollen.

        Respekt vor einem Menschen bedeutet diesem die Möglichkeit zu geben sich selbst zu finden und sich da einzuordnen wo es ihm passt - nicht da wo alle anderen stehen.

        • @Xenophan:

          Das ist aber sehr widersprüchlich um nicht zu sagen, nichts sagend, was Sie da schreiben.

      • @Müller Peter:

        kann voll zustimmen, alle die so locker in D mit Religionen umgehen, in D, waren noch nie in einer Lage, wo man am verzweifeln ist, sag ich mal, dei Generation, die jetzt über Religion diskuttiert, stand/steht auf der Sonnenseite des Lebens !

  • Dass so ein Wischiwaschibegriff wie "Gefühle" heute überhaupt noch als Tatbestandsmerkmal in unserem Strafgesetz auftauchen kann , ist schon sehr verwunderlich . Ebenso verwunderlich wie das verlogene Wischiwaschi- "C" unserer heutigen C-Parteien . Nun ja , die CSU steht noch mit einem Bein (mindestens :-) ) im vorletzten Jahrhundert von Gott - Kaiser und Vaterland . Dabei gibt es auch in Bayern nicht mehr sooviel Wald , dass man sagen könnte : Hinterwäldner eben .