Kino aus Frankreich: Hinter der Karrieremaske
„Le Capital“ von Costa-Gavras ist ein Königshof-Intrigendrama, in das sich die Gadgets des internationalen Kapitalismus einschleichen.
Manchmal packt einen das Schicksal bei den Eiern. Pech für den an Hodenkrebs erkrankten Vorstand der französischen Phenix-Bank, Jack Marmande (Daniel Mesguich), der beim Golfspiel mit Hand im Schritt zusammenbricht. Glück für den Emporkömmling Marc Tourneuil (Gad Elmaleh), den die siechen Testikel seines Chefs auf den Thron der Bank katapultieren.
Als vermeintlich schwacher Interimsherrscher wurde er von den Silberrücken des Finanz-Hofstaats freilich ganz bewusst dahin platziert, in der Hoffnung, den jungen Tourneuil souverän aus dem Hintergrund dirigieren zu können. Als erste demütigende Maßnahme wird sein Gehalt dramatisch gekürzt.
Doch die Sache läuft anders: Kühl boxt sich Tourneuil nicht nur gegen interne Widerstände durch, sondern ergreift gesellschaftlich brachiale Maßnahmen zur Modernisierung des Unternehmens, die er nach außen als Charmeur verkauft, während er sich im skrupellosen Finanzpoker mit einem amerikanischen Hedgefonds nicht in die Karten blicken lässt. Regulierungen, ethische Überzeugungen, soziale Verträglichkeit – Ballast!
Denunzierte Martin Scorsese mit seinem „Wolf of Wall Street“ im vergangenen Jahr die moralisch verkommene Welt des Finanzgeschäfts noch grell überspitzt als eine des entfesselten Exzesses, wählt Costa-Gavras in seinem (zuvor entstandenen) Film „Le Capital“ den entgegengesetzten Weg – nicht zuletzt wohl auch, um die (auch innerhalb des Plots so in Position gebrachte) Differenz zwischen amerikanisch-hedonistischem und europäisch-verwaltendem Kapitalismus zu unterstreichen.
Die Strippen der Neurotiker
Zwar ziehen in beiden Filmen Neurotiker die Strippen, doch entwirft der Altmeister des politischen Thrillers im Gegensatz zu Scorseses zornig-zynischem, alle Grenzen sprengenden Punkrock-Movie ein Shakespeare-artiges, analog zu seiner Hauptfigur oft nur schwer durchschaubares Sittengemälde. Das spielt sich im wesentlichen im Dialog – mit oft schneidenden, aber kontrollierten Kameraschwenks – und im Innern der Machtzentralen des Bankensystems ab.
Scorseses Film ist so amerikanisch und ehrlich wie fettige Fritten und Super-Sized-Cola; genauso offen trägt Leonardo DiCaprio die Verkorkstheiten seiner Figur zur Schau. Erst in der letzten Einstellung seines Films schlägt Costa-Gavras einen Bogen in diese Richtung. Bis dahin ist Elmalehs Tourneuil ein klassischer Anzugträger, in der Exekution seiner Pläne kalt und funktional, die Abgründe seiner Psyche – kurz blitzen sie in Tagträumen auf – hinter der Karrieremaske gut versteckt.
Und anders als der DiCaprio’sche Aufreißer ist er eine ziemliche Pfeife: Selbst noch beim Date mit dem dekorativen Jetset-Model Nassim (Liya Kebede) ist er „angezogen wie ein Banker“, woraufhin er sich, frisch ertappt, Luft am Kragen verschafft und auch ansonsten als lächerliche Figur das Nachsehen hat.
„Le Capital“. Regie: Costa-Gavras. Mit Gad Elmaleh, Gabriel Byrne u. a. Frankreich 2012, 114 Min.
Ein klassisches Königshof-Intrigendrama vor alteuropäischer Kulisse, in die sich zusehends die Gadgets des internationalen Kapitalismus einschleichen: „Le Capital“ zeichnet ein Bild der Transformation, der Abschaffung der sozialen Marktwirtschaft an Regierung und Öffentlichkeit vorbei (der englische Verleihtitel „Capital“ lässt sich eben nicht nur als Marx-Anspielung, sondern auch als „Hauptstadt“ verstehen).
Harte Schwarzblende
Moralische Einwände, die ein Onkel an Tourneuil bei einem fast schon anachronistischen Großfamilienessen – Tourneuil und seinesgleichen zerfasern gesellschaftliche Zusammenhänge, wie er einmal feststellt – richtet, werden lächelnd weggeputzt: „Deine Generation wollte den Internationalismus, wir haben ihn umgesetzt.“ Dann klingelt das Telefon, Anruf aus New York: „Geld schläft nie.“
Zwar setzt Costa-Gavras nichts ins Bild, was man seit der großen Finanzkrise 2008 nicht ohnehin schon wissen kann. Zu berücksichtigen ist da, dass Elmaleh in Frankreich vor allem als Stand-up-Comedian bekannt ist.
Hinter der Fassade des kühlen Finanzthrillers verbirgt sich daher vielleicht doch eine gallige Komödie, die sich gerade darüber amüsiert, dass einem hier nichts Neues erzählt wird und diese von jeder sozialen Wirklichkeit abgeschottete Welt, die umso schmerzhafter auf diese Wirklichkeit wirkt, dennoch munter weitermacht. Bis sie eines Tages in die Luft fliegt. Das sind dann auch die letzten Worte. Eine Handlungsanweisung? Harte Schwarzblende.
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