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Kommentar Antisemitismus in FrankreichAngriff auf die „Brüderlichkeit“

Rudolf Balmer
Kommentar von Rudolf Balmer

Die schockierende Gewalt gegen Juden ist ein Affront für Frankreich. Es ist inakzeptabel, sie mit einer Projektion des Nahostkonflikts zu rechtfertigen.

„Fängt das jetzt wieder an?“, fragen ältere Juden in Frankreich. Bild: imago

P ARIS taz Die Angst geht um in den Quartieren den französischen Vorstädte, wo seit Jahrzehnten Muslime und Juden aus Nordafrika und andere Zuwanderer mit Franzosen verschiedenster Herkunft wenn nicht unbedingt immer als Brüder und Freunde, so doch als Nachbarn friedlich zusammenleben konnten.

Leider reicht die grenzenlose Dummheit von Rassisten, die meinen, sie könnten auf die Schnelle und mit Gewalt das große Geld verdienen, um alte Wunden aufzubrechen oder die Lunte ans Pulverfass ethnisch-religiöser Konflikte zu legen.

„Fängt das jetzt wieder an?“, fragen in Frankreich ältere Juden, die noch die schlimme Zeit der Verfolgung von 1940 bis 1945 erlebt haben. Die Jüngeren dagegen tragen sich mit dem Gedanken, nach Israel auszuwandern. Die Entführung von Ilan Halimi durch die „Barbaren-Gang“ 2006, die Plünderung und Brandschatzung jüdischer Geschäfte im „Klein Jerusalem“ genannten Viertel von Sarcelles im vergangenen Juli und jetzt die brutalen Überfälle auf ein junges Paar und einen Rentner in Créteil wecken bei ihnen schlimmste Erinnerungen und Befürchtungen.

Für die französische Republik, die stolz darauf ist, die Wiege der Menschenrechtserklärung zu sein und die neben Freiheit und Gleichheit auch die „Brüderlichkeit“ auf ihre Fahne geschrieben hat, ist diese antisemitische Gewalt ein Affront, der ans Wesentliche rührt.

Mit dem Misstrauen wachsen die Spannungen und die Intoleranz zwischen Menschen, die kaum etwas anderes unterschiedet als ihre individuelle Familiengeschichte und (eventuell) ihre Religion. So stupide die antisemitischen Ressentiments sind, die in den genannten Beispielen als Motiv für niederträchtige Verbrechen gedient haben, so inakzeptabel ist es auch, die tendenziell wachsende antijüdische Feindseligkeit in den französischen Vororten mit einer Projektion des Nahostkonflikts vereinfachend zu rechtfertigen oder zu verharmlosen.

Was in Créteil geschehen ist, muss darum nicht nur die Juden in Frankreich schockieren.

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Rudolf Balmer
Auslandskorrespondent Frankreich
Frankreich-Korrespondent der taz seit 2009, schreibt aus Paris über Politik, Wirtschaft, Umweltfragen und Gesellschaft. Gelegentlich auch für „Die Presse“ (Wien) und die „Neue Zürcher Zeitung“.
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10 Kommentare

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  • mir macht dieser kommentar bauchschmerzen.

    die subsumierung alles und jedes, einzelner straftaten wie ganzer demonstrationen, unter antisemitismus geht mir zu schnell. da entsteht bei mir der eindruck, man wolle soziale verwerfungen in fronkroisch durch das wegerklären, was alle verabscheuen, nämlich: antisemitismus. und so ganz nebenbei auch noch jeglichen protest gegen israelische politik und israelischen rassismus wie auch die abstimmung des parlaments für die anerkennung des staates Palästina delegitimieren.

    ungut, sachichmaso.

  • Der Angriff ist absolut verabscheuungswürdig und den Nahostkonflikt vorzuschieben, ist nur eine Variante, antisemitische Klischees zu bedienen.

     

    Allerdings: als vor ein paar Wochen ein junger Rom gelyncht wurde, war der öffentliche Aufschrei der politischen Klasse in Frankreich nicht halb so einhellig. Ganz im Gegenteil, Rom werden von diversen Seiten zu Sündenböcken gemacht.

     

    Kann es sein, dass es rassistische Vorurteile gibt, die "verzeihbarer" sind, als andere?

    • @BigRed:

      herr Balmer schrieb damals dazu

      " Auch wenn die neuen Nachbarn den „Ureinwohnern“ ein Dorn im Auge waren, berechtigt sie nichts dazu, auf diese Art ein Exempel zu statuieren."

      http://www.taz.de/!140559/

      beantwortet das Ihre frage?

      • @christine rölke-sommer:

        Also ist es nicht nur mein persönlicher Eindruck. Vielen Dank für den Link.

  • ab und zu hilft es ja, defamation von Yoav Shamir anzugucken

    https://www.youtube.com/watch?v=d9E2TpxY7xM

  • Gute Frage, dieses "Fängt das jetzt wieder an?" Einer, der sich diese Frage auch schon gestellt hat, war Erich Weinert.

     

    http://www.kommunisten.de/attachments/5068_Genau_so_hat_es_damals_angefangen_erich_weinert.pdf

     

    Wie gut, dass es noch "ältere Juden" gibt in Frankreich, "die noch die schlimme Zeit der Verfolgung von 1940 bis 1945 erlebt haben". Sonst würde vermutlich überhaupt niemand mehr auf die Idee kommen, so hätte es damals auch angefangen. Migranten/Refugees, schließlich, gab es nicht, als Weinert 1930 seinen Postbeamten Emil Pelle in einen unpolitischen Feiertag geschickt hat. Jedenfalls nicht in einer Größenordnung, die ein industrielles Morden erforderlich gemacht hätte im Sinne einer "Endlösung" des „Problems“. "Zigeuner“, „Asoziale“ und „Geisteskranke“ aber werden immer noch/schon wieder nicht wahrgenommen als (zu Unrecht) bedrohte Rand- bzw. Opfergruppen. Dass sich kaum ein Mensch einen Faschismus ohne jüdische Opfer vorstellen kann derzeit, könnte eine (hoffentlich) unbeabsichtigte Folge der Fokussierung auf den Holocaust sein, der in seiner Größenordnung zwar tatsächlich unvergleichlich ist, der aber immerhin die gleichen sozio-kulturellen, ökonomischen, politischen und psychologischen Grundlagen hat wie jede andere Menschenverachtung.

     

    Übrigens: Leute wie Erich Weinert mit der Bemerkung aus der öffentlichen Wahrnehmung zu verdrängen, sie wären Kommunisten (gewesen) und Kommunisten seien kein Stück besser als Faschisten (dafür aber sehr viel schlechter als moderne Imperialisten), ist verdammt riskant. Es leistet der Wiederauferstehung böser alter Geister kräftig Vorschub. Was nachher vermutlich wieder nicht absehbar gewesen sein wird für die, die sich jetzt blind und taub stellen für alles, was nicht ausschaut wie bereits bekannt.

     

    Aber so, genau so, ist es ja damals auch gewesen. Damals, meine ich, als alles (wieder einmal) angefangen hat.

  • Es kann nur eine Antwort geben: Gründet Banden - bewaffnet euch.

    • @Lee Thompson:

      Zur Situation in Frankreich lässt sich noch sagen, dass tragischerweise in den Vorstädten ökonomisches und soziales Leid mittels rassistischer und antisemitischer Übergriffe abreagiert wird. Hier ist absolut nach wie vor der französische Staat gefordert, der seine sozialen Probleme nicht lösen will und denkt, solcherlei "Peinlichkeiten" gehen nach ein paar Sonntagsreden schon wieder vorbei und man kann bald wieder zur Tagesordnung übergehen.

    • @Lee Thompson:

      So ein Schmarrn. Ein Jeder schiesst dann auf den anderen, wenn was nicht passt?

      Andere übernehmen Deine Verantwortung, Dich als mündiger Staatsbürger gegen Rassismus, Antisemitismus und anderes Unrecht zu engagieren und Engagement von den Politikern einzufordern, via Schusswaffe?!?

  • Warum eiert ihr eigentlich so rum (" So stupide die antisemitischen Ressentiments sind, die in den genannten Beispielen als Motiv für niederträchtige Verbrechen gedient haben, so inakzeptabel ist es auch, die tendenziell wachsende antijüdische Feindseligkeit in den französischen Vororten mit einer Projektion des Nahostkonflikts vereinfachend zu rechtfertigen oder zu verharmlosen")

     

    und nennt nicht Ross und Reiter??