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Flüchtlinge in Berlin-Kreuzberg„Ein elementarer Fehler der Grünen“

„Ohne Regeln geht es nicht“: Die frühere Ausländerbeauftragte Barbara John über Probleme der Grünen bei der Betreuung von Flüchtlingen.

Können mal wieder zu Hause schlafen: Unterstützer der Flüchtlinge in der Reichenberger Straße in Berlin-Kreuzberg. Bild: dpa
Daniel Bax
Interview von Daniel Bax

taz: Frau John, der Streit um die Gerhard-Hauptmann-Schule in Berlin-Kreuzberg, die seit Monaten von Flüchtlingen besetzt wird, hält die Stadt seit Tagen im Atem. Ein grüner Baustadtrat des Bezirks hatte am Montag die Räumung gefordert, jetzt scheint es einen Kompromiss zu geben. Sind die Grünen an der Realität gescheitert?

Barbara John: Das Leben in einer Gemeinschaft und in einem Rechtsstaat funktioniert nicht ohne Regeln und Strukturen, und darauf legen die Grünen als Partei ja auch sonst zu Recht viel Wert. Aber diese Menschen, die aus Ländern gekommen sind, wo solche Strukturen fehlen, und die sich zum Teil seit vielen Jahren einfach nur durchschlagen, die hat man einfach sich selbst überlassen. Das konnte von Anfang an nicht gut gehen. In dem Moment, wo der Bezirk die Besetzung zugelassen oder geradezu dazu aufgefordert hat, hat man Verantwortung für das Leben und das Wohlergehen dieser Menschen übernommen. Und diese Verantwortung ist nicht wahrgenommen worden. Das ist ein elementarer politischer Fehler, das ist sonnenklar.

Was hätten die Grünen denn machen müssen?

Man kann nur das zusagen, was man auch umsetzen kann. Den Grünen im Bezirk ist natürlich bewusst, dass sie Bundesgesetze nicht ändern und sie weder Aufenthalts- noch Bleiberecht vergeben können. Aber sie haben offenbar geglaubt, wenn wir nur genügend Druck ausüben und genügend Leute mitmachen, dann können wir vielleicht den Senat damit erpressen. Aber auch das musste scheitern.

Könnte Berlins Innensenator Frank Henkel (CDU) den Flüchtlingen in der Schule nicht ein Bleiberecht anbieten, um den Konflikt zu entschärfen? Auf die Flüchtlinge, die bis vor Kurzem am Oranienplatz in Kreuzberg campiert haben, ist der Senat ja zugegangen.

Ein Bleiberecht ist auch ihnen nie angeboten worden, ich war ja bei den Verhandlungen dabei. Der Senat hat lediglich gesagt: Wir erkennen an, dass ihr hier einen Antrag stellen könnt, und wir werden den überprüfen. Denn die meisten dieser Menschen halten sich vermutlich gar nicht legal in der Stadt auf, sondern haben woanders schon legal gelebt. Genau das Gleiche ist auch den Flüchtlingen in der Hauptmann-Schule angeboten worden. Aber da sind zum Teil Leute darunter, die bereits zum zweiten Mal abgelehnt worden sind. Die rechnen sich keine andere Chance mehr aus und setzen jetzt alles auf eine Karte. Das ist die Situation, mit der man jetzt fertig werden muss.

Hätte man Ihrer Meinung nach schon früher mit einer Räumung drohen müssen?

Ich war zweimal in der Schule und habe die hygienischen Zustände dort gesehen. Man hat die Leute in diesen unhaltbaren Verhältnissen sich selbst überlassen. In jedem Flüchtlingsheim hätten die zu einem Aufschrei und zur sofortigen Schließung geführt. Doch: Wenn der Staat den Flüchtlingen quasi die Erlaubnis gibt, freiwillig in solchen Verhältnissen zu leben, werden die Regeln außer Kraft gesetzt. Es gab ja sogar Gerüchte, dass der Bezirk sich geweigert habe, eine zweite Dusche einzubauen, um es den Leuten dort nicht zu bequem zu machen. Das sind Gerüchte, aber sie zeigen den tiefen Zweifel an der Ernsthaftigkeit des Bezirks.

imago / seeliger
Im Interview: Barbara John

76, war von 1981 bis 2003 die Ausländerbeauftragte Berlins. 2012 wurde die CDU-Politikerin zur Ombudsfrau für die Angehörigen der NSU-Opfer berufen.

Bundespräsidenten Joachim Gauck hat mehr Hilfe für Flüchtlinge gefordert und gesagt, Deutschland könne mehr tun. Hat er nicht recht?

Herr Gauck hat ja nicht gesagt: Gebt den Flüchtlingen vom Oranienplatz ein Bleiberecht. Wenn man sich die Leute anschaut, die jetzt in Berlin protestieren – die sind untergebracht gewesen. Die wollten nach Berlin kommen, um ihren Protest hierher zu tragen. Jetzt dreht sich alles um sie, während wir uns zu wenig um die kümmern, die akut gefährdet sind.

Der Konflikt um die Hauptmann-Schule ist für Sie nur ein Nebenkriegsschauplatz?

Dass sich eine Stadt darum sorgt, dass Menschen nicht zu Schaden kommen, spricht für Berlin und die Berliner. Aber ein Land muss bestimmen können, wer bleiben darf und wer nicht. Es gibt das Menschenrecht, sein Land verlassen zu dürfen, und es gibt die Flüchtlingskonvention, die Schutz vor Krieg und Verfolgung garantiert. Aber es gibt kein Menschenrecht auf Einwanderung für jeden, auch wenn manche das glauben.

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7 Kommentare

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  • Ich glaube das eine 76jährige Frau in all ihren Entscheidungen frei von Hass ist, und so lese ich auch dieses Interview.

    • @TheObserver:

      und ich glaube, dass sie doch ein bißchen sehr alt-vordern geworden ist. kann menschenrecht nicht mehr weiterdenken.

      zum menschenrecht der freizügigkeit gehört auch das der niederlassungsfreiheit. es sei denn, menschenrecht hätte mensch nur im outer space.

      allerdings war und ist das projekt menschenrecht für diese erde gedacht, und nicht als guideline für die kolonialisierung des orbit. also gehört es auch hier umgesetzt.

  • 9G
    90191 (Profil gelöscht)

    Ohne Regeln geht es nicht.

    Wenn aber die Regeln nix taugen?

    • @90191 (Profil gelöscht):

      Der Souverän entscheidet über die Regeln, also auch ob diese für ihn taugen oder nicht. Ganz einfach.

      • 9G
        90191 (Profil gelöscht)
        @MRO:

        Der Souverän hat bisweilen auch schon ziemlichen Bullshit entschieden. Sie als Deutscher müßten das besonders gut wissen.

        • @90191 (Profil gelöscht):

          Das ändert nichts an der Sache. Wer sollte Ihrer Meinung denn entscheiden?

  • D
    D.J.

    Wie schon einmal gesagt: In regelmäßigen Anständen immer mal doch ein Beitrag bzw. ein Interview in der taz zum Thema Migration/Flüchtlinge, dem ich hundertprozentig zustimmen kann. Ohne linken oder rechten ideologischen Schaum vor dem Mund.