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Kolumne Cannes CannesDer Stamm der Kokosnussköpfe

Cristina Nord
Kolumne
von Cristina Nord

„Jauja“ heißt der neue Film des Argentiniers Lisandro Alonso. Der Titel ist der Name eines mythischen Orts, an dem jedermann zu Reichtum kommt.

„Wir wollen den Pokal“, wirbt Viggo Mortensen für seinen argentinischen Lieblingsfußballclub San Lorenzo. Bild: reuters

A m Montag hängt der Himmel voller Wolken, ab und zu regnet es, aber das macht nichts, denn was im Kino zu sehen ist, lässt alle Unbill im Nu vergessen. Entweder handelt es sich um einen außergewöhnlich guten Jahrgang, oder ich habe diesmal besonders viel Glück bei meiner Filmauswahl. In der Nebenreihe Un certain régard etwa läuft „Jauja“, ein mit Spannung erwarteter Film des argentinischen Regisseurs Lisandro Alonso, der zuletzt 2008 mit „Liverpool“ an der Croisette zu Gast war.

Der Titel ist der Name eines mythischen Orts, an dem jedermann zu Reichtum kommt. Zur Legende gehört, dass, wer immer Richtung Jauja aufbricht, sich in der rauen Weite Patagoniens verirrt. Bei Alonso ist dieser Mann ein dänischer Kapitän namens Dinesen, Zeit der Handlung ist das 19. Jahrhundert. Gespielt wird Dinesen von Viggo Mortensen, der bei der Premiere für San Lorenzo, seinen argentinischen Lieblingsfußballclub, wirbt: „Queremos la copa“ steht auf einem Plakat, das er mit auf die Bühne nimmt. „Wir wollen den Pokal.“ Thierry Frémaux, der Direktor des Festivals, frotzelt, dies könne den Präsidenten der Jury, den argentinischen Regisseur Pablo Trapero, verstimmen. Denn der sei Fan von La Boca.

Mortensens Protagonist ist mit seiner Tochter und einem Tross von Militärs und Ingenieuren unterwegs. Am Bildrand, als latente Bedrohung, tauchen Indígenas auf, sie zählen, so heißt es, zum Stamm der Kokosnussköpfe. „Was ist denn das für ein Name?“, fragt Dinesen ungläubig, bevor er von dem Gerücht erfährt, ein General namens Zuluaga habe den Verstand verloren, trage Frauenkleider, führe die Indígenas an und begehe Gräueltaten.

Alonsos Einstellungen sind meist statisch und mit Sorgfalt komponiert. Wer wo im Bild steht, ist wichtig, ebenso, wo welche Farbpunkte leuchten. Purpurrot ist die Hose des Leutnants Pittaluga, von elektrischem Blau die Hose des Kapitäns, rot eine Art Zinnsoldat, der immer wieder auftaucht. Alonso arbeitet stark mit der Beziehung, die sich zwischen dem, was im Bild ist, und dem, was jenseits davon ist, einstellt, etwa wenn ein Soldat in einer Nahaufnahme die Tochter des Kapitäns küsst. Dabei beugt er sich über sie, die beiden sinken nach unten, aus dem Bild, die Kamera bleibt still stehen, und man sieht Grashalme, ein Pferd in der Bildtiefe, dahinter einen Hügel.

Zur betörenden formalen Schönheit kommt die Kühnheit der Erzählung. Das Drehbuch stammt von dem Schriftsteller Fabián Casas, einige Motive aus César Airas Roman „Die Mestizin“ (1981) sind eingeflossen. Nachdem seine Tochter verschwunden ist, irrt der Kapitän durch Gras- und Felslandschaften, ohne Pferd, ohne Gewehr. Er begegnet einem Wolfshund, der ihn durch Vulkangestein führt. In einer Felsspalte wartet eine alte Frau auf ihn, sie sagt, sie sei seine Tochter. Später taucht der Hund im Dänemark der Gegenwart wieder auf, ein unterseeischer Kanal wird ihn auf die andere Seite des Atlantiks geführt haben.

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Cristina Nord
Kulturredakteurin
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