piwik no script img

Rechtsextreme in DeutschlandDas Böse ist eingefangen

Alle Aufmerksamkeit konzentriert sich derzeit auf den NSU-Prozess. Die rechte Szene gerät dabei aus dem Blick. Der Rassismus der Mitte ebenso.

Verzerren sie den Blick auf die rechtsextreme Szene in Deutschland? Beate Zschäpe und Mitangeklagte im NSU-Prozess Bild: dpa

Mit versteinerter Miene betritt Beate Zschäpe den Saal A 101 im Oberlandesgericht München. Schweigend sitzt sie auf der Anklagebank. Keine Einlassung, keine Entschuldigung, kein Wort. Vor knapp einem Jahr, am 6. Mai 2013, begann das Verfahren gegen den Nationalsozialistischen Untergrund, den NSU.

An mehr als 100 Verhandlungstagen hat keine Bitte von Angehörigen der Erschossenen – auch nicht die der Mutter eines ihrer „Uwes“ – Zschäpe sichtbar berührt, kein Tatortbild der hingerichteten Opfer und ihrer toten Mitstreiter sie offenbar bewegt.

Auf der Galerie des fensterlosen Gerichtssaales versuchen Zuschauer die Gestik und Mimik der Hauptbeschuldigten zu deuten, Journalisten suchen nach Worten, es zu beschreiben. „Der Teufel hat sich schick gemacht“, titelte Bild zum Prozessbeginn.

Von „der Kalten“, von „dem Bösen“ und gar der „Banalität des Bösen“ – wie Hannah Arendt es damals beim Prozess von Adolf Eichmann formulierte – ist in Feuilletons zu lesen gewesen, wenn von Zschäpe die Rede ist.

Eine ganz gewöhnliche Deutsche

Beate Zschäpe ein Eichmann? Eine Art Wiedergeburt des SS-Obersturmbannführers, der die „Endlösung der Judenfrage“ in Deutschland und den besetzten europäischen Ländern organisierte, Zschäpe also eine, die nur ihre Pflicht erfüllte, Befehle ausführte, wie er? Nein, ganz sicher nicht. Im Verfahren beschrieben Zeugen die Schweigende als politische Überzeugungstäterin, die vor Gewalt nicht zurückgeschreckt sei.

Einer der zentralen Gedanken Arendts aber ist durchaus anregend für die Beschäftigung mit Zschäpe und dem NSU-Prozess. Arendt hatte, als sie 1961 den Eichmann-Prozess in Jerusalem verfolgte, es als „das Beunruhigende an der Person Eichmanns“ ausgemacht, „dass er war wie viele und dass diese vielen weder pervers noch sadistisch, sondern schrecklich und erschreckend normal waren und sind“. Das müsste eigentlich die Frage aufwerfen, wie und aufgrund welcher – auch gesellschaftlicher – Bedingungen jemand so werden kann.

Ist Zschäpe also eine ganz gewöhnliche Deutsche, die zu einer ganz gewöhnlichen Neonazistin wurde? Und die vier Mitangeklagten, sind sie ganz gewöhnliche Deutsche, die zu ganz gewöhnlichen Neonazis wurden und dann, nach dem Ausstieg aus der rechten Szene, wieder ganz gewöhnliche Deutsche sein wollen? Wenn ja, warum?

Im Saal A 101 geht man der Frage nach dem gesellschaftlichen Kontext der Entstehung des NSU nicht nach. Falscher Ort, falsche Regularien. In der Öffentlichkeit, in Medien und Politik wird aber ebenso wenig über gesellschaftliche Bedingungen für den Aufstieg des NSU verhandelt. Dabei hätte man das längst tun müssen, wenn eine Aufklärung des rechten Terrors gefordert wird, aus der auch Lehren gezogen werden sollen.

Der Rassismus der Mitte bleibt unerwähnt

Welche politischen Entwicklungen befeuerten in den neunziger Jahren den Weg von Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe in den bewaffneten Kampf? Möglich, dass die Wendezeit sich auswirkte, der alte Staat war weg, der neue nicht da. Ein gesellschaftliches Vakuum entstand, in dem Eltern, Lehrer und Polizei nicht wussten, was galt und was nicht.

Vielleicht wurde das Trio auch von Erfahrungen der rechten Szene mit rassistischen Pogromen wie in Hoyerswerda und Solingen beeinflusst – mit Gewalt geht was, mögen sie sich gedacht haben. Denn war es nicht so, dass nach dem Brand in Rostock-Lichtenhagen CDU, CSU, FDP und SPD im Bundestag das Asylgesetz verschärften?

Seit dem Auffliegen des rechten Trios wird jenseits der Netzwerke von Antifa- und Antira-Initiativen und jenseits kleiner Expertenkreise in Politik, Wissenschaft und Medien kaum über den Zusammenhang von gesellschaftlichem Rassismus und rechtsextremer Gewalt diskutiert.

Der Rassismus in der Mitte der Gesellschaft bleibt nahezu unerwähnt. Selbst wenn auf Podien über den NSU-Fall diskutiert wird, verdrängen im verschwörungstheoretischen Duktus vorgetragene Fragen nach der Verstrickung der Geheimdienste die Diskussion über den gesellschaftlichen Kontext des Rechtsextremismus.

NSU verzerrt den Blick auf die Szene

Dabei dokumentieren diverse Studien, dass sich rassistische Ressentiments deutschlandweit verfestigen und ausbreiten. Es ist, als versperrten die drei Buchstaben N, S und U den Blick auf die rechtsextreme Szene.

Schon länger beklagen Beratungsstellen für Opfer rassistischer und rechtsextremer Gewalt, dass Interesse für ihr Themenfeld nur noch zu wecken ist, wenn Opfer prominent sind oder eine Tat äußerst brutal verlief. „Wieder einer von ’Nazis‘ zusammengeschlagen? Ach, was ist die news? “, heißt es schon mal in Redaktionen.

Was heißt das für die Betroffenen, was bedeutet dies für die Gesellschaft? Es bedeutet: Die Wirklichkeit des Rechtsextremismus kann so aus der Wirklichkeit verschwinden.

Fast unbemerkt von den Medien läuft in Koblenz vor dem dortigen Landgericht seit Mitte August 2012 ein Verfahren gegen das rechtsextreme Aktionsbüro Mittelrhein. Der Vorwurf: Bildung und Unterstützung einer kriminellen Vereinigung.

Im Bann des Bösen

Oberstaatsanwalt Walter Schmengler hält den Beschuldigten vor, Waffen gehortet, Gegner ausspioniert und verprügelt, Brandanschläge auf Autos von Linken verübt zu haben. Zum Prozessbeginn erschienen 26 Beschuldigte mit 52 Verteidigern. Es ist einer der größten Prozesse gegen ein rechtsextremes Netzwerk, der anders als der NSU-Prozess kaum öffentliche beachtet wird.

Im Saal A 101 des Münchner Oberlandesgerichts versuchen Anwälte der Familien der Opfer des NSU-Terrors hinter die drei Buchstaben zu blicken. Sie fragen nach einem Netzwerk, das das NSU-Trio bis zum Schluss getragen hat, suchen Verbindungen in die rechtsextreme Szene – und stoßen auf den Widerstand der Generalbundesanwaltschaft, der Fragen und Anträge der Nebenklage oft zu weit gehen. Nicht selten schreitet auch der Vorsitzende Richter Manfred Götzl ein und unterbindet Fragen. Es ist ein formales Dilemma, eine Gerichtsverhandlung ist kein Untersuchungsausschuss.

Doch auch für uns – die Gesellschaft – scheint es einfacher zu sein, den NSU seit einem Jahr in München mit der Hauptangeklagten und vier mutmaßlichen Mittätern vor Gericht zu sehen. „Das Böse“ ist eingefangen, dort ist der Rechtsextremismus verortet, hat ein Gesicht. Das beruhigt. Eine Wahrnehmung inklusive Ausblendung.

Die Netzwerke der Freien Kameradschaften agieren unbeeindruckt von NSU-Verfahren weiter. Die Zahl der Straf- und Gewalttaten von NPD bis Autonome Nationalisten ist nicht rückläufig. Die Verfasstheit der gesellschaftlichen Mitte wird seit der Zufallsentdeckung NSU ausgeblendet.

Empörung über mangelnde Empörung

Eine Debatte über diskursive Wechselwirkungen des Buchs „Deutschland schafft sich ab“ von Thilo Sarrazin oder rechter Wahlslogans der AfD von Bernd Lucke mit rassistischen Ressentiments findet nicht statt.

Stephan Lucas und Jens Rabe, Anwälte von Semiya und Kerim Simsek, Sohn und Tochter des ersten NSU-Opfers Enver Simsek, finden, dass „die Reaktionen in Politik und Gesellschaft auf den NSU verblüffend schwach“ ausfallen. Während die RAF-Gewalt von Staat und Bevölkerung damals als „Kriegserklärung“ verstanden worden sei, halte man sich beim rechten Terror zurück.

Rabe und Lucas fänden es „erschreckend, verroht und gefährlich“, wenn es daran liege, „dass es eine schwache Bevölkerungsgruppe trifft, die Migranten“. Das NSU-Verfahren offenbart viel über unsere Gesellschaft. Gül Pinar, Anwältin der Familie des NSU-Opfers Süleyman Tasköprü, sagt: „Wir sind empört, dass keine Empörung da ist.“

Eines Tages wird der NSU-Prozess beendet sein. Dann darf der Fall als juristisch aufgearbeitet gelten. Das ist viel. Aber es ist zu wenig.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

7 Kommentare

 / 
  • Ein super Artikel, der sich endlich mal für das Problem statt lediglich für das Phänomen interessiert. Danke Herr Speit, solche Artikel sind wichtig!

    Zum Zynismus bzw. der Gleichgültigkeit all der Brainers, die es leider nach wie vor gibt: Wenn Sie nicht nur zu faul sind sich in die Gebiete der Kameradschaften zu begeben (für den Norden wären das z.B. Schaumburg, Lüneburger Heide oder die Region um Wismar), sondern sich anscheinend nicht mal über die vielen gewalttätigen Übergriffe, die dort und anderswo ständig stattfinden, informieren (mind. 840 rechte Gewaltdelikte in 2012), warum reden Sie dann mit? Und Mark: Sie kennen das Internet doch. Da kann man sehr schnell und bequem nachschauen, dass z.B. jede/r vierte Deutsche ausländerfeindliche Einstellungen hat. Wenn nicht mal das geht bei so einem Thema; was geht dann überhaupt bei Ihnen?

  • Ja, der Rassismus lebt im deutschen Mittelstand, und nicht nur dort! Es sind vor allem die Zukurzgekommenen, die Nichternstgenommenen, die Nichtszusagenhabenden, die Sichnicht durchsetzenkönnenden, die schwächeren Mitglieder der jeweiligen gesellschaftlichen 'Schicht', die sich von Kirchen, Gewerkschaften und Parteien in tiefer Enttäuschung losgesagt und entsolidarisiert haben, die aber gleichzeitig eine 'starke Gemeinschaft' benötigen, um in einer Gesellschaftsordnung überleben zu können, die weder christlich noch sozial ist. Wir können aber nicht leugnen, daß WIR diese Gesellschaft 'gemacht' haben.

     

    Insofern stelle ich fest, daß 'wir alle' an den NSU Morden schuldig sind!

  • Tatsache ist, Deutschland hat keine überlegte Immigrationspolitik und zwingt damit Menschen in unverständliche, unübersichtliche, unnötig inhumane Situationen hinein. Das können wir gerne ändern. Und vielleicht macht sogar der durchschnittliche Mittelstandsdeutsche mit. So rassistisch ist der nämlich gar nicht.

  • Rassismus der Mitte? Dumm nur dass der Autor dafür kein einziges Beispiel nennt. So kommt es einem vor wie die Faschismuskritik der 1970er. Hochhäuser waren faschistische Architektur, Fußballstadion war faschistoide Massenveranstaltung und Gewerkschaften waren Nazi-Kollaborateure wenn sie mit Arbeitgebern verhandelten. Heute ist eben jeder rassistisch außer dir selbst. Beweise braucht man gar nicht erst? Auch taz-Leser hätten gern etwas mehr Argumente statt blinder Vorwürfe.

    • @Mark2013:

      Wie wäre denn die heutige Situation wenn CDU, CSU, FDP und SPD im Bundestag seinerzeit das Asylgesetz nicht verschärft hätten?

       

      Die "neue" Ásylgesetzgebung - so Fehlerhaft sie ist (von einem Extrem ins andere), nur ein Beleg für einen "Rassissmus der Mitte" oder doch insgesamt staatspolitische Notwendigkeit?

      • @Waage69:

        Sollte eigentlich ein eigener Beitrag und keine Entgegnung auf Mark2012 sein dessen Sicht ich weitgehend teile.

         

        In der Faz gibt es die Möglichkeit, einen falschplazierten Artikel, oder einen den man bei genauerer Betrachtung, z.B. im Lichte neuer Erkenntnisse im Nachhinein als nicht gelungen betrachtet eigenhändig zu löschen.

         

        Sollte die taz auch einführen.

         

        Um aus meinem Beitrag doch noch eine sinnvolle Ergänzung zum Beitrag von Mark2013 zu machen könnte die 1993 verschärfte Asylgesetzgebung dabei als das Beispiel gelten welches der Autor als Beleg für den "Rassismus der Mitte" konkret anführt.

  • Sehr geehrter Herr Speit, Ihre Sorge über den "Rassismus der Mitte" teile ich. Die Tatsache jedoch, daß der "NSU-Komplex" in der öffentlichen Wahrnehmung fast für eine Art Entlastung sorgt, während andererseits die große Empörung über die Taten ausbleibt - die könnte ganz andere Ursachen haben, als Sie meinen. Sprechen doch erdrückende Indizien dafür, daß die staatlich verbreitete Version des "NSU" nicht stimmen kann, daß die Sicherheitsbehörden gleichzeitig massiv ihre Rolle in diesem Fall vertuschen. Viele Leute haben diesen Verdacht - auch deshalb hält sich Empörung in Grenzen, die staatlich verbreitete Story ist einfach zu blöd.

    Was ich Ihnen, Herr Speit, vorwerfe, ist: daß Sie (wie die meisten Kollegen der übrigen etablierten Medien) mitgeholfen haben, diese hanebüchene Story zu verbreiten und zu befestigen. Bei diesem Thema ist die TAZ zur Pressestelle von BMI/BKA/BfV geworden. Trotz massiver Indizien gegen diese staatliche Verschwörungstheorie - so konnte ich bis heute nicht in der TAZ lesen, daß der nach zwei Jahren freigegebene Obduktionsbericht weder in den Lungen von Böhnhardt, noch von Mundlos Rußpartikel festgestellt hat, womit eine wesentliche Stütze der von BKA-Chef Ziercke und GBA Range behaupteten Selbstmordtheorie weggefallen ist.

    Ich kann nur eindrücklich auf den ausführlichen Beitrag der TAZ-Autoren Funke und Brumlik in den "Blättern f. deutsche u. internationale Politik" verweisen (https://www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2013/august/auf-dem-weg-zum-%C2%BBtiefen-staat%C2%AB) - aber natürlich auch auf deren kürzlich in der TAZ erschienenen Kurztext. - Wenn schon dezidiert linke Medien hier der Staatsversion folgen, sollte sich keiner beschweren, wenn dann die "Staatsskeptiker" von Leuten wie Elsässer und Jebsen bedient werden. Insofern empfinde ich auch die kürzliche Polemik gegen diese Leute ("neue Montagsdemos") in der TAZ als unaufrichtig.