piwik no script img

Wissenschaftler über Rechte in Ukraine„Das Potenzial ist da“

Rechtsextreme haben keinen großen Einfluss in der Ukraine, sagt Leonid Finberg, Vorstandsmitglied der Jüdischen Konföderation in der Ukraine.

„Nicht extremistische Rechtsextremisten“? Marsch von Swoboda-Anhängern in Kiew. Bild: ap
Bernhard Clasen
Interview von Bernhard Clasen

taz: Herr Finberg, wie groß ist der Einfluss von Rechtsextremen und Antisemiten auf dem Maidan?

Leonid Finberg: Ihre Frage ist vor dem Hintergrund der Putinschen Propaganda sehr aktuell. Der Maidan ist ein Ort von Freiheit und europäischen Werten. Seit Beginn der Proteste im November ist mir nur ein Fall von Antisemitismus dort bekannt geworden: Eine Frau hatte auf der Bühne antisemitische Gedichte vorgetragen – doch die Organisatoren schritten rechtzeitig ein, unterbrachen sie und baten sie, unverzüglich die Bühne zu verlassen. Die Konfliktlinien verlaufen nicht zwischen ethnischen, religiösen oder politischen Gruppen. Es gab die, die den Mut hatten, gegen das ausbeuterische Janukowitsch-Regime zu kämpfen – und die, die aus unterschiedlichsten Gründen bis zuletzt auf der Seite von Janukowitsch standen.

Die Nationalität spielte nie eine Rolle. Krimtataren, Russen, Ukrainer, Juden standen oft gemeinsam auf der Bühne, Klezmer-Bands waren auf dem Maidan sehr beliebt. Unter den von dem Janukowitsch-Regime getöteten Demonstranten waren auch drei Juden, die nach jüdischem Ritus begraben wurden. Wir sehen uns derzeit einem Propagandafeldzug von Putin ausgesetzt. Ganz im Stil von Goebbels versucht man die Menschen davon zu überzeugen, dass Schwarz Weiß sei. Putins Propaganda behauptet, es habe keine Intervention russischer Streitkräfte gegeben. Aber wir kennen doch ihre Panzer, wir wissen doch, welche Nummernschilder sie haben.

Aber es gibt doch Juden, die über Faschismus auf dem Maidan sprechen?

Das sind Juden aus Russland, die nie hier vor Ort waren und sich von Putins Propaganda einspannen lassen.

Wie soll man mit dem wachsenden Einfluss von rechtsextremen Kräften, die ja auch in der Regierung sind, umgehen?

Ich sehe nicht, dass die Rechtsextremisten einen großen Einfluss auf die Entwicklung ausüben. Ich glaube, die ukrainische Gesellschaft hat die Kraft, extremen Rechten und extremen Linken abzuverlangen, dass sie sich in einer zivilen Gesellschaft entsprechend den Normen dieser Gesellschaft verhalten. Ich sehe derzeit keinen Extremismus bei den extremen Rechten. Gleichzeitig weiß ich, dass das Potenzial hierfür da ist. Mich beunruhigt heute am meisten der Einmarsch von Truppen eines anderen Landes in die Ukraine. Ohne Kriegserklärung und unter Verletzung aller internationaler Verträge.

Herrscht unter jüdischen Bürgern der Ukraine Angst?

Im Interview: Leonid Finberg

65, Soziologe und Direktor des Zentrums für jüdische Studien an der Kiew-Mogyla-Akademie der Universität von Kiew, ist Vorstandsmitglied der Jüdischen Konföderation der Ukraine.

Vor dem Hintergrund des Erfahrungen des Holocaust haben wir besonders Angst vor Instabilität. Aber wir fürchten hier nicht eine individuelle Verfolgung. Was uns Angst macht, sind die Bilder der russischen Truppen und Raketen an der Grenze zu unserem Land.

Und wie steht es um die Rechte der russischsprachigen Bevölkerung der Ukraine?

Putins Propagandamaschine behauptet, der Einmarsch sei eine Folge der Verletzung der Rechte der Russischsprachigen. Ich sehe keine derartige Verletzung, in den vergangenen Jahren ist nicht ein einziges Gerichtsverfahren angestrebt worden, weil sich ein Vertreter dieser Bevölkerung in seinen Rechten verletzt sah. Die Behauptung von der Verletzung der russischsprachigen Bevölkerung in der Ukraine ist genauso eine Lüge wie die Mär vom Antisemitismus bei uns. Es stimmt, Juden waren in den letzten Monaten immer wieder Ziel von Übergriffen. Doch diese Überfälle gingen auf das Konto der „Tituschki“, Janukowitschs Schlägerbanden und anderer Provokateure. Es ist gelogen, wenn behauptet wird, diese Angriffe seien von Maidan-Aktivisten durchgeführt worden.

In jüngster Zeit konnten wir auch Vandalismus gegen jüdische Gebäude auf der Krim feststellen. Interessanterweise waren ja einige internationale Beobachter des Referendums auf der Krim Abgeordnete sehr rechter Parteien: von der ungarischen Jobbik-Partei, dem französischen Front National, der österreichischen FPÖ, der Lega Nord und dem Vlaams Belang waren Beobachter auf der Krim.

Was ist Ihr größter Wunsch?

Frieden.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

13 Kommentare

 / 
  • @anamolie

    "Die Meinungsfreiheit ist in der Ukraine vll. noch eher gegeben, als in Russland."

     

    Das ist nicht ganz das Problem, um das es geht. Selbst wenn das so ist, rechtfertigt das nicht die westliche Intervention in der Ukraine. Es rechtfertigt auch nicht den politischen Eskalationskurs, den der Westen fährt - und der weiter verstärkt wird, wenn auch die Süd-Ost-Ukraine sich abspaltet.

     

    Putin ist sicher kein "lupenreiner Demokrat". Aber Merkel und Obama sind das genau so wenig. Es geht dem Westen nicht um Demokratie: das ist ein Propagandaargument. Es geht dem Westen darum, seinen Einflussbereich näher an Russland heranzuschieben.

     

    Die Frage dabei ist nicht, wo mehr bürgerliche Freiheiten zu finden sind, sondern die Frage ist, welche Konsequenzen dieser geopolitische Schachzug des Westens hat. Die Antwort ist eindeutig. Die Konsequenzen sind negativ, wirtschaftlich und in Bezug auf bürgerliche Freiheiten hier und dort.

     

    Darum muss man diesen Kurs des Westens stoppen.

    • @h4364r:

      "Das ist nicht ganz das Problem, um das es geht. Selbst wenn das so ist, rechtfertigt das nicht die westliche Intervention in der Ukraine"

       

      Genau dieser Meinung bin ich auch, doch auch dieser, dass sich Russland in Zurückhaltung hätte üben sollen, Das diplomatische Parkett wurde ,einer längeren Strategie folgend, vorschnell verlassen.

      Hier gab es keine humanen Beweggründe, und jeder noch so kleine Piff dahin wurde lechzend aufgesaugt und medial gepusht- von beiden Seiten !

  • Na dann brauchen wir uns ja keine Sorgen mehr zu machen... Wenn nur die nicht radikalen und nicht antisemitischen antisemitischen Rechtsextremisten der Swoboda 5 Ministerposten bekleiden, kann der Einfluss ja in der Tat nicht sehr groß sein... Oh wait...

  • GS
    Günter Scholmanns

    Die Angst vor dem russischen Einmarsch

    ist größer als Angst vor antisemitischer Verfolgung. Sowas wird doch nur von eingewanderten russischen Juden geschürt. Die Rechts Nationalisten? Swoboda?-- Kein Problem, wir treten hier alle zusammen bei Bühnenkonzerten auf...kein Problem. -???- Welcher Film läuft da??!

    • @Günter Scholmanns:

      Letzter Rabbiner der Krim verlässt diese Richtung Kiew. Schwer zu verstehen. Ich glaube langsam, man weiß einfach zu wenig.

       

      http://www.juedische-allgemeine.de/article/view/id/18660

      • GS
        Günter Scholmanns
        @lions:

        Wurde er als Jude oder als Kritiker des Russland Beitritts beschimpft?- Ist in dem verlinkten Artikel nicht besonders klar heraus gearbeitet.- Aber das angestammte Gebiet zu verlassen, dürfte auf jeden Fall ein elendes Gefühl sein.

  • Nun sind die meisten von uns nicht in der Ukraine dabei. Dennoch sind die Nachrichten aus diesem Land, die den Rechten Sektor und die Swoboda betreffen, mehr als beunruhigend, und m.E. sind diese Herrschaften nicht zu unterschätzen, auch wenn das Führungspersonal dieser Leute derzeit etwas Kreide gefressen hat. Mit kommt dieses Interview in der Tat etwas verharmlosend vor.Wahrscheinlich will er es sich mit den neuen Herren nicht verderben. Ein anderer Bericht von einem Menschen "vor Ort" kam vor einigiger Zeit:

    http://www.neues-deutschland.de/artikel/926014.juden-suchen-abstand-zum-machtkampf.html

  • Kann es sein, dass beim Interview ein gewisser bezopfter Herr samt paar sportlicher Freunderl mit anwesend war ;-)

  • Man muss es nur oft genug wiederholen, dass Rechte keinen Einfluss haben, dann wird sich sicher auch die Tatsache ändern, dass sie in der Putschregierung die Kontrolle über den Sicherheitsapparat und die Justiz haben :D

     

    Die Verhältnisse in Ukraine sehen etwas anders aus, als uns die taz weiß machen will:

    Die zivilisatorische Wahl wurde getroffen | http://theanondog.i2p.us/cgi-bin/src.py?140322060

    Selbst wenn man diese Darstellung als russische Propaganda abtun will, sollte einem aufgehen, dass es in Banderastan bei weitem nicht so rund, demokratisch und friedlich läuft, wie man uns in westlichen Medien glauben machen will.

     

    Westliche Propaganda und westliche Politik wie sie gerade ist, führen nirgendwo hin. Sie verhindern jede vernünftige Lösung dieses Konflikts.

     

    Sicher gibt es interessierte Kreise, die an einer weiteren Eskalation interessiert sind. Im Interesse der Bevölkerung ist sie nicht - weder in Ukraine noch bei uns.

  • Finberg: "Ich sehe derzeit keinen Extremismus bei den extremen Rechten."

     

    Miroschnitschenko?

  • Interessante Sichtweise.

    Er müsste allerdings für seine Aussagen auch einige Belege haben. In vielen Punkten weicht er aus oder stellt Sachen klar, die nie jemand bezweifelt hat.

    Z.B.:

    "...in den vergangenen Jahren ist nicht ein einziges Gerichtsverfahren angestrebt worden, weil sich ein Vertreter dieser Bevölkerung in seinen Rechten verletzt sah."

    Niemand hat jemals behauptet, dass unter dem Janukowitsch-Regime russischsprachige Menschen benachteiligt wurden. Eher das Gegenteil. Diese Aussage ist wertlos, interessanter wäre eine Nachfrage zur Abschaffung des Russischen als Amtssprache von der neuen Regierung gewesen.

     

    Auch ist interessant, dass er "Vandalismus gegen jüdische Gebäude auf der Krim feststellen" kann. Wie das? Hat er Beobachter dort? Evtl. die von den extrem rechten Parteien, die dort Beobachter waren? Dass sehr rechte Beobachter dort anwesend waren, ist mir auch aufgefallen. Leider erfährt man zu wenig aus der Presse, warum und wie diese ausgewählt worden. Das Interview liefert dazu auch nix.

     

    Insgesamt ist das Interview nicht geeignet, meine Bedenken gegen rechtsextreme Kräfte im neuen ukrainischen Regime zu zerstreuen. Der Interviewte schildert einige persönliche Eindrücke vom Maidan, die auch schon andere geschildert haben und dies anders sahen als er.

    Um dem Interview mehr Wert zukommen zu lassen, wäre es sinnvoll, evtl. nicht ein Vorstandsmitglied der Jüdischen Konföderation der Ukraine zu befragen, sondern ein offizielles Statement von denen, sofern diese Konföderation tatsächlich die Interessen der dortigen jüdischen Bevölkerung vertritt.

     

    Btw ist die regimebeteilligte Swoboda ein assoziertes Mitglied der "Allianz der Europäischen Nationalen Bewegungen" gewesen, ebenso wie Jobbik, Vlaams Belang und andere rechtsextreme Parteien, die Finberg nennt. Beendet hat sie diese Mitgliedschaft erst, nachdem Swoboda sich am ukrainischen Regime beteiligte und Jobbik eben Wahlbeobachter auf die Krim schickte.

  • Die Partei, die sich selbst “sozial-nationalistisch” nennt, und den Bezug zur Waffen-SS nicht verbirgt, sondern herausstellt, belegt sieben Schlüsselpositionen in der Regierung der Ukraine:

     

    Andrij Parubij, Sekretär des nationalen Rates der Sicherheits- und Verteidigungspolitik, Mitglied der Nationalsozialisten

     

    Dmytro Jarosch, Stellvertretender Sekretär des Nationalen Sicherheits- und Verteidigungsrates, Führer von Stepan Bandera Treezoob und dem Rechten Sektor.

     

    Oleksandr Sych, Stellvertretender Ministerpräsident, Mitglied der Swoboda

     

    Andriy Mokhnyk, Minister für Ökologie und natürliche Ressourcen, Mitglied der Swoboda

     

    Ihor Shvaika, Minister für Landwirtschaft und Ernährung, Mitglied der Swoboda

     

    Dmytro Bulatov, Minister für Jugend und Sport, Mitglied der Nazi-Partei UNA-UNSO

     

    Oleh Makhnitsky, Generalstaatsanwalt der Ukraine, Mitglied der Swoboda

     

    Und da spricht dieser Mann von “keinem grossen Einfluss”. Entschuldigung, aber wenn das ein “Wissenschaftler” sein soll, muss ich an seiner Motivation zweifeln, solche Aussagen öffentlich zu tätigen.