Nationalisten in der Ukraine: Der „Rechte Sektor“ will Macht
An den Kämpfen auf dem Maidan war der „Rechte Sektor“ maßgeblich beteiligt. Jetzt greifen seine Anführer nach der Macht. Aber die Menschen sind misstrauisch.
KIEW taz | Aufgeregt diskutieren Besucher des Maidan über die jüngsten Ereignisse. Plötzlich zwängen sich zwei Männer mit Armeestahlhelm und den Insignien der „Selbstverteidigung des Maidan“ zwischen die Diskutierenden und ziehen einen Gesprächsteilnehmer aus der Gruppe. Der als „Provokateur“ Enttarnte wird von den wie Guerillas gekleideten Männern in den Stab mitgenommen. Sein Versuch, über das Handy eine SMS abzusetzen, wird von den Maidan-Polizisten unsanft unterbunden.
Die Umstehenden billigen die Aktion. Man dürfe jetzt keine Schwäche gegenüber den Vertretern des alten Regimes zeigen, meint ein Mann mit Stahlhelm vom „Rechten Sektor“. „Ihr könnt ihn doch nicht einfach festnehmen, nur weil er seine Meinung gesagt hat“, ruft ein anderer Mann den Maidan-Polizisten zu. Doch diese lassen sich nicht beirren. „Keine Sorge, wir werden ihn verhören, und wenn sich zeigen sollte, dass er nichts auf dem Kerbholz hat, kann er sofort wieder gehen“, antworten sie ihm.
Sie wissen, dass die Menschen auf dem Maidan hinter dieser Aktion stehen. „Wir dürfen jetzt nicht in unserer Wachsamkeit nachlassen. Unser Handeln muss entschlossen sein, und damit es keine Missverständnisse gibt, müssen wir auch durchgreifen. Das Einzige, was die verstehen, ist Gewalt“, erklärt der junge Mann vom „Rechten Sektor“. Als sich ein weiterer Mann vom „Rechten Sektor“ der Gruppe nähert, bricht der Gesprächspartner die Unterhaltung abrupt ab. Er dürfe ja eigentlich keine politischen Erklärungen abgeben, sagt er achselzuckend.
Geliebt werden die Kämpfer des „Rechten Sektors“ von den Maidan-Bewohnern allerdings nicht. „Das sind doch Nationalisten. Wir dürfen nicht zulassen, dass die an die Macht kommen“, erklärt ein Aktivist aus Saporosche gegenüber der taz, der von den ersten Stunden an auf dem Maidan ist. Seine schwarzen Hände lassen ihn glaubwürdig erscheinen.
Er spricht aus, was wohl die meisten Aktivisten denken und fühlen. „Wir werden gar nicht gefragt. Die da oben, Julia Timoschenko und die Leute vom „Rechten Sektor“, meinen, sie können die Macht untereinander aufteilen. Doch sie haben die Rechnung ohne uns gemacht. Wir bleiben hier. Wenn auch unsere Führer sich jetzt schöne Schlösser bauen und Ministerposten ohne uns aushandeln, werden wir auch gegen sie kämpfen.“
„Revolutionärer ukrainischer Nationalismus“
Dmitrij Jarosch, Chef des „Rechten Sektors“, weiß, dass bald der Augenblick gekommen ist, sich und seiner Bewegung eine Machtbeteiligung zu sichern. „Die nationale Idee ist derzeit so wichtig für die Ukraine, weil gerade sie die Menschen angesichts der immensen Probleme zusammenhalten kann“, erklärte Jarosch gegenüber der taz die Botschaft seiner Bewegung. Seine Bewegung habe jedoch ein „gemäßigtes Programm“. Der „revolutionäre ukrainische Nationalismus“ sei keine Ideologie des Hasses gegen das russische Volk. „Unser Feind ist der russische Imperialismus. Wir sind keine Faschisten, keine Nazis und auch keine Russenhasser.“
Jarosch will ein ganz großes Stück vom Kuchen. „Wer auch immer an die Regierung kommt, darf nicht vergessen, wessen kräftigen Händen er seine Macht über das Volk zu verdanken hat. Der „Rechte Sektor“ wird jede Entwicklung im Land unter Kontrolle haben. Und wenn die neuen Politiker meinen, sie könnten es ihren Vorgängern gleichtun, sie könnten stehlen, bestechlich sein und die Bürokratie ausufern lassen, wird auch sie Janukowitschs Schicksal ereilen.“
Jaroschs Griff nach der Macht wird von den neuen Machthabern sehr ernst genommen. Die führenden Personen des „Rechten Sektors“, so der neue Innenminister der Ukraine, Arsen Awakow, könnten mit einflussreichen Posten in den Machtministerien rechnen. Niemand bezweifelt, dass Jaroschs Leute rücksichtslos gegen alle vorgehen werden, denen sie eine Zusammenarbeit mit früheren Machthabern nachweisen können.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Israelische Drohnen in Gaza
Testlabor des Grauens
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Gewalt an Frauen
Ein Femizid ist ein Femizid und bleibt ein Femizid