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Freihandelsabkommen TTIPDie Macht der Konzerne

Ein neues Abkommen zwischen EU und USA soll Konzernen neue Klagerechte geben. Die Industrie könnte so mehr Einfluss auf die Politik bekommen.

Nur fürs Pressefoto an die Öffentlichkeit: Die Verhandlungsführer von USA und EU stimmen sich hinter verschlossenen Türen ab Bild: dpa

BERLIN taz | Zwei Atomkraftwerke musste der schwedische Stromkonzern Vattenfall wegen des Atomausstiegs abstellen: Brunsbüttel und Krümmel – teuer gebaut, aber wegen der geänderten Politik der Regierung nicht bis zum vorgesehenen Laufzeitende betrieben.

3,5 Milliarden Euro Entschädigung will Vattenfall deshalb – und verklagte 2012 die Bundesregierung auf Schadenersatz beim Internationalen Zentrum zur Beilegung von Investitionsstreitigkeiten (ICSID) in Washington. Ausgang offen.

Die Klage ist schon die zweite, die Vattenfall gegen den deutschen Staat angestrengt hat, weil das Unternehmen seine Investitionen in Gefahr wähnte. Bereits 2009 zog Vattenfall vor das ICSID-Schiedsgericht, weil angeblich die Umweltauflagen für das Kohlekraftwerk Moorburg zu strikt seien.

Damals einigten sich Politik und Vattenfall außergerichtlich – und hinter verschlossenen Türen. Was man weiß: Die Umweltauflagen wurden gelockert. Viel mehr ist von dem Deal nicht bekannt.

Handel über den Atlantik

Der Vertrag: Die EU und die USA wollen sich zu einer Freihandelszone zusammenschließen. Die Verhandlungen zum Transatlantic Trade and Investment Partnership (TTIP) laufen bereits und dauern noch bis mindestens 2015.

Das Ziel: Heute bremsen Zölle von bis zu 7 Prozent den Handel zwischen der EU und den USA. Sie und andere Handelshemmnisse sollen abgebaut, Investitionen gestärkt und so das Wirtschaftswachstum gefördert werden.

Das Volumen: Es entstünde ein Markt mit mehr als 800 Millionen potenziellen Kunden, auf dem über die Hälfte der weltweiten Wirtschaftsleistung abgewickelt würde. Die deutsche Industrie rechnet mit einem jährlichen Exportwachstum von bis zu 5 Milliarden Euro.

Schutz für den Investor

Ausländische Konzerne, die Staaten verklagen, sind nichts Neues. Vattenfall ist allerdings das erste Unternehmen, das auf diese Weise gegen Deutschland vorgeht. Möglich machen solche Investor-Staat-Klagen sogenannten Investitionsschutzverträge, die in der Regel Teil internationaler Freihandelsabkommen sind. Vattenfall berief sich bei seinen Klagen auf die Energiecharta, ein 1994 geschlossenes internationales Abkommen zur Liberalisierung des Energiemarkts.

Solche Abkommen garantieren Unternehmen, dass ihre Investitionen in den Vertragsländern geschützt sind, etwa vor „Enteignung“ oder „unfairer Behandlung“. Was das genau bedeutet, ist Auslegungssache.

„Ein scharfes Schwert“

Überschattet vom NSA-Skandal begannen nun im Juli die Verhandlungen zwischen den USA und der Europäischen Union über das künftig größte Abkommen dieser Art weltweit: die Transatlantische Handels- und Investitionspartnerschaft (TTIP, siehe Kasten). „Eine Einigung wäre eine sehr, sehr gute Botschaft an die gesamte Weltwirtschaft“, sagte EU-Handelskommissar Karl De Gucht zum Gesprächsauftakt. Doch auch das TTIP soll Klauseln enthalten, um ausländische Investitionen zu schützen.

Kritiker fürchten, dass Deutschland deshalb öfter von Konzernen vor internationale Schiedsgerichte zitiert werden könnte. „Unternehmen nutzen diesen Schutz, um gegen unliebsame Regulierung vorzugehen“, sagt Pia Eberhardt von der lobbykritischen Organisation Corporate Europe Observatory. Und Peter Fuchs von der NGO Powershift meint: „Der Investitionsschutz ist ein scharfes Schwert in der Hand von Unternehmen.“

Andere Länder haben schon mehr Erfahrungen mit Investor-Staat-Klagen. Der Tabakkonzern Philip Morris geht wegen Warnhinweisen auf Zigarettenschachteln gegen Australien und Uruguay vor. Und der kanadische Konzern Lone Pine verklagt über eine US-Niederlassung seine eigene Regierung, weil die Provinz Quebec ein Fracking-Moratorium erlassen hat.

Mehrere tausend Abkommen

Ska Keller, Mitglied der Grünen-Fraktion im Europäischen Parlament, befürchtet, dass mithilfe des TTIPs künftig europäische Staaten etwa wegen Umweltauflagen, Gesundheits- oder sozialen Standards verklagt werden könnten. Schon die Aussicht auf einen solchen Rechtsstreit könne Gesetzesvorhaben stoppen.

Der Investitionsschutz wurde ursprünglich vereinbart, um das Engagement von Unternehmen in Entwicklungsländern zu fördern. Firmen sollten vor internationalen Schiedsgerichten klagen können, wenn sie etwa in Staaten enteignet werden, die keine unabhängige Justiz haben. Mehrere tausend solcher Abkommen gibt es weltweit, zu den bekanntesten zählen die amerikanischen Verträge Nafta oder Mercosur.

Laut Unctad, der UN-Organisation für Handel und Entwicklung, gab es bis Ende 2012 insgesamt 514 öffentlich bekannte Investor-Staat-Schiedsverfahren, die tatsächliche Zahl dürfte weit höher liegen (siehe Interview). Im Jahr 2012 wurden mindestens 58 neue Klagen eingereicht, vor zehn Jahren waren es halb so viele. 31 Prozent aller bei Unctad gelisteten Streitfälle wurden zugunsten des Investors entschieden, 42 Prozent zugunsten des Staats; in 27 Prozent der Fälle gab es eine Einigung.

Das Recht zu regulieren

„Das System ist mutiert und zu einer Allzweckwaffe von Unternehmen in politischen Auseinandersetzungen geworden“, sagt Eberhardt. NGOs und Grüne wie Keller fordern deshalb, die Klagemöglichkeit für Investoren im Freihandelsabkommen zwischen den USA und der EU ganz zu streichen. Auch weil der transatlantische Wirtschaftsraum mit seiner enormen Handelsmacht Vorbild für weitere Freihandelsabkommen sein dürfte.

Auch das Bundeswirtschaftsministerium kritisiert: „Investor-Staat-Schiedsverfahren sollten nur nach Ausschöpfung des Rechtswegs vor nationalen Gerichten eingeleitet werden können“, so ein Sprecher.

Wie genau der Investitionsschutz im Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA aussehen soll, ist bislang unbekannt. Die Verhandlungen finden unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt. Wie lange sie dauern werden, ist offen.

Die EU-Kommission sah sich bereits genötigt, auf Kritik zu reagieren: Auf ihrer Webseite heißt es, der Investitionsschutz im TTIP werde so gestaltet, dass das „Recht der Staaten zu regulieren Vorrang vor den Interessen der Investoren hat“.

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14 Kommentare

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  • T
    TOMMI

    "3,5 Milliarden Euro Entschädigung will Vattenfall deshalb..."

     

    Liebe Bundesregierung - GAAAANZ einfach!

     

    Zahlt Vattenfall die 3,5 Milliarden und schickt dafür die zig tausend Tonnen strahlenbelasteten Materials mit einem Schiff zur Konzernzentrale: Stockholm liegt am Meer!

     

    Selbstredend darf Vattenfall auch den Rückbau und die ordnungsgemäße Entsorung der zurückgebauten Reaktoren bezahlen.

     

    Fraglich, ob der staatseigene Vattenfallkonzern unter DIESEN Konditionen das Geld dann noch haben will...

  • FT
    free thought

    Wenn die Regierung sich selbst entmachtet, müssen WIR, die Bürger, Initiative ergreifen und gegen das Abkommen protestieren – und durch die nahezu irreversible Eigenschaft von TTIP ist es unsere einzige Chance, Protest danach wird chancenlos sein!

    Deshalb ist es nötig, so viele Menschen wie möglich von den Folgen des Abkommens zu informieren, da die Medien es nicht tun.

    - Plakate, Flyer

    - Kampagnen von Umweltorganisation, Landwirtschaftsverbänden unterstützen

    - Offene Briefe an Parteien, Kanzlerin (haha) und Bundestags- & EU-Abgeordnete

    - Leserbriefe an Zeitungen um auf das Informationsdefizit bzgl. TTIP hinzuweisen

    - Teilen von Artikeln über TTIP (ob Blog, Zeitung, Fernsehen, alternative Medien) auf Netzwerken

    - Onlinepetitionen wie http://umweltinstitut.org/freihandelsabkommen/allgemeines/freihandelsabkommen-verhindern-1144.html

    Oder

    https://campact.de/ttip/appell/teilnehmen/

    unterzeichnen und auf Netzwerken teilen

    - …

     

    Die Vorschläge stammen von einem sehr guten, informativen und umfassenden Artikel über das Abkommen: http://subversivesfieber.wordpress.com/2014/01/10/das-freihandelsabkommen-folgen-fur-verbraucherrechte-demokratie-und-souveranitat/

  • N
    nono

    sehr demokratisch. was für eine transparenz!

  • " die Industrie könnte so mehr Einfluss auf die Politik bekommen "..., NOCH MEHR Einfluss geht bald nicht, die Lobbyisten schreiben doch schon seit 1 bis 2 Jahrzehnten die Gesetze für die Politiker zum abnicken,

    ob Diktatur des Proletariats ( DDR ) oder Diktatur des Kapitals ( BRD ) ist der gleiche Schei...,

  • AG
    Ami go home and the others too!

    Pervers. Verschließt die Türen vor den USA; von da kommt nur und nur Unheil her und Macht- und Monetengier. Ami go' home!

    • @Ami go home and the others too!:

      Nestle, BASF, Bayer, Deutsche Bank und Andere sind aber keine USA. Die scharren auch schon fleißig mit den Füßen.

  • Genmanipuliertes Saatgut, Klonfleisch, Chlorhähnchen und

    viele amerikanischen "Errungenschaften" mehr. Einklagbar.

    Das haben wir vom Freihandelsabkommen.

    Sie führen Kriege, steuern Drohnen von- und lagern Häftlinge auf deutschem Territorium. Das genügt.

    No thanks.

  • FG
    Fabian G.

    Die Problematik der Investor_in-Staats-Klagerechte wird in dem Artikel recht gut beschrieben.

    Leider finden viele andere Brisante Punkte keine Erwähnung.

     

    Die Autorin schreibt, der Investitionsschutz wurde ursprünglich vereinbart, um das Engagement von Unternehmen in Enwticklungsländern zu fördern. Das sollte meines Erachtens zur Diskussion gestellt werden. Gerade in Verträgen mit großer Machtassymetrie sind Investitionsschutzklauseln fatal. wirtschaftlich schwache Länder haben oft keine Chance gegen die Macht von großen Konzernen, insbesondere wenn diese auch noch mit Investor_in-Staatsklagerechten ausgestattet sind.

     

    Im Infokasten ist die Rede von bis 7%-gen Zöllen "und andere(n) Handelshemmnissen". Das verzerrt die Realität. Die Zölle sollen wohl die kleinste Rolle im TTIP spielen.

    Das Wort "Handelshemmnisse" sollte man mAn auch nicht so stehen lassen. Es geht hier um Umweltschutz-, Sozial-, Sicherheits- und Verbraucherschutzstandards, Vorsorgeprinzip, (man sollte sogar von Errungenschaften reden,) die alle zur Verhandlung gestellt werden.

    Darüber hinaus sind auch Punkte bekannt geworden, die nichts mit Handelshemmnissen zu tun haben, wie Mitspracherecht für Unternehmen bei Gesetzesentwürfen.

  • Es ist durchaus nachvollziehbar, dass die Staaten dem Recht zu regulieren einen Vorrang einräumen möchten. Es ist aber auch nachvollziehbar, dass die Investoren Rechtssicherheit brauchen. Ist diese nicht gegeben, wird nicht investiert. Das kann gut sein, führt aber in den meisten bekannten Fällen zum Nachteil des Staates. Ein sehr gutes Beispiel ist Venezuela. Hier wurde die gesamte Ölindustrie verstaatlich (also Investoren hatten keine Rechtssicherheit).

    Das Ergebnis ist nun, dass durch die Enteignung nun die ausländischen Investoren einfach nicht mehr investieren bzw. Handelsbeziehungen aufbauen. Das Ergebnis davon ist der Zusammebruch einer effizienten Ölindustrie. Das ist sicherlich gut für das Klima. Das ist aber leider ganz schlecht für die Menschen in diesem Land, da es halt keine netten Devisen gibt, bzw. der lohn nichts mehr wert ist.

    Man sollte also immer zwei Seiten einer medaille anscheuen.

    • M
      Münsteraner
      @Demokrat:

      Ist es nicht so, dass man genau hin schauen solle WEM das investment von ausländischen Unternehmen lohnt? In den wenigsten Fällen profitiert das eigene Land oder die Menschen dort. Oft wird zu extrem billigen Konditionen produziert oder die Gewinne fließen alle samt zurück in das Urpsrungsland und zu deren Aktionären. Und ja, die Aktionäre bekommen fette Devisen ausgezahlt. Und dann hat man noch die zerstörte Umwelt. Auch super. Man hat ja mehr als eine Umwelt was?

  • S
    SchlitzohrMoral

    Die EU-Kommissare haben nicht

    das Recht an der europäischen Öffentlichkeit vorbei eine Freihandelszone mit den USA

    einzugehen!!!

    Auch Konzerne können sich ihr

    Wirtschaftsrisiko nicht

    abstellen. Wie jedes andere Unternehmen, dass auf politische Rahmenbedingungen reagieren muss, haben auch Konzerne

    mit demokratisch legitimierten Entscheidungen der Regierungen zu leben.

    Wieso denken die Großkonzerne bei den Demokratien Regresszahlungen ausmachen zu können. In China legen sie sämtliches Produktions-Know-How

    offen und lassen sich von Staatskonzernen ausspionieren und wegmobben und benachteiligen ohne Ende, aber im Westen denken Sie sich gegen

    jede politische Unwägbarkeit

    absichern zu dürfen.

    Die Wirtschaftskompetenz der Führungskreise ist eine pure

    Hybris.

  • F
    FrazK

    Der nächste Schritt wäre dann die völlige Privatisierung der Regierungen und ihrer hoheitlichen Aufgaben, alles schön zu sehen in den USA, wo seit die Gefängnisse privatisiert worden sind, mit einem mal auch die Zahl der Täter steigt, denn ein leeres Gefängnis lohnt sich nicht.

  • G
    Gast

    "zu den bekanntesten zählen die amerikanischen Verträge Nafta oder Mercosur."

    > Mercosur ist kein (us-)amerikanischer Vertrag, sondern ein wirtschatflich-poltisches Integrationsbündnis Südamerikanischer Staaten. Bitte ausreichend recherchieren!

  • Auf jeden Fall interessant, die eigentliche Motivation dieser Investitions-Klausel von 94 zu erfahren. Durchaus nachvollziehbar, sowohl ökonomisch als auch politisch. Eine Industrienation investiert in ein Entwicklungsland. Dort ist nicht ganz klar absehbar, ob in der Produktion alles reibungslos läuft, weil eine nicht ganz unabhängige Justiz möglicherweise Gesetze erlässt, durch welche sich ein Dritter bereichert. Durch die Möglichkeit des Unternehmens, gegen die Regierung zu klagen, wird natürlich der Druck erhöht, eben solche Vorfälle zu verhindern. So verstehe ich das zumindest.

     

    Stellt sich mir allerdings die Frage: Inwieweit wird so eine Klausel denn im TTIP überhaupt benötigt - abgesehen vom neoliberalen Standpunkt, natürlich.