Ölkatastrophe in Nigeria: Schwere Vorwürfe gegen Shell
Amnesty International beschuldigt Shell, das Ausmaß von Ölverschmutzungen in Nigeria heruntergespielt zu haben. Die Ursachen seien verschleiert worden.
LAGOS ap | Es war eine der schlimmsten Umweltkatastrophen in Nigeria: 2008 strömen im Bodo-Creek im Nigerdelta durch ein Leck in einer Ölpipeline des Konzerns Shell Tausende Barrel (Fass) Öl aus. Rund 30.000 Menschen, die überwiegend von Fischfang und Landwirtschaft leben, verlieren ihre Existenzgrundlage. Große Flächen von Mangrovenwälder werden zerstört.
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI) wirft Shell in einem Bericht nun vor, über diese und andere Ölverschmutzungen in Nigeria falsch informiert zu haben. Ferner soll das Unternehmen über die Ursache von Lecks falsche Angaben gemacht haben, um keinen Schadenersatz zahlen zu müssen.
Nach Angaben des niederländisch-britischen Ölkonzerns strömten ab dem 5. Oktober 2008 insgesamt 1.640 Barrel Öl in den Bodo-Creek. Aus Unterlagen der nigerianischen Regierung sowie der zuständigen Gemeinde geht allerdings hervor, dass bereits seit dem 28. August des betreffenden Jahres Öl ausfloss. Das von Amnesty International mit der Untersuchung des Vorfalls beauftragte US-Unternehmen Accufacts kommt zu dem Schluss, dass mindestens 72 Tage lang bis zu 4.320 Barrel Öl täglich die Gewässer verunreinigten.
Mit diesen Angaben konfrontiert, erklärte Shell laut Amnesty International, die Pipeline sei stillgelegt worden; deshalb könne gar nicht so viel Öl ausgelaufen sein. Videoaufnahmen belegen allerdings, dass noch am 7. November 2008 Öl ins Wasser strömte. Auch in anderen Punkten argumentiert Shell widersprüchlich: So hat der Konzern mitgeteilt, im Zeitraum zwischen dem 30. Oktober 2008 und Dezember 2009 seien die Ölverschmutzungen im Bodo-Creek beseitigt worden. Zugleich erklärte das Unternehmen, man habe keinen Zugang zu dem Gebiet gehabt, um ein weiteres Ölleck, das am 7. Dezember 2008 aufgetreten war, stoppen zu können.
Ein trauriger Ort
Der Jurist Martyn Day von der britischen Anwaltskanzlei Leigh Day, die etwa 15.000 Bewohner von Bodo vertritt, bezeichnete die Schätzungen von Shell über das Ausmaß der Katastrophe als „kompletten Unsinn“. „Viele Tausend Hektar an Mangrovenwäldern sind zerstört worden“, sagte er. „Bodo war ein florierender und lebendiger Fischereihafen. Jetzt ist er so gut wie tot. Es ist ein sehr, sehr trauriger Ort.“
Amnesty wirft Shell weiterhin vor, Öllecks im Nigerdelta fälschlicherweise mit Sabotageakten oder dem illegalen Anzapfen von Ölpipelines begründet zu haben - in diesen Fällen muss ein Unternehmen keinen oder nur wenig Schadenersatz an die Betroffenen zahlen. Shell Nigeria wies in einer Reaktion auf den AI-Bericht die „grundlosen Behauptungen“ zurück. Es müssten Lösungen für „die schreckliche Tragödie von Ölverschmutzungen im Nigerdelta gefunden werden“, erklärte der Konzern. Shell war das erste Unternehmen, das dort mit der Ölförderung begann. Die Produktion startete im Jahr 1958.
Aus dem Bericht von Amnesty International geht erstmals hervor, wie groß das Ausmaß an Ölverschmutzungen in dem Gebiet überhaupt ist. Die drei Ölkonzerne, die dort aktiv sind, verursachten demnach innerhalb von sechs Jahren mindestens 3.000 Öllecks. Im Jahr 2012 seien 207 Öllecks von Shell verursacht worden und sogar 474 Verunreinigungen von der nigerianischen Tochter des italienischen Ölkonzerns ENI, AGIP, heißt es in dem Bericht, für den Experten von Accufacts zahlreiche Dokumente und Unterlagen auswerteten.
Amnesty übte auch heftige Kritik an der nigerianischen Regierung, die Anteile sowohl an Shell Nigeria als auch an AGIP hält. Sie habe es versäumt, die Ölindustrie zu kontrollieren und zu verhindern, dass die Umwelt geschädigt werde und Menschenrechte verletzt würden. AI rief außerdem die italienische und die niederländische Regierung auf, die Aktivitäten ihrer Ölkonzerne in Nigeria zu prüfen und sicherzustellen, dass den Menschen in den betroffenen Gebieten auch geholfen werde.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nach dem Anschlag in Magdeburg
Rechtsextreme instrumentalisieren Gedenken
Anschlag in Magdeburg
„Eine Schockstarre, die bis jetzt anhält“
Anbrechender Wahlkampf
Eine Extraportion demokratischer Optimismus, bitte!
Bundestagswahl am 23. Februar
An der Wählerschaft vorbei
Russische Männer auf TikTok
Bloß nicht zum Vorbild nehmen
EU-Gipfel zur Ukraine-Frage
Am Horizont droht Trump – und die EU ist leider planlos