piwik no script img

Die Sucht nach Nikotin

Die Anti-Raucher-Pille kommt. Doch ohne einen starken Willen, rauchfrei zu leben, geht es auch künftig nicht  ■   Von Friedrich Hansen

„Gelänge es, eine Zigarette mit reinem Nikotin, also ohne krebserzeugende Beimischungen, herzustellen“, sagt Friedrich Wiebel, Professor für Toxikologie der For-schungsanstalt in Neuherberg (GSF) bei München, „dann wäre das Rauchen völlig harmlos.“ Der Grund für diese, auf den ersten Blick irritierende Feststellung ist, dass Nikotin selbst keinerlei bleibenden Schaden im menschlichen Körper anrichtet – jedenfalls so viel bis heute bekannt ist.

Das gleiche gilt übrigens, abgesehen natürlich von lebensbedrohlichen Vergiftungen, auch für Heroin. Allerdings steckt die Erforschung von Langzeitfolgen des Drogengebrauchs derzeit noch in den Anfängen. Das liegt zum Teil daran, dass hier die Zeitspanne zwischen Ursache und Wirkung extrem lang ist. Erst nach Jahrzehnten des täglichen Nikotingenusses nämlich stellen sich Lungenkrebs oder ein Herzinfarkt ein. Gut bekannt hingegen sind die Soforteffekte, etwa die durch Nikotin bewirkte mangelhafte Durchblutung wichtiger Organe. Immer öfter verlangen etwa Chirurgen von Rauchern, wegen der deutlich schlechteren Wundheilung für mindestens eine Woche vor einer geplanten Operation auf Nikotin zu verzichten.

Ohnehin unternehmen im Schnitt starke Raucher sechsmal pro Jahr einen Versuch, vom Nikotin loszukommen. Für sie gilt noch immer Mark Twains Bonmot: „Das Rauchen sein zu lassen ist nicht schwer, ich habe es schon hundertmal gemacht.“ Kein Wunder! Denn inzwischen bestätigen die Suchtforscher, dass Nikotin noch stärker abhängig macht als Heroin. Immer präziser wird das Bild, das die Neurobiologen von den Suchtmechanismen unseres Gehirns zeichnen. Dazu gehört, dass Nikotin, ebenso wie einige harte Drogen, in das Belohnungssystem des menschlichen Gehirns eingreift – mit Hilfe von Botenstoffen, die dem Gehirn Wohlbefinden signalisieren.

Zu ihnen gehört – der Name deutet es schon an QP das Dopamin. Es wird durch Nikotinzufuhr an den Nervenendigungen bestimmter Hirnregionen angereichert. Und sobald der Dopaminspiegel wieder absinkt, stellt sich der jedem Raucher vertraute Schmacht ein: das unwiderstehliche Verlangen nach der nächsten Zigarette. Ein zweiter Botenstoff, das Noradrenalin, sorgt für die aufputschende Wirkung, die vielen Rauchern das konzentrierte Arbeiten für kurze Zeit erleichtert. Wer indes diesen Effekt für mehrere Stunden aufrechterhalten will, muss Kette rauchen.

Damit ist der Suchtmechanismus beschrieben, der für sich genommen eigentlich unschädlich ist, wären da nicht die ungefähr 4.000 Einzelstoffe, die bei der Verbrennung von Tabak entstehen, darunter etwa vierzig wissenschaftlich überführte Krebsauslöser. Kein Mensch würde sich diesen Giftcocktail freiwillig tagein tagaus einflößen, wenn er nicht mit dem Nikotin-Taxi frei Haus geliefert würde.

Ganz nebenbei und gleichsam unmerklich bewerkstelligt also die Nikotinsucht den täglichen Gifttransfer in den Körper. Das ist vielen Rauchern nicht einmal bewusst. Verbreitet ist hingegen die irrige Vorstellung, den Gesundheitsschäden des Rauchens hilflos ausgeliefert zu sein, weil das suchterzeugende Nikotin zugleich als Killersubstanz wahrgenommen wird.

Tatsächlich ist die Summe der im Zigarettenrauch versammelten Risiken frappierend. Während ein Asbest- oder ein Uranminenarbeiter lediglich ein fünffach erhöhtes Lungenkrebsrisiko aufweist, bringt es der Giftcocktail eines Rauchers auf das Zehnfache. Kombiniert man Asbest und Rauchen, dann steigt das Krebsrisiko sogar auf das 53-fache. Hinzu kommen noch die Folgen der Gefäßschädigung.

So hat das Rauchen nach einer WHO-Prognose gute Chancen, bereits im Jahr 2020 zur weltweit häufigsten Todesursache aufzusteigen – in den Industrieländern ist das bereits jetzt der Fall.

Wegen der immensen gesellschaftlichen Bedeutung des Rauchens mögen mittlerweile Ärzte und Pharmaunternehmen nicht mehr tatenlos beiseite stehen. Nur fünf Prozent der Raucher schaffen es mit einem bloßen Willensakt, das Laster zu quittieren. Die Unterstützung durch Nikotinersatz, sei es als Pflaster, Spray oder Kaugummi, hebt die Erfolgsrate immerhin auf 18 Prozent. Doch der Placeboeffekt allein, also die regelmäßige Abgabe von nikotinfreien Attrappen, bringt es auch schon auf 15 Prozent – eine bis heute kaum erforschte List der menschlichen Natur.

Nun soll Anfang nächsten Jahres in Deutschland nicht nur die erste Anti-Raucher-Pille auf den Markt kommen, sondern auch ein professionelles Therapieprogramm. Der Psychologe Hans-Ulrich Wittchen vom Münchner Max-Planck-Institut für Psychiatrie hat ein ausgebufftes Trainigsprogramm entwickelt. In Gruppen erreicht diese Verhaltenstherapie eine Erfolgsquote bis zu 50 Prozent. Doch Vorurteile gegen Psychotherapie und ein fehlendes bundesweites Angebot haben deren Nutzen bisher begrenzt. Das ließe sich bald ändern, wenn die Gruppentherapie mit der Anti-Raucher-Pille kombiniert wird, hofft Wittchen.

ZybanÛ war ursprünglich von der Firma Glaxo gegen Depressionen entwickelt worden, hatte sich aber nicht bewährt. In den letzten Jahren aber haben schon über vier Millionen US-Bürger die Pille gegen das Rauchen ausprobiert. Und sie hatten nach einer kürzlich im New England Journal of Medicine veröffentlichten Studie dabei durchaus einen gewissen Erfolg. Ausgewählt hat man dafür 900 Probanden mit dem festen Willen, das Rauchen einzustellen. Erfolg hatten bei dieser Raucherentwöhnung ohne Nikotinersatz immerhin 33 Prozent über eine Dauer von einem Jahr.

Die Pille muss 6 bis 12 Wochen zweimal täglich eingenommen werden – bei geschätzten Kosten im Gegenwert einer Packung Zigaretten, versichert ein Vertreter des Herstellers GlaxoWellcome. Zu rechnen ist auch mit Nebenwirkungen wie Schlaflosigkeit und Mundtrockenheit. Wunder darf man von der neuen Pille nicht erwarten. Ohne eine starke Motivation, Nichraucher zu werden, geht auch künftig gar nichts.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen