Buchvorstellung „Wikileaks“: „Was tut ihr, um Quellen zu schützen?“
Zwei Guardian-Journalisten stellen ihr Buch über Wikileaks vor und geraten dabei in die Kritik. Aus der letzten Reihe greift sie der Hacker Jacob Appelbaum an.
BERLIN taz | Über seine Erfahrungen mit dem britischen Geheimdienst erzählt David Leigh erst später beim Bier. „Wenn Luke auf seinem Laptop tippt, dann bewegt sich der Mauszeiger manchmal ganz von allein. Dann ist klar, der GCHQ liest mit“. David Leigh zwinkert in Richtung Luke Harding. Die beiden wissen, was es heißt, einen kontrollwütigen Geheimdienst wie das Government Communications Headquarter herauszufordern.
Leigh und Harding sind Enthüllungsjournalisten beim Guardian, haben WikiLeaks-Gründer Julian Assange zur Berühmtheit verholfen, seine Visionen und Erfolge miterlebt, ebenso seine Entgleisungen und seine Paranoia. Darüber haben sie ein Buch geschrieben, das im Oktober unter dem Titel „WikiLeaks – Julian Assanges Krieg gegen Geheimhaltung“ in Deutschland erscheint und zu den Vorlagen des Hollywoodfilms „The Fifth Estate“ zählt.
Es ist eine ungewöhnliche Buchvorstellung – vielleicht eine unvergessliche. Da sitzen zwei britische Journalisten mit ihren feinen Anzügen in dem kleinen Kellergewölbe einer Bücherei und bringen mit ihren Anekdoten über Assange die Welt der „Game Changer“ direkt nach Berlin. Eine Welt mit geänderten Spielregeln, die von Assange entworfen und von Chelsea Manning und Edward Snowden weitergespielt wurde.
Und doch geht es an diesem Abend weniger um Assange oder WikiLeaks, als um die Rolle der Journalisten bei den Enthüllungen, ihren Pflichten gegenüber Whistleblowern und der Frage, wo die Selbstzensur der Medien beginnt.
Das liegt vor allem an einem Zuhörer mit schwarzer Hornbrille, von dem man sofort das Gefühl hat, ihn zu kennen: Jacob Appelbaum, Hacker, Programmierer und Wikileaks-Unterstützer. Er kreuzt verspätet auf und verstrickt die beiden Journalisten in ein Streitgespräch über die mangelhafte Verschlüsselung beim Guardian, die fehlende Unterstützung der Zeitung für ihren von Geheimdiensten drangsalierten Journalisten Glenn Greenwald, sowie die Untätigkeit des Guardian beim Schutz ihrer NSA-Quelle Edward Snowden. Und vor allem wirft Appelbaum ihnen vor, vor dem britischen Geheimdienst zu kuschen.
Buchautoren in der Defensive
„Beim Guardian werden Geschichten unterdrückt. Sie haben die Liste aller britischen Geheimdienstmitarbeiter, die im großen Stile Menschenrechte verletzen. Warum veröffentlichen Sie die Namen nicht?“ – „Dafür gibt es Gründe, die wohl verständlich sind. Tausende britische Staatsbürger sind beim GCHQ angestellt, gehen jeden Tag in die Arbeit, haben Familie.“ ... „Warum geben Sie nicht zu, dass der Guardian von britischen Behörden zensiert wird?“ – „Sie sind kein Fan des Guardian, was?“ – „Was hat denn der Guardian getan, um seine Quellen zu schützen? Hat er Snowden in Hongkong ein Flugticket besorgt? Und wie hat er Assange geholfen?“
Der Schlagabtausch bringt die Buchautoren in die Defensive. Vielleicht hätte Appelbaum einfach geschwiegen und wäre nach der Buchvorstellung nach Hause gegangen, hätte nicht David Leigh, bis April 2013 zuständig für Investigativ-Journalismus beim Guardian, nicht die Anekdote mit dem Passwort erzählt. Aus seiner Sicht nicht mehr als ein unverhältnismäßiger Wutausbruch Assanges, der die „bizarre“ Facette des Aktivisten offen legt. Für Assange ist es hingegen Verrat: Leigh soll Wikileaks-Dokumente weitergegeben haben.
Assange hatte dem Journalisten ein Passwort gegeben, mit dem die Diplomaten-Depeschen, der größte Leak der Enthüllungsplattform, entschlüsselt werden konnten. Dabei habe Assange versichert, das Passwort sei nur für kurze Zeit gültig. Leigh hielt es für eine griffige Überschrift für ein Buchkapitel – und veröffentlichte den gesamten Schlüsssel. Das war im Februar 2011, als die Assange-Biographie in englischer Sprache erschien. Sechs Monate später kursierte das Gerücht, mit dem Passwort könne nach wie vor auf Wikileaks-Dokumente zugegriffen werden. Assange zürnte. „Er hat mich angelogen“, verteidigt Leigh seine Sorglosigkeit heute.
„Die Herausgabe des Schlüssels ist unendlich dumm.“ fährt es da plötzlich aus der letzten Reihe. Es ist Appelbaum. Denn wer das Passwort habe, könne auf die Verschlüsselung bei Wikileaks schließen. Eine Herausgabe des Schlüssels ist demnach gleichzusetzen mit der Herausgabe der geleakten Dokumente. Und so beginnt Appelbaum, der sich in Deutschland vor dem Zugriff der US-Behörden in Sicherheit gebracht hat, mit seinen Anschuldigungen.
Der unter Druck
Anschuldigungen, die Leigh und Harding als überzogen, ja ungerecht empfinden. „Ungeduldig“ ist er im Laufe der Diskussion geworden, sagt Leigh später. Vor allem, als Appelbaum behauptete, der Guardian würde aus Angst von der Regierung ihren NSA-Reporter Glenn Greenwald fallen lassen. Greenwald hatte die NSA-Dokumente von Whistleblower Edward Snowden beim Guardian veröffentlicht. Seither versucht der britische Geheimdienst, ihn zum Schweigen zu bringen.
Nimmt der Guardian ihn nicht genügend in Schutz? „Verrückt“, wettert Leigh. Schließlich wurde selbst Guardian-Chefredakteur Alan Rusbridger von der britischen Regierung massiv unter Druck gesetzt. Das Traditionsblatt soll die Snowden-Unterlagen zerstören oder herausgeben. Jede neue Enthüllung reizt die Behörden weiter. „Es ist ein Drahtseilakt“.
Als David Leigh im Jahr 2007 zum ersten Mal auf Assange trifft, war weder die Bedeutung der Whistleblower noch das Ausmaß der staatlichen Überwachung abzusehen. Dennoch spürt er damals: Hier passiert etwas Großes. Auf einer Konferenz in Norwegen bedrängt ihn Assange, auf sein Zimmer zu folgen. Dort spielt er dem Journalisten das Video aus dem Irak-Krieg vor, das WikiLeaks später unter dem Titel „collateral murder“ veröffentlichen sollte. Das Video zeigt, wie amerikanische GIs irakische Zivilisten vom Hubschrauber aus töten.
„Das Schrecklichste, was ich je in meinem Leben gesehen habe“, erinnert sich Leigh. Sein erster Reflex: Das müssen wir veröffentlichen. Nur – die New York Times ist damals schneller. Mit dieser ersten Episode beginnt der Aufstieg des Julien Assange, der 2010 mit den geleakten Diplomaten-Depeschen seinen Höhepunkt erreicht. Luke Harding, zu der Zeit noch Russland-Korrespondent, ließ sofort alles stehen und liegen, als Leigh anrief und ihn bat, in New York bei der Sichtung der 250.000 Depeschen zu helfen. Sein Eifer holte Harding ein Jahr später ein: Weil der Russland-Korrespondent seine Artikel über den korrupten Putinismus noch mit geleakten Diplomatendepeschen würzte, verweigerte ihm der Kreml die erneute Einreise.
„Guten Willen gezeigt“
Heute lebt Assange in der Botschaft Ecuadors in London und gibt von Zeit zu Zeit „eine dieser Eva Perón-Reden“. So bezeichnet Harding in Anspielung an die in Argentinien vergötterte Frau des Präsidenten Juan Perón – eine Art Lady Di der 1940er – Assanges Ansprachen vom Balkon des Botschaftsgebäudes. Auf dem „WikiLeaks“-Buchcover ist einer dieser Assange-Reden verewigt.
Assange im goldenen Käfig, Manning zu 35 Jahren Haft verurteilt, Snowden in Russland abgetaucht – auch wenn Whistleblower mit drakonischen Strafen von furiosen Geheimdiensten zu rechnen haben, die Macht des Enthüllungsjournalismus ist so groß wie nie. Darin sind sich Appelbaum und die Guardian-Journalisten einig. Bei den Pflichten, die den Medien dabei zukommt, jedoch nicht: „Vielleicht haben wir Snowden nicht genug geholfen“, räumt Harding ein, „aber wir haben unseren guten Willen gezeigt.“
Indem der Guardian Dokumente veröffentlichte, die sich in Großbritannien sonst keiner trauen würde, zu verbreiten; indem der Guardian weiter NSA-Dokumente veröffentlichen werde. Nur vorsichtig. Das ist die eine Sichtweise. Die andere: Wer sich schon als Held aufspielt, der muss auch verraten, was er nicht erzählt. Und das ist, sagt Appelbaum anschließend vor der Tür, dass der Guardian bestimmte Dokumente nicht preisgibt. Das wisse er.
Aber ist es so einfach? Hier Mainstream-Medien, die sich selbst zensieren und dort Aktivisten wie Appelbaum, die alles richtig machen? Ich bin ja nicht hierher gekommen, um die beiden anzupissen, sagt Appelbaum, und hält das „WikiLeaks“-Buch hoch. Ich bin hier, weil ich das auch auf Deutsch haben wollte.
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