Szene radikalisiert sich: Rechte rüsten auf

Die rechte Szene in Berlin überwindet interne Gräben und radikalisiert sich. Verfassungsschutz warnt vor „immer extremeren Aktionsformen“.

Machen jetzt gern auf Autonomen-Style: Berliner Neonazis auf einer Demonstration. Bild: ap

Der frühere Gardinenladen in der Lichtenberger Lückstraße wäre reichlich unscheinbar, gäbe es da nicht die schwarzen Farbkleckse an der Fassade – Protestrelikte der Antifa. Denn hinter den verhangenen Scheiben treffen sich Berlins radikalste Neonazis: die Kader vom „Nationalen Widerstand Berlin“ (NW).

Und diese Gruppe wird zunehmend aggressiver, so warnt der Berliner Verfassungsschutz in einem am Mittwoch veröffentlichten Lagebericht. Zudem sei es den Neonazis gelungen, die rechte Szene der Stadt in einem „informellen Netzwerk“ zu einen. Ihr Zentrum: Lichtenberg, rund um die Lückstraße.

Der Bericht ist alarmierend. Schon heute seien die NW-Nazis, die selbst ernannten „Autonomen Nationalisten“, tonangebend. Sie träten konspirativ und „enorm gewaltbereit“ auf, so die Verfassungsschützer. Künftig dürfte sich die Szene aufspalten: in gemäßigtere Anhänger der NPD und fester „Kameradschaften“. Und in jene, die „noch stärker als bisher auf anonyme und aggressive Aktionsformen“ setzen. Der Geheimdienst deutet gar terroristisches Potenzial an: Es bestehe die Gefahr, dass sich Einzelgänger oder Kleinstgruppen „immer stärker radikalisieren und auf immer extremere Aktionsformen zurückgreifen“.

Bereits im August und im Oktober verübten die Neonazis Gewaltserien: Sie warfen nachts Scheiben bei Parteibüros und Nazigegnern ein, sprengten Briefkästen, schmierten Hakenkreuze. Der Verfassungsschutz spricht von „koordinierten und zielgerichteten Angriffen“.

Den militanten Neonazis sei es gelungen, auch bisher distanzierte Rechte für sich zu gewinnen, so der Bericht. Gemeint sind etwa Besucher der Szenekneipe Zum Henker oder Exmitglieder von Frontbann24, einer noch straff organisierten „Kameradschaft“, die 2009 verboten wurde. Spätestens seit dem Verbot habe sich die Szene der losen, konspirativen Organisation des NW zugewandt. Die Gruppe gebe sich jung und modern, setze auf Einschüchterung und Provokation, nicht mehr auf herkömmliche Demos und Flyeraktionen.

10 bis 15 Personen rechnet der Verfassungsschutz der „Führungsgruppe“ um den NW zu. Dazu kämen etwa 60 feste und bis zu 80 lose Unterstützer. Diese seien inzwischen eng mit der NPD verzahnt, nähmen dort Führungspositionen ein, liefen bei Veranstaltungen unter deren Flagge. Gemeinsam treffe man sich seit Mitte 2012 zu „Sturmabenden“, mal im „Henker“, mal in der Lückstraße.

Als Rechtsextremenhochburg sieht die Behörde wieder Lichtenberg. Der Bezirk kämpfte jahrelang mit einem braunen Ruf, schien ihn zuletzt an Schöneweide abgetreten zu haben. In dem Stadtteil in Treptow-Köpenick lebten tatsächlich mehr Neonazis, so die Verfassungsschützer. Viele der wichtigen Kader aber wohnten weiter in Lichtenberg und hätten in der Lückstraße ihr „strategisches Zentrum“. Dritter Ort sei Neukölln, wo Nationalisten und NPD „nahezu vollständig verschmolzen“ seien.

Lichtenbergs Bürgermeister Andreas Geisel (SPD) weist für seinen Bezirk einen „braunen Rückfall“ zurück. „Im öffentlichen Bild kommen Neonazis hier kaum noch vor – kein Vergleich zur Situation vor 10 oder 20 Jahren.“ Dass es dem NW gelungen sei, 2011 mit einem Tarnverein den Laden in der Lückstraße anzumieten, sei ein „Rückschlag“, gesteht Geisel. „Aber auch der Treff wirkt nicht nach außen.“ Zudem habe ihm die Polizei nur von vier ansässigen Szenekadern berichtet. Und, so der SPD-Mann: „Heute zeigt der Kiez deutlich Gesicht.“ Dieses Engagement werde fortgesetzt, etwa mit einem Multikultifest im Juni – in der Lückstraße.

Auch Innensenator Frank Henkel (CDU) kündigte an, den Druck auf die Szene weiter hoch zu halten. Im „Freie-Kräfte-Netzwerk“ seien die „gefährlichsten und gewaltbereitesten Rechtsextremisten in Berlin“. Henkel machte sich auch noch mal für ein NPD-Verbot stark.

Die rechte Szene bereitet derweil ihr nächstes Event vor. Am 1. Mai will die NPD in Schöneweide aufmarschieren und ein Konzert abhalten. Organisator: Sebastian Schmidtke, NPD-Landeschef. Und NW-Aktivist.

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