Soziales im Netz: Bald dunkel im Dunkelfeld

Die Online-Beratung von „Schattenriss“ erreicht Mädchen, die sexuelle Gewalt erlebt haben und sich nie persönlich melden würden. Nun läuft die Finanzierung aus.

An fünf Tagen in der Woche antwortet Anke Fürste Mädchen, die sexualisierte Gewalt erleben mussten. Bild: Jean-Philipp Baeck

Der Online-Beratung von „Schattenriss“ für sexuell missbrauchte Mädchen droht das Aus. Vor zwei Jahren startete das Projekt, das Mädchen in einem gesicherten Bereich im Internet persönliche Hilfe bietet. Finanziert wurde das bislang von der ARD-Fernsehlotterie – ab Ende Mai gibt’s kein Geld mehr.

Noch sitzt Sozialpädagogin Anke Fürste fünf Tage die Woche am Computer. „Wir erreichen das Dunkelfeld, jene Mädchen, die wir vorher nicht erreicht haben“, sagt sie. In 2012 korrespondierte sie mit 57 Mädchen, teils über Wochen und Monate. Fast so viele, wie zur persönlichen Beratung kamen: Dort waren es 84. Online schreiben sie ihr von schrecklichen Erfahrungen, von Vergewaltigungen und Kinderpornografie. „Auffällig ist, dass wir besonders viele Tätergruppen haben und dass die Gewalt noch stattfindet.“ Weniger als die Hälfte der Mädchen gab an, dass die Gewalt beendet sei.

Das jüngste Mädchen, mit dem sich Fürste schreibt, ist 11 Jahre. Montags ist das Postfach besonders voll, manchmal schreiben die Kinder direkt auf, was sie kurz zuvor erlebt haben. Etwa, dass es mit scheinbar zufälligen Berührungen des Stiefvater begann, er irgendwann im Bett des Mädchens lag und sie zu sexuellen Handlungen zwang. Dass der Stiefvater gegenüber der Mutter behauptete, er würde mit dem Mädchen einen Ausflug machen – er nahm sie mit zu seinen Freunden, es wurden Nacktfotos gemacht und Filme produziert. Das zog sich über Jahre hin, der Stiefvater drohte, ihrer Schwester das Gleiche anzutun, falls sie etwas sagt. In der Online-Beratung hat sie sich gegenüber Fürste das erste Mal anvertraut, in der Hälfte der Fälle war das so.

„Manche schreiben, dass es ihnen sogar zu viel ist, dass ich davon weiß“, so Fürste. Dabei läuft der Kontakt anonym, über ein abgesichertes System. „Der Geheimhaltungsdruck ist sehr hoch. Er führt zur Isolation, weil die Mädchen Angst haben, sich zu verraten.“

Fürste muss den Kontakt aufrechterhalten und eine altersgerechte Sprache finden. Bei der ersten Meldung antwortet sie innerhalb von 48 Stunden, danach etwa einmal pro Woche. Manchmal komme es zu einer telefonischen Beratung. Sehr viele der Täter kommen aus dem familiären Umfeld. Dann ein Zeitfenster und eine Ausrede zu finden, um persönlich den Weg nach Gröpelingen zu Schattenriss zu schaffen, dafür ist die Hürde groß. Zwei Mädchen kamen 2012 aus der Online-Beratung auch persönlich zu Schattenriss.

Neben der Angst ist es den Mädchen zu viel, gesehen zu werden. „Durch die traumatischen Erlebnisse ist das Selbstbild verzerrt und die Körperwahrnehmung eingeschränkt“. Fürste empfiehlt dann per Mail Praktisches, etwa ein Fußbad zu nehmen. „Für viele ist auch das schon eine Herausforderung, sich einem Körperteil zu widmen.“

Online-Beratung, das heißt auch auszuhalten, was andernorts Schlimmes passiert. Was aus den Mädchen wird, wenn die Finanzierung endet? In diesem Umfang zumindest sei die Beratung nicht aufrechtzuerhalten. Dabei ist sie für Fürste nicht mehr wegzudenken.

Die Beratungsstelle Schattenriss selbst finanziert sich aus Spendengeldern und zum Großteil durch Mittel der Sozialsenatorin. Die Online-Beratung wäre fürs Sozialressort ein zusätzlicher Posten im fünfstelligem Bereich. Ressortsprecher Bernd Schneider will dies weder zu- noch absagen. Nur, dass Schattenriss gut beraten sei, sich dafür auch auf Bundesebene umzuschauen. Dabei gibt ein Drittel der Mädchen an, freiwillig und trotz der Anonymität, aus Bremen zu kommen.

An die „Landesgrenzen“ stößt auch das Mädchenhaus mit seinem Online-Auftritt. In einem offenen Forum und einer „Safe Area“ können sich Mädchen dort seit 2004 bei Mobbing, Liebeskummer oder häuslicher Gewalt austauschen. Wegen der kommunalen Finanzierung könnten sich hier nur Mädchen Hilfe holen, wenn sie eine Bremer Postleitzahl angeben, sagt Ruth König, Sozialpädagogin im Mädchenhaus. Immer wieder werde sie auch darauf angesprochen, ob es nicht „Synergie-Effekte“ gebe, man ihre Online-Beratungen mit der von Schattenriss oder der des Jungenbüros „zusammenlegen“ könne. „Das macht mich richtig wütend“, so König. Sie selbst verweisen Mädchen, die sexualisierte Gewalt erfahren, an die Fachstelle Schattenriss, ob online oder persönlich. „Das Internet ist nur ein weiterer Zugang, wir bieten nicht die gleichen Dinge an“, so König. Nur in einer Sache gleichen sich die Online-Beratungen: Es werden Kinder erreicht, die ansonsten keine Hilfe bekämen.

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