Kolumne Besser: Mit fettarschiger Selbstzufriedenheit
Die Sache mit dem „kriddischen Dschornalismus“ oder warum fast alle deutschen Journalisten Jakob Augstein so inbrünstig verteidigen.
D en letzten lebenden Antisemiten, das kann man als Zwischenfazit der Debatte um Jakob Augstein festhalten, haben deutsche Journalisten um 1960 in Jerusalem gesichtet. Seither gilt: Hierzulande gibt es zwar, wie alle wissen und ganz schlümm finden, Antisemitismus, es gibt aber keine Antisemiten. Und wenn, dann sitzen diese irgendwo in Zwickau und Neukölln oder verstecken sich im Internet. Sie tragen schlecht sitzende Anzüge, riechen aus dem Mund und werden (hoffentlich) vom Verfassungsschutz beobachtet.
Jenseits der Vorstellungskraft deutscher Journalisten hingegen liegt es, dass einer der ihren Antisemit sein oder sich regelmäßig aus dem Fundus antisemitischer Denkfiguren bedienen könnte. (Was genau ist noch mal der Unterschied?) Einer, der Teilhaber einer namhaften Illustrierten ist, für das größte Onlinemagazin des Landes schreibt und aus Steuergründen oder auch nur spaßeshalber ein eigenes „Meinungsmedium“ unterhält; einer, mit dem man im „Presseclub“ sitzt und mit dem man schon über manches Kalte Buffet hergefallen ist – so einer kann kein Antisemit sein.
Darum verteidigen die meisten deutschen Journalisten Augstein, mit geringer Textkenntnis zwar, aber umso größerer Inbrunst. Sie weisen die Kritik des Simon-Wiesenthal-Centers als falsch, maßlos und abstrus zurück und loben sich gegenseitig dafür, diese Anmaßung amerikanischer Juden als falsch, maßlos und abstrus zurückzuweisen. Als noch eine Spur dämlicher als alle anderen erweist sich einmal mehr Spiegel-Online-Kolumnist Jan Fleischhauer. Der war nämlich schon mal bei Augstein zuhause, konnte dort aber nichts Verdächtiges finden, weshalb er Augstein koscher und die Kritik an ihm falsch, maßlos und abstrus findet.
ist Redakteur der taz.
Sicher, es gibt Ausnahmen. Clemens Wergin etwa gelangt in der Welt zu dem Befund, dass Augstein „einen Juden- und Israelknacks und ein links-antisemitisch gefärbtes Weltbild“ habe. Cigdem Akyol attestiert ihm in der taz eine „gruselige Wortwahl“ und eine „eindeutig antiisraelische“ Haltung. Und Malte Lehming plädiert im Tagesspiegel dafür, den Antisemitismus der Gegenwart zur Kenntnis zu nehmen: „Gemessen an Streicher ist niemand ein Antisemit.“
Ansonsten aber herrscht unter deutschen Journalisten Geschlossenheit – und zwar ungeachtet aller politischen Provenienz und unabhängig davon, ob die Autoren schon deshalb nichts Anrüchiges an Augsteins Israelkritik finden, weil sie sie teilen, oder nicht.
Kritisch wie Dönerverkäufer
Das hat mit Standesdünkel zu tun. Journalisten, besonders die Leitartikler unter ihnen, betrachten es als ihr edles Vorrecht, an allem und jedem herumzumäkeln, reagieren aber patzig, wenn ihr eigenes Schaffen in die Kritik gerät. Den Ausdruck „kritisch“ haben sie so gepachtet wie Dönerverkäufer das Wort „komplett“. Damit aber verhält es sich ähnlich wie mit Inseraten „50.000 Euro Sofortkredit – seriös!“ Wenn es einer nötig hat, mit einer Selbstverständlichkeit zu hausieren, kann man davon ausgehen, dass das Gegenteil wahr ist.
Vor Jahren warb die Mainzer Allgemeine Zeitung, ein provinzielles Wurstblatt unter vielen, mit dem Spruch „Isch bin Meenzer und bin kriddisch“. Und kriddischer Dschornalismus wird, davon kann man sich montags bis samstags bei der „Presseschau“ des Deutschlandfunks überzeugen, überall dort betrieben, wo intellektuelle Mittelmäßigkeit auf stilistische Stümperei und geistlose Faktenhuberei trifft.
Etwas abgrundtief scheiße oder makellos und wunderbar zu finden, ist unter kriddischen Dschornalisten als unseriös und polemisch verpönt. Stattdessen herrschen in den Kommentarspalten kleinliche Besserwisserei und fettarschige Selbstzufriedenheit. Kein Wunder, dass Augstein sich damit verteidigt, er betreibe lediglich kriddischen Dschornalismus.
Dabei zeigen die Reaktionen auf die Liste des Simon-Wiesenthal-Centers, wie wenig kriddischer Dschornalismus mit kritischem Denken zu tun hat. Denn noch vor der Veröffentlichung dieser Liste hatten sich Henryk M. Broder in der Welt, Rainer Trampert in der konkret, Stefan Gärtner in der Titanic oder Andrej Reisin im Blog Publikative.org Augsteins Publizistik angenommen und waren zu ähnlichen Ergebnissen gekommen. Philip Meinhold ließ sich bei seiner großartigen Anleitung für einen „israelkritischen Text“, die vor einigen Wochen auf der taz-Wahrheit erschien, von Augstein inspirieren und auch an dieser Stelle war Augsteins Schreibschreib bereits Thema.
Doch Broder, konkret, Titanic oder Nischenplätze in der taz gelten kriddischen Dschornalisten als (siehe oben) unseriös, weshalb sie bei der Veröffentlichung der Liste nicht nur überrascht taten, sondern es vermutlich auch waren.
Vorwürfe, die keiner erhoben hat
Seither verteidigen sie, der Bildblog hat bereits darauf hingewiesen, Augstein gegen Vorwürfe, die niemand erhoben hat. Denn das Simon-Wiesenthal-Center hat ihn eben nicht auf die Liste der zehn „schlimmsten“ (dpa), „gefährlichsten“ (Süddeutsche), „wichtigsten“ (Reuters Deutschland) oder „größten“ (taz) Antisemiten der Welt gesetzt. Diese Liste beinhaltet lediglich die „Top Ten antisemitischen oder antiisraelischen Verunglimpfungen des Jahres 2012“.
Und an dieser Liste ließe sich einiges beanstanden. Beispielsweise, dass sich das Simon-Wiesenthal-Center auf Henryk M. Broder berufen hat, wo es selbst eine hinlängliche Referenz gewesen wäre. Oder dass es womöglich aufschlussreicher wäre, sich auch anderen etablierten – und oft genug linken – israelkritischen Publizisten zu widmen, während man ägyptische Muslimbrüder oder griechische Neonazis wegen zu großer Evidenz bei einer solchen Gelegenheit ruhig vernachlässigen kann. (Die erkennt nämlich noch der durchschnittliche deutsche Antisemitismusforscher, der sich vor lauter Beschäftigung mit den toten Juden nicht groß um die lebenden kümmert, als judenfeindlich.)
Bequem aber es ist es, einen Vorwurf zu konstruieren, den man anschließend spielend zerpflücken kann. („Ätsch, Augstein strebt gar nicht den Besitz von Atomwaffen an!“) Ebenso ist ein Zeichen von Denkfaulheit – neben dem Standesdünkel wohl der zweite Grund dafür, warum Augstein allenthalben verteidigt wird – anzunehmen, der Antisemitismus habe sich seit Auschwitz nicht gewandelt.
Der Jude unter den Staaten
Das hat er aber. Im zeitgenössischen Antisemitismus hat der Staat Israel den Platz des „Weltjudentums“ eingenommen; „Israel ist der Jude unter den Staaten“, formulierte der russisch-französische Historiker Leon Poliakov bereits vor Jahrzehnten.
Und bei Augstein findet sich alles, was den zeitgenössischen Antisemitismus ausmacht: Von der manisch-obsessiven Beschäftigung mit Israel bis zu den einseitigen Schuldzuweisungen, die Israel als Weltbrandstifter erscheinen lassen; von einer Allmacht, die Israel (oder der „jüdischen Lobby“ in den USA) unterstellt wird, bis zu Phantasien darüber, an welchen Schweinerei Israel alles beteiligt ist; von Formulierungen, die eine Analogie zwischen der israelischen Politik und dem deutschen Nationalsozialismus assoziieren lassen, über die Behauptung, die Juden trügen selber Schuld am Antisemitismus bis zum Vorwurf, Israel würde Profit aus dem Holocaust schlagen – alles vorgetragen in der Selbstgewissheit, frei von antisemitischen Ressentiments zu sein, überzeugt von einem Menschenrecht auf Israelkritik und formuliert im Gestus desjenigen, der eine unbotmäßige Wahrheit ausspricht und dafür verfolgt wird.
Wer will, möge die Belege dafür an geeigneter Stelle nachlesen. Wer nicht, halte sich an Augsteins „Meinungmedium“, das in seiner aktuellen Ausgabe im von der Sarrazin-Debatte bekannten Bild-Stil titelt „Wie sehr darf man als Deutscher eigentlich Israel kritisieren?“ und dem man antworten möchte: Man darf. Von Montag bis Samstag. Aber warum sind sie eigentlich so geil darauf?
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Besser: Das Simon-Wiesenthal-Center behält Jakob Augstein im Auge. Und wirft einen Blick auf einige seiner Verteidiger in den deutschen Medien.
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