Fall Mollath: Von Wahn und Sinn

Merkwürdig kann Gustl Mollath schon erscheinen und seine Geschichten können auch an Verschwörung erinnern. Aber: Vieles stimmt auch.

Womöglich sieben Jahre grundlos in der Psychiatrie: Gustl Mollath. Bild: dpa

BAYREUTH taz | Wer Gustl Mollath in der Klinik für Forensische Psychiatrie am Bezirkskrankenhaus Bayreuth besucht, kann den Eindruck bekommen, der Mann wäre zumindest ein bisschen seltsam. „Sind sie eher dick oder dünn?“, fragt der 56-jährige Reifenhändler und Oldtimer-Restaurateur aus Nürnberg die Besucherin vorab am Telefon. „Sie klingen so quirlig.

Das lässt auf eine Überfunktion der Schilddrüse schließen, und dann müssten sie eher dünn sein“, führt er aus. Das ist keine schlimme Frage. Aber doch eine, die irritiert und den üblichen Gepflogenheiten eines Gesprächs zwischen Unbekannten am Telefon nicht entspricht. Säße der Mann nicht in der Psychiatrie, wäre diese Konversation vermutlich nie im Gedächtnis geblieben.

Weil es aber in Mollaths Fall genau darum geht, um die eindeutige Beurteilung seines Geisteszustandes und um die exakte Eingruppierung desselben in die Kategorien „krank“ oder „gesund“, bleibt unweigerlich alles hängen, was dem beurteilenden Gegenüber als abweichend von der Norm erscheint.

Februar 2006: Gustl Mollath, 56, wird in die geschlossene psychiatrische Abteilung des Bezirkskrankenhauses Erlangen gebracht. Das Gericht hält ihn für gemeingefährlich. Er leide an „paranoiden Wahnvorstellungen“, weil er von einem Schwarzgeld- und Geldwäscheskandal berichtet, in dem seine Frau und weitere Mitarbeiter der HypoVereinsbank (HVB) verwickelt gewesen seien. Später wird Mollath ins Bezirkskrankenhaus Bayreuth verlegt.

November 2012: Ein interner Bericht der HVB wird öffentlich und bestätigt Mollaths Vorwürfe.

Dezember 2012: Die bayerische Justizministerin Beate Merk (CSU) ordnet die Wiederaufnahme des Verfahrens an.

Seit fast sieben Jahre sitzt Gustl Mollath gegen seinen Willen in verschiedenen geschlossenen Abteilungen psychiatrischer Einrichtungen in Bayern. Seit Kurzem wird über seinen Geisteszustand öffentlich diskutiert, denn sein Fall wird neu aufgerollt. Im August 2006 urteilte die 7. Strafkammer beim Landgericht Nürnberg-Fürth, Mollath sei „für die Allgemeinheit gefährlich“.

Mollath wird vorgeworfen, seine ehemalige Frau geschlagen, gewürgt, gebissen und später im gemeinsamen Haus in Nürnberg gewaltsam festgehalten zu haben. Außerdem, so das Urteil, habe er an den Fahrzeugen verschiedener Personen, die etwas mit der Scheidung von seiner Frau zu tun gehabt hätten, die Autoreifen aufgestochen. Mollath selbst bestreitet all das.

Bis heute ist Mollath in der Psychiatrie

Obwohl das Gericht ihn für den Täter hielt, wurde er freigesprochen, denn er habe in „mehreren Bereichen ein paranoides Gedankensystem entwickelt“ und leide unter einer „wahnhaften psychischen Störung“. Bis heute ist Mollath daher in einer geschlossenen Anstalt.

Eine wichtige Grundlage für die Diagnose über Mollaths Geisteszustand waren seine detaillierte Schilderungen eines groß angelegten Schwarzgeldskandals, im Zuge dessen sich mehrere Angestellte der Hypobank, später HypoVereinsbank (HVB) in den 1990er Jahren der Anstiftung und Beihilfe zur Steuerhinterziehung und der Geldwäsche im Namen ihrer Kunden strafbar gemacht haben sollen.

Darunter auch Mollaths Exfrau, die mehr als zehn Jahre in einer Nürnberger Filiale der Bank als Vermögensberaterin arbeitete. Seit im November 2012 ein interner Revisionsbericht der Bank an die Öffentlichkeit geriet, der die Vorwürfe in Teilen bestätigt, ist klar: Mollaths Behauptungen von einem korrupten Bankensystem sind keine Wahnvorstellungen, sondern wahr.

Was bleibt, ist die Frage, wie mehrere Gutachter und in der Folge auch Staatsanwälte und Richter zu einer solch krassen Fehleinschätzung kommen konnten, die bis in die höchste Ebene der Politik reicht und die dazu führte, dass ein Mann, der beharrlich bei seiner Meinung blieb, womöglich sieben Jahre seines Lebens grundlos im psychiatrischen Maßregelvollzug verbrachte.

Mollaths Version der Geschichte ist eine in sich geschlossene Verschwörungstheorie, bei der ein Detail zum anderen passt und die ihn als Opfer seiner skrupellosen Exehefrau erscheinen lässt, die die Existenz ihres Mannes zu zerstören suchte, um die eigene zu schützen.

Fragwürdiger Umgang der Justiz

Mehr noch: Glaubt man Mollath, so haben auch Ärzte, Richter, Staatsanwälte und Politiker mutwillig dazu beigetragen, die Wahrheit zu vertuschen und ihn mundtot zu machen, um das illegale Treiben der Bankangestellten zu decken. Vielleicht ist es aber gerade die Mischung aus der Vehemenz, mit der Mollath seine Thesen und die Logik seines Weltbildes vertritt, gepaart mit der menschlichen Neigung, demjenigen, der einmal als wahnsinnig gilt, nichts mehr zu glauben, die den fragwürdigen Umgang der Justiz mit den Fakten zumindest erklärt, wenn auch nicht entschuldigt.

Gustl Mollath wirkt nervös, als er den kleinen Besucherraum der Station FP 4 betritt. Seine Unterlippe zittert leicht, als er an einem der kleinen Holztische Platz nimmt und die Beine übereinanderschlägt. Er trägt das Gleiche wie immer, wenn man ihn auf Bildern sieht: ein rotes Polohemd, darüber einen blauen Pullover.

Der schmale Oberlippenbart ist zu einer auffallend akkuraten Linie gestutzt, das graumelierte Haar gescheitelt. „Ich bin mit nicht viel mehr hierhergekommen als dem, was ich am Leibe habe“, sagt er erklärend. „Ich durfte ja nichts mitnehmen, als man mich deportiert hat.“ „Deportiert“, dieses Wort benutzt er ganz bewusst, ebenso wie er nie von „Patienten“, sondern immer nur von „Mitgefangenen“ spricht.

Immer wieder im Laufe des knapp dreistündigen Gesprächs zieht er Vergleiche zwischen seiner Situation und dem Terror der Nazizeit, sieht sich und die Art, wie ihn die Richter während des Gerichtsverfahrens behandelten, an Szenen aus dem Spielfilm „Das Urteil von Nürnberg“ mit Maximilian Schell und Marlene Dietrich erinnert. Noch öfter aber wird er beißend zynisch, spricht vom „Glück, in diesen wundervollen Krankenhäusern untergebracht zu sein“. Stimmt neben den Schwarzgeldvorwürfen, die Mollath immer wieder vorbrachte und denen niemand Glauben schenkte, auch der Rest seiner Geschichte, ist das wenig verwunderlich.

Jahrelang habe er miterleben müssen, wie seine Frau, mit der er schon mit 22 Jahren zusammenkam – die Liebe seines Lebens, wenn man so will –, in den 1990er Jahren Kundengelder illegal in die Schweiz transferierte, diese teilweise eigenhändig als Kurierfahrerin hinter dem Rücken der HVB zu einer Schweizer Privatbank brachte. Je länger das so ging, desto mehr habe er sich Sorgen gemacht, erzählt Mollath, gefasst, ruhig und mit fast monotoner Stimme. „Um die klickenden Handschellen zu vermeiden, habe ich darauf gedrungen, dass meine Frau diese Geschäfte beendet“, sagt er. „Doch meine Frau wollte nicht auf mich hören.“

Das Bezirkskrankenhaus Bayreuth, der Ort, an dem Gustav Mollath immer noch untergebracht ist. Bild: dpa

Rosenkrieg zwischen Mollath und seiner Frau

Weil er nicht lockerließ, sei es deswegen immer häufiger zum Streit gekommen. Der eskalierte, als Mollath im Jahr 2002 damit begann, Briefe an die Bankvorstände zu schreiben, mit der Bitte, sie mögen das illegale Treiben seiner Frau unterbinden. „Seit Jahren belasten mich diese Geschäfte, seelisch und dadurch auch körperlich“, ist darin zu lesen. Als er zu schreiben beginnt, zieht Mollaths Frau aus dem gemeinsamen Haus aus – flüchtet zu ihrem Liebhaber, mit dem sie heute verheiratet ist. Ein HVB-Manager, wie Mollath sagt. Was folgt, ist ein Rosenkrieg, bei dem bis dato Aussage gegen Aussage steht.

Davon, wie wichtig Mollaths Frau einmal in seinem Leben gewesen sein muss, ist heute nichts mehr zu spüren. Weder Enttäuschung noch Hass schwingen in seiner Stimme mit, wenn er von ihr erzählt, und das, obwohl sie es im Grunde war, die – wenn seine Version der Geschichte stimmt – seine Existenz mutwillig zerstörte.

So ruhig Mollath vom Drama seiner Ehe erzählt, so aufgebracht wird er, wenn er über die Gier der Banker und die Verkommenheit des kapitalistischen Systems doziert. Immer wieder kommt er darauf zurück, bleibt an diesem Thema hängen. Man merkt, es lässt ihn nicht los. Was der interne Revisionsbericht der HVB aufdeckt, der Mollath „Insiderwissen“ bestätigt und aufgrund dessen seine Frau und andere Vermögensberater entlassen wurde, sei nur ein kleiner Teil der Wahrheit.

„Das ist ein Beispiel dafür, was hier los ist, auch in Bezug auf die Weltwirtschaftskrise“, sagt er. Eine These, die nach heutigem Wissensstand sehr viel wahrscheinlicher klingt, als das noch vor ein paar Jahren der Fall gewesen sein mag. „Es hat mir wehgetan zu sehen, in welche Richtung die Chose nicht nur in meinem Eheleben, sondern auch weltweit gegangen ist.“

Klar ist für Mollath aber auch: Richter, Staatsanwälte, Gutachter und Ärzte, selbst der Pflichtverteidiger, der ihm vom Gericht zugewiesen wurde, stecken unter einer Decke. „Lügen und betrügen gehört für diese Leute zum Geschäft“, sagt er aufgebracht. Vor dem Hintergrund seiner Erlebnisse kann man zu diesem Schluss kommen.

Er sei „ein schwieriger Mensch“ gewesen

Denn egal, wie oft er seine Unschuld beteuerte und welchen Vorwurf er brachte, immer wieder bekam er zu hören: „Das sind Ihre Wahnvorstellungen.“ Wenn Mollath die Ärzte parodiert, spricht er mit tiefer, sedierend-freundlicher Stimme und klingt dabei, als vertone er seinen eigenen Horrorfilm. „Wir wollen Sie doch hier nicht zerbrechen. Wir achten doch Rechte und Gesetze.“

Liest man das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth, das im Wesentlichen auf den Aussagen von Mollaths Ehefrau beruht, „an deren Glaubwürdigkeit die Kammer keinen Zweifel hat“, ergibt sich ein völlig anderes Bild. Bereits ab dem „Kennenlernen“ sei er ein „schwieriger“ Mensch gewesen, heißt es dort. Nachdem er mit seinem Geschäft pleiteging, habe er ständig zu Hause vor dem Fernseher gesessen und begonnen, fixe Ideen zu entwickeln.

Seine „Verteidigungsschrift“, ein „wirres Bündel Papier mit der Überschrift „Was mich prägte“, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, das Mollath dem Amtsgericht Nürnberg im Zuge der Verhandlung übergab, enthielt auch die Details zu den Schweizer Bankgeschäften und mag die Aussagen von Mollaths Frau in den Augen der Staatsanwälte und Richter bestätigt haben.

Wie der Revisionsbericht der HVB zeigt, begingen Richter und Staatsanwälte jedoch den folgeschweren Fehler: Sie gingen Mollaths Vorwürfen nicht nach. Stattdessen folgten sie der Argumentation seiner Frau, die auf die Ferndiagnose einer Ärztin gestützt behauptete, Mollath leide „mit großer Wahrscheinlichkeit“ an einer ernst zu nehmenden psychiatrischen Erkrankung.

Daraufhin ordnete das Gericht an, Mollath müsse sich von einem Sachverständigen untersuchen lassen. Womöglich war es nun Mollath selbst, der einen ebenso folgenschweren Fehler beging. Weil er wusste, dass seine Aussagen über die illegalen Geldtransaktionen richtig sind, verweigerte er die Begutachtung, erschien nicht zum Termin und legte stattdessen Beschwerde gegen die Untersuchung ein.

Beleg von Mollaths Wahnvorstellungen

Von da ab waren die Fronten klar. Für Richter, Staatsanwälte und Ärzte war Mollath der „Irre“, dem alles, was seine Frau ihm vorwarf, zuzutrauen war. Man muss sich Mollaths Glaube an eine Verschwörung nicht zu eigen machen, um zu dem Schluss zu kommen, dass in seinem Fall einiges nicht so abgelaufen ist, wie es wünschenswert gewesen wäre.

Dass auch die Aussagen von Mollaths Exfrau einiges an Ungereimtheiten aufweisen, wurde geflissentlich übersehen. Dass Mollath den Gutachtern immer wieder das Gespräch verweigerte, werteten die Ärzte als Beleg seiner Wahnvorstellungen. Gutachten anderer Fachleute, die nicht vom Gericht bestellt worden waren und die zu einem anderen Urteil über Mollaths Geisteszustand kamen, erkannte das Gericht nicht an.

Einer davon ist Friedrich Weinberger, der bis 2004 als Facharzt für Neurologie und Psychiatrie sowie Psychotherapie in Starnberg tätig war und der Gesellschaft für Ethik in der Psychiatrie vorsteht. Er zeichnet in seinem Gutachten folgendes Bild von der Persönlichkeit Gustl Mollaths: „Das eines altruistisch und sozial engagierten, friedfertigen, eher ängstlichen, etwas zwanghaften, Gerechtigkeit suchenden Menschen.“

Womöglich birgt dieser Satz den Schlüssel zu dem ganzen Dilemma. Weil Mollath zeitlebens zwanghaft nach Gerechtigkeit suchte und in seinem Eifer womöglich übers Ziel hinausschoss, sodass es anderen schwerfiel, seinen Ausführungen Glauben zu schenken, muss der Fall nun sieben Jahre später von Neuem aufgerollt werden, um die Wahrheit zu finden.

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