Glasbrot - ein Buch: "Der Preis der Unabhängigkeit"

In seinem zweiten Buch schreibt der Hamburger Rentner Jens Römstedt über Geldgier, moralische Empörung und wieso Frechheit am Ende siegt.

Bricht Weltprobleme auf eine kleine Eckkneipe in Hamburg-Altona herunter: Jens Römstedt. Bild: Miguel Ferraz

taz: Herr Römstedt, Sie haben gerade Ihr zweites Buch „Glasbrot“ im Selbstverlag herausgebracht. Was ist Glasbrot?

Jens Römstedt: Auf dem Einband meines Buches sieht man Brot, ein Grundnahrungsmittel, lebenserhaltend. Darüber eine zerschmetterte Glasscheibe, die dafür spricht: Hier ist Gewalt angewendet worden, um an das Brot heranzukommen. Im Buch passiert es nach einer Demonstration, auf der einige friedliche Demonstranten von der Polizei verhauen werden. Sie sind empört und einer zitiert dann Louise Michel, die 1873 auf einer Demonstration in Paris gerufen hat: „Wenn Ihr Hunger habt, da drüber steht eine Bäckerei, holt euch, was ihr braucht!“ Das fand Anklang und so mischt sich bald in mehreren Bäckereien Brot mit Glas.

Also ein Plädoyer für Plünderungen?

71, in Berlin geboren und in Dithmarschen aufgewachsen, lebt seit mehr als 20 Jahren in Hamburg-Altona.

Er absolvierte in Duisburg eine Schiffsbaulehre, studierte einige Semester Ingenieurwesen und landete schließlich beim Messebau.

Vor zehn Jahren erschien im Selbstverlag sein erster Roman "Orkan über Reiderfleth", von dem er 450 Exemplare verkaufte.

Ein Plädoyer für menschengerechtes Verhalten und dafür, dass alle Menschen auf dieser Welt satt werden.

Ein großes, globales Thema. Sie brechen das auf einen Minikosmos herunter, auf eine Gruppe von Menschen, die von Überlebensängsten geplagt sind und in ihrer Altonaer Stammkneipe beschließen, auf anderem Wege für ein besseres Einkommen zu sorgen.

So ein Weltproblem kann man natürlich nur an Einzelschicksalen darstellen. In meinem Fall an Menschen, die die falschen Schlüsse aus ihrer Situation ziehen und zu Mitteln greifen, die juristisch gesehen zweifelhaft sind.

Die aber dennoch Ihre Sympathie haben?

Nur bis zu einem bestimmten Punkt. Es wird gezeigt, wie aus einer moralischen Empörung heraus eine Geldgier entsteht, die nicht mehr zu rechtfertigen ist.

Was hat diese Geschichte denn nun mit der kleinen Ecke in Hamburg-Altona zu tun, in der Sie sie verorten?

Der Roman könnte überall spielen, wo es arme Menschen gibt. Aber da ich hier wohne, habe ich sie hier angesiedelt und mich an den Menschen orientiert, die ich kenne. Zum Beispiel an Menschen, die zwei Jahre eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme bekommen – wofür die Firma noch einen Zuschuss erhält – und dann wieder rausfliegen. Erst durch diese Verunsicherung beginnen sie darüber nachzudenken, andere Wege zu finden, um an Geld zu kommen.

Sie selbst haben einen anderen Weg für Ihre moralische Empörung gewählt: Das Schreiben. Für einen ehemaligen Handwerker ist das nicht gerade der typische Weg.

Es fing an, als ich meiner kranken Schwester Briefe schrieb, weil das Telefonieren zu teuer wurde. Die Briefe wurden immer länger, dann schrieb ich kleine Geschichten und merkte, dass mir das Spaß brachte. Dann sah ich einmal mit großen Augen dabei zu, wie sich ein Sturm selbst hier in Altona zu einem Naturereignis entwickelte und schrieb meinen ersten Roman „Orkan über Reiderfleth“ – da war ich 60.

Mussten Sie Ängste überwinden, den unter die Leute zu bringen?

Natürlich war ich unsicher, aber die Reaktionen haben mich soweit beruhigt, dass ich wohl keinen großen Mist zusammengeschrieben haben kann.

Es kostet erst mal, wenn man wie Sie ein Buch im Selbstverlag herausgibt. Wie schaffen Sie das, obwohl Sie selbst hart am Existenzminimum leben?

Ich habe Glück, dass mir Menschen so wohlgesonnen sind, dass sie mir die Druckkosten verauslagen. Auch beim Lektorat bin ich von guten Bekannten unterstützt worden.

Sie haben in Ihrem Leben viel gearbeitet. Wieso hat das nicht zu einer üppigeren Rente gereicht?

Das ist der Preis der Unabhängigkeit. Ich hatte viele Stellen, aber sobald ich an Vorgesetzte geriet, die glaubten, mich nur aufgrund ihrer Position gängeln zu können, bin ich dagegen angegangen. Deswegen habe ich mich dann im Messebau selbstständig gemacht und dort 25 Jahre gearbeitet. Das hat mir Spaß gebracht, aber es blieb leider zu wenig für die Rentenkasse übrig.

Haben Sie mal versucht, einen Verlag von sich zu überzeugen?

30 bis 35 Verlage habe ich mit einem Exposé meines ersten Roman angeschrieben. Immerhin habe ich elf Antworten mit einer Standardabsage bekommen.

Hat Sie das nicht demotiviert?

Nein, warum denn? Ich habe mich da von vornherein keinen großen Illusionen hingegeben. Die Verlage werden doch mit Manuskripten bombardiert und haben gar keine Zeit, sich die gründlich durchzulesen.

„Orkan über Reiderfleth“ seziert die kriminellen Strukturen des dörflichen Lebens. Mit „Glasbrot“ betreten Sie nun Stadtgebiet.

Nachdem ich jetzt 20 Jahre hier lebe, war Altona fällig. Meine ersten Erinnerungen an Hamburg stammen aber schon aus der Nachkriegszeit. Da baute mein Vater in Dithmarschen Tabak an und tauschte ihn dann in Hamburg gegen etwas, was er wiederum bei den Bauern gegen Essbares eintauschen konnte, Glühbirnen zum Beispiel. Um nicht als Schwarzhändler aufzufallen, nahm er dabei immer mich Knirps mit.

Also eine frühe Recherche im halb-legalen Milieu?

Genau. Übernachtet haben wir in dem großen Luftschutzbunker unter dem Hauptbahnhof, der damals als Nothotel betrieben wurde. Aus Angst, nachts überfallen zu werden, gab mein Vater den Koffer mit der Schmuggelware bei der Gepäckaufbewahrung auf. Eines Morgens gerieten wir beim Abholen des Koffers in eine Razzia und mein Vater tobte los: „Haben die Nazis hier schon wieder die Oberhand?“ Dabei schlug er mit seinem Gehstock gegen die Beinprothese, die er aus dem Ersten Weltkrieg hatte und schrie: „Haben wir nicht schon genug verloren?“ Der Koffer wurde ihm anstandslos ausgehändigt und ich habe früh gelernt: Frechheit siegt.

Ihre Stammkneipe in Altona, das Katz&Kater, ist auch sehr geschichtsträchtig.

Hier trafen sich in den 20er Jahren die Kommunisten, die in Altona sehr stark waren.

Was bedeutet Ihnen diese Kneipe?

Ich sauge gern die Atmosphäre auf, die der Raum und das Mobiliar immer noch ausstrahlen. Da fühle ich mich teilweise 100 Jahre zurückversetzt. Was das Publikum angeht, ist es so wie überall: Mit dem einen kommst du besser klar, mit dem anderen weniger. Dass es Leute gibt, deren einzige Lektüre aus der Bild-Zeitung besteht, muss ich hinnehmen. Sie sind eben nicht angeleitet worden. Wenn ich nicht das Glück gehabt hätte, dass mein Adoptivvater mich mit 20 Jahren fürs Lesen begeistert hätte, würde es mir vielleicht genauso gehen.

Um den Lornsenplatz herum in Altona ist vieles im Wandel. Um die Ecke baut Ikea, Traditionskneipen schließen, neue mit höheren Bierpreisen öffnen.

Auf der einen Seite sagt jeder hier: Schön, dass neues Leben in den Stadtteil kommt. Aber die negative Seite ist, dass wir Angst haben, dass wir uns das Leben hier nicht mehr leisten können und dass es eine Veränderung wie in Ottensen geben wird. Die ist schön für die, die da schnuppernd durchgehen. Für die Alteingesessenen sind das starke Einschnitte. Aber auch dort hält sich eine Eckkneipe wie das Möllers noch. Da habe ich erst gestern einem Schiffsbauer ein Buch verkauft, der sonst kaum liest. „Nicht, dass du denkst, ich hab‘ das in drei Wochen durch“, hat er gesagt. Ich habe geantwortet, er soll es Seite für Seite langsam genießen.

Passiert es häufiger, dass Sie Nichtleser zu Lesern machen?

In der Tat. Vor zwei Jahren hat zum Beispiel der Schauspieler Hannes Hellmann im Roth in Ottensen aus meinem ersten Buch gelesen. Da kam auch ein Freund aus dem Katz&Kater vorbei, der bereits schwer krank war und ein Jahr später starb. Es war die erste Lesung in seinem Leben. Er war ganz gerührt, dass man mit Leuten, die auf so eine Veranstaltung gehen, ganz normal reden kann. Das hatte er sich so nicht vorgestellt. Es gibt eben nicht zwei scharf getrennte Schichten. Und es ist wichtig, dass es Viertel und Orte gibt, wo die weiter zusammenkommen können.

Waren Sie immer schon der ruhige Betrachter des Alltagslebens, als den man Sie meist ab dem späten Nachmittag in Altonas antreffen kann?

Nein, dazu hat mich das Alter gemacht. Vor 20 Jahren war ich ein heftiger Akteur.

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