DIE DRÜCKER VON KABEL DEUTSCHLAND: Der Rubel rollt auch ohne Kabel

Drücker drehen Michael Stenger Kabelfernseh-Abos an. In seinem Haus gibt es gar keinen Anschluss. Bezahlen muss er trotzdem - mit seiner Lebensversicherung.

Auf dem Fahrrad schneller unterwegs als beim Prüfen von Verträgen: Kabel-Deutschland-Opfer Michael Stenger. Bild: Benne Ochs

HAMBURG taz |Das Fahrrad, von dem man vor lauter Bändern, Fahnen, Stickern, Aufklebern, fast nichts mehr sieht, das gehört Michael Stenger. Von ihm sieht man unter dem Helm mit den Bändern, Fahnen, Stickern und Aufklebern auch nicht mehr viel. Er trägt auch bei unter zehn Grad kurze Hosen. Seine Hemden und T-Shirts entwirft und bedruckt er selbst. Die meisten haben ihn schon mal gesehen. In der Gegend um den Hamburger Michel und die Landungsbrücken.

Michael Stenger hat ein Problem. Das hat mit drei Unternehmen zu tun: Kabel Deutschland, Bergmann Elektro- und Antennentechnik GmbH aus Hamburg und der Firma BSF Risk & Collection mit Sitz in Verl. Das Problem beginnt, als im Sommer 2008 zwei freundliche Herren bei Michael Stenger klopfen und mächtig für Kabel Deutschland Werbung machen. Stenger hat ein schlechtes Fernsehbild und unterschreibt. Was genau, weiß er nicht mehr.

Glaubt man Kabel Deutschland, sind es mindestens drei Verträge. Der eine Vertrag bezieht sich auf den Tarif „Internet & Telefon“. Stenger kann jetzt „superschnell surfen und supergünstig telefonieren“, schreibt ihm Kabel Deutschland am 3. August 2008. Stenger hat kein Telefon oder Internet, damals nicht und heute auch nicht. Er will das auch gar nicht. Das „Sicherheitspaket“, das er gekauft hat – was es bei Stenger sichern soll, kann man so nicht sagen – kostet ab dem vierten Monat 3,98 Euro, das Bereitstellungsentgelt macht 29,90 Euro, der Tarif beträgt, da Stenger in den Genuss einer „Sonderaktion“ kommt, 22,90 Euro, Laufzeit ein Jahr. Es wird ihm ein „Kabelmodem“ zur „unentgeltlichen Nutzung“ angekündigt.

Die „Zahlungspflicht“ beginnt „mit dem Tag der Installation“. Stenger hat nie ein Modem bekommen und installiert hat weder er noch sonst jemand irgendwas. Er bekommt Telefonnummern zugewiesen für ein Telefon, das es nicht gibt.

Laut den Angaben von Kabel Deutschland hat Stenger außerdem „Kabel Digital Home“ bestellt, für ein Jahr, zum Preis von 14,90 Euro pro Monat. Die Bearbeitungs- und Versandpauschale beträgt 9,90 Euro. Den versprochenen Digitalreceiver hat er nicht bekommen. Und er hat, spätestens nun werden die Angaben von Kabel Deutschland unglaubwürdig, einen Vertrag für „Kabel Digital Russisch“ abgeschlossen, für 13,90 Euro pro Monat, und einen Vertrag für „Kabel Digital Englisch“ für vier Euro im Monat. Und es gibt einen weiteren Vertrag, da kostet „Digital Home“ 15,90 Euro plus 9,90 Euro Pauschale. Alle Laufzeiten ein Jahr.

Irgendwann betreten Techniker der Firma Bergmann Elektro- und Antennentechnik GmbH das Haus, in dem Stenger wohnt. Sie wollen das Haus verkabeln, geben aber entnervt nach dem vierten Stock und einigen Zimmern im dritten Stock auf. In den ersten Stock, in dem Stenger wohnt, kommen die Monteure nicht. Stenger guckt heute genauso wie 2010 über einen Antennen-Digitalanschluss fern, der Preis ist in seiner Miete enthalten. „Das Bild“, sagt er, „ist schlecht.“ Ein Kabelanschluss wurde bei ihm nicht gelegt, das sagt auch der Hausmeister. Und die Zahlungspflicht sollte doch „mit der Tag der Installation“ beginnen.

Stenger hat eine Einzugsermächtigung erteilt, daher kennt Kabel Deutschland seine Bankverbindung. Stenger lebt von Hartz IV. Seit er einen fürchterlichen Unfall mit dem Fahrrad hatte, hat er einen Betreuer, früher hieß das Vormund, der sich um alles mögliche kümmern darf, allerdings nicht um Stengers Bankangelegenheiten. Die hatte er bislang gut im Griff.

Als Kabel Deutschland trotz Einzugsermächtigung kein Geld von seinem Konto bekommt, erwirkt die Firma eine Vollstreckung gegen Stenger, der immer noch keine Leistung von „Kabel“ erhalten hat. Mit der Vollstreckung beauftragt wird die BFS Risk & Collection, die sich auf ihrer Internetseite als „modernes Inkassounternehmen“ vorstellt, das „den gesamten Inkassoprozess“ abdeckt.

Die Forderung beläuft sich mittlerweile auf 1.069,45 Euro. Das Inkassounternehmen holt so viel Geld von Stengers Konto, dass die Beiträge für seine Lebensversicherung bei der „Neue Leben“ nicht mehr überwiesen werden. Die „Neue Leben“ überweist die Beträge, die er schon überwiesen hat, zurück auf sein Konto. Das ist toll für Risk & Collection, bei denen das Geld landet, und die insgesamt 1.077,37 Euro schlucken.

Ein gutes Geschäft für alle: Für die beiden Drücker, die vermutlich eine schöne Provision kassiert haben, für Kabel Deutschland, die Geld kassiert haben für eine Leistung, die sie nie geliefert haben, für Risk & Collection, die für ihren Kunden die Kohle besorgt haben, für die „Neue Leben“, die weniger Geld auszahlt, als Stenger vorher eingezahlt hat.

Einer muss die guten Geschäfte der anderen bezahlen. Das ist der Stenger. Sein Fernsehbild ist unverändert schlecht. Nicht so schlimm, er guckt nicht viel.

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