Karin Bürkle über Müll und Massage: "Ich brauche diese gelassene Bauchwelt"

Karin Bürkle lebt einen spannenden Spagat: Sie arbeitet als Müllverbrennungs-Ingenieurin in Hamburg und gibt nebenbei Bauchmassagen. Sonst würde sie die männerdominierte Macht- und Technikwelt nicht lange aushalten.

Ist stolz darauf, sich in der technisierten Männerwelt durchzubeißen: Karin Bürkle. Bild: Henning Scholz

taz: Frau Bürkle, lieben Sie Ihren Arbeitsplatz in der Müllverbrennung?

Karin Bürkle: Klar klingt das erst mal unappetitlich. Aber erstens kommt der Abfall ja in den Müllbunker. Zweitens trage ich eine Vollmaske mit Filteraufsatz, wenn ich im Bunker oder Kessel direkt damit zu tun habe. Dann rieche ich das nicht mehr.

Und Sie finden es nicht unangenehm, Leuten zu erzählen, wo Sie arbeiten?

Nein, ich find’s toll! Das ist nie langweilig, es gibt jeden Tag eine neue Denksportaufgabe: Wie organisieren wir dies, wie beheben wir jene Panne – da geht nie die Herausforderung aus, sich mit Neuem zu befassen.

Aber ärgert es Sie nicht, dass immer mehr Müll entsteht?

So denke ich nicht, weil es nicht meine Realität trifft: Verbrennungsmüll wird weniger. Durch die forcierte Mülltrennung wird die Menge, die dann noch in die Verbrennung geht, stetig kleiner.

Aber die absolute Menge wird mehr.

Global betrachtet wird die Menge sicherlich mehr. Aber das Vernünftigste, was man mit den Stoffen tun kann, die nicht recyclebar sind, ist: sie sauber zu verbrennen, also thermisch zu verwerten. So gesehen bin ich eher stolz und sage: Ja, wir entsorgen die Sachen ordentlich. Wir schaffen keine Müllinseln im Meer, wir verbuddeln nichts in illegalen Deponien. Wir räumen auf.

Dabei wollten Sie mal Lebensmittel-Ingenieurin werden – ungefähr das Gegenteil.

Ja, ich hatte Talent und Begeisterung für Naturwissenschaften und wollte außerdem etwas Gesundes studieren. Das lief auf Lebensmitteltechnologie hinaus. Während des Studiums wurde mir leider klar, dass es doch nicht das Richtige war.

Warum nicht?

Weil es bedeutet, dass man sich unter Umständen drei Monate lang mit Pektin-Mischungen befasst, um für eine Fruchtzubereitung das perfekt designte Pseudo-Apfelstückchen zu mischen. Das wollte ich nicht. Später habe ich bei einem Konzern angefangen, der aus Soja und Raps Pflanzenöl und Biodiesel herstellte.

Keine Frauendomäne.

Nein, und als ich beim Bewerbungstermin frontal vor diesem Betrieb stand, dachte ich: Ob das wohl was wird? Aber ich habe zu dem Zeitpunkt wohl einfach hinein gepasst. Ich bin auch nicht im Kostüm aufgetreten, sondern mit Sportschuhen und Lederjacke.

Worin bestand Ihr Job?

Zuerst musste ich lernen, die umfangreiche Anlagentechnik zu beherrschen. Außerdem musste ich Reparaturen planen, Bereitschaftsdienste leisten und mit dafür sorgen, dass der Laden lief. Und ich war stolz, dass ich mich durchbeißen konnte. Es war ja auch nicht einfach.

Wieso nicht?

Schwieriger als die Technik war der Umgang mit einigen Männern. Ich habe dort – neben wunderbaren Kollegen – abgrundtiefe Vorurteile kennengelernt.

43, hat Lebensmitteltechnik studiert und arbeitet seit 2002 in der Industrie - als Abteilungs- und Instandhaltungsleiterin. Seit 2009 ist sie in einer Müllverbrennungsanlage beschäftigt.

Mit Massage befasst sie sich seit zehn Jahren in ihrer Freizeit. Außerdem liebt sie Kung Fu und Opern.

Inwiefern?

Da sagt zum Beispiel einer mit tiefster Überzeugung: „Weißte Mädel, ich erklär dir das jetzt mal ganz besonders genau, denn du hast als Frau ja nicht das technische Verständnis.“ Und das war nicht als Scherz gemeint, sondern wirklich abwertend.

War es ein Vorgesetzter?

Nein. Es war dieselbe Ebene, später war ich ihm überstellt. Das war dann sehr, sehr anstrengend. Denn auch, wenn der Kollege selbst daneben lag und bei einer Bestellung eine Pumpe komplett falsch ausgelegt hatte: Eine faire und objektive Betrachtung war nicht sein Ding.

War das ein Einzelfall?

Auf diese Art und Weise – Gott sei dank – ja. Unterschwellig passierte es hin und wieder auch anderswo.

Konnten Sie sich wehren?

Nur bedingt. Manchmal sind firmeninterne Netzwerke sehr emotional und gegen jede Vernunft gewappnet, sodass auch kein Gespräch auf höherer Ebene hilft. Da kann man dann auf Dauer nicht konstruktiv zusammenarbeiten.

Wie lange sind Sie geblieben?

Sieben Jahre – auch deshalb, weil die Arbeit an sich interessant war. Aber irgendwann habe ich mich gefragt: Wenn ich noch drei bis fünf Jahre zu leben hätte, was würde ich ändern?

Nämlich?

Ich habe meine Situation zwei Wochen lang ruhig analysiert und dann gekündigt, ohne eine andere Stelle zu haben.

Wie fühlten Sie sich?

Toll!

Wollte man Sie halten?

Ja. Das war eine Bestätigung dafür, dass das, was ich gemacht hatte, nicht so falsch gewesen sein konnte.

Haben Sie gesagt, warum Sie kündigen?

Nein.

Warum nicht?

Ich hätte es nicht fair gefunden, weil ich damals sicher die falschen Worte gewählt hätte. Es hätte nach einer Beschwerde geklungen. Inzwischen denke ich, dass mich diese Erfahrungen bei der Entscheidung, etwas Neues zu beginnen, unterstützt haben.

Wie ist die Unternehmenskultur in der Müllverbrennungsanlage, in der Sie jetzt arbeiten?

Exakt entgegengesetzt. Brüllen gilt hier als Zeichen von Schwäche.

Sind Sie wieder Männern überstellt?

Ja, 22 an der Zahl. Ich bin verantwortlich für alles, was repariert werden muss. Dafür habe ich eine Truppe von Schlossern, Elektrikern und einen Ingenieur.

Alles Männer?

Fast. In der Arbeitsvorbereitung arbeiten dazu noch zwei Frauen.

Akzeptieren die Männer Sie?

Anfangs waren sie misstrauisch. Als mein neuer Chef mich zum Beispiel im Team vorstellte, war die erste Reaktion: „Da ist ja eine Runde Cognac fällig – auf den Schreck!“ Ich war erheitert, als man mir das später erzählte. Tatsächlich ist dann schnell Vertrauen entstanden. Die Männer kennen meine Stärken und Schwächen – zum Beispiel, dass ich keine handwerkliche Ausbildung habe, und ich kenne ihre. Und auch wenn es immer einen gibt, der in die Suppe spuckt – die relevante Mehrheit respektiert meinen technischen Sachverstand und ich ihren.

Wenn das alles so schön ist: Warum befassen Sie sich nebenbei mit Hara-Massage?

In erster Linie für mich selbst. Diese Technik hatte mir geholfen, in meine eigene Mitte zurückzukommen. Im Leben passiert ja leider so einiges Unerwartete und Unerfreuliche, und auch ich habe sehr schwierige Situationen erlebt. Unter anderem habe ich extrem unter einer Trennung gelitten, was wohl mit dem frühen Verlust meiner Mutter gleich nach meiner Geburt zusammenhing. Ich habe mir deshalb als Erwachsene Hilfe gesucht und gute Unterstützung bei Naturheilkunde, Yoga und anderen ganzheitlichen Methoden gefunden. Irgendwann bin ich über den Kampfsport bei der Hara-Awareness-Massage angekommen. Die hat mir sehr gut getan.

Was genau tat gut?

Die tiefe Entspannung, in der man den Verstand einfach Verstand sein lässt und mit sich und der Welt im Reinen ist. Je öfter ich das erlebte, desto mehr Stärke gewann ich. Und irgendwann habe ich diese Suche nach Entspannung nicht mehr als Medizin, sondern als natürliches Bedürfnis in meinem Leben gesehen.

Inzwischen massieren Sie in Ihrer Freizeit auch andere. Was genau tun Sie da?

Ich verbinde Shiatsu-Techniken an Rücken und Beinen mit sanften Berührungen des Bauchs. Und am Ende der Massage mache ich sanfte, kreisförmige Bewegungen auf dem Bauch. Dabei erspüre ich, ob einer Stelle etwas mehr Druck braucht oder ob der Bauch nur gehalten werden möchte. Ob der Bauch Wärme, langsame oder schnelle Bewegungen braucht. Und meistens tut sich ziemlich schnell etwas: Der Bauch lässt los. Man hört das am Gluckern.

Woran merken Sie, ob ein Bauch gehalten werden will?

Einerseits verlasse ich mich auf meine Intuition. Andererseits sage ich oft: „Was fühlst du jetzt an der Stelle, wo ich meine Hand habe?“ Diese Aufmerksamkeit ist wichtig, denn der Massierte soll ja nicht mit den Gedanken abdriften. Sondern es soll eine Interaktion entstehen. Ich will dem Menschen einen entspannten Kontakt mit sich selbst und seiner Mitte ermöglichen – über seinen Bauch.

Was verändert sich während einer Massagestunde?

Meist nimmt der Körper die Massage gut an, weil bestimmte Energiepunkte berührt, Muskeln gedrückt oder gedehnt werden. Da tritt schnell eine Entspannung ein. Ab und zu erinnert sich jemand spontan an vergessene Erlebnisse, die der Körper im Bauch gespeichert hat. Durch die Berührung kann sich etwas lösen. Manche merken dann, dass sie richtig wütend werden können. Bei anderen fließen Tränen.

Wie vertragen sich Ihr Beruf und die Bauchmassage?

Bestens. Ich glaube, ich brauche den Ausgleich. In einer kopflastigen Arbeitswelt geht es in der Regel um Durchsetzung, Leistung und auch Macht. Ein Hamsterrad. Das würde ich nicht lange aushalten, ohne diese zweite gelassene Bauchwelt als Gegengewicht zu haben. Sonst ginge mir irgendwann die Puste und die Freude aus.

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