Angriff auf Rabbiner: Was sagen die Muslime?
In Berlin wurde ein Rabbiner angegriffen, seine Tochter bedroht. Die üblichen Verdächtigen haben sich inzwischen geäußert, aber jemand fehlt.
BERLIN taz | Dass „Jude“ eine Beleidigung sein kann, hat Daniel A. schon öfter erfahren müssen. Der Rabbiner schilderte 2006 in der Wochenzeitung Die Zeit die Feindseligkeiten, die ihm als Jude in der deutschen Öffentlichkeit begegnen. So sei er als Fan von Eintracht Frankfurt gerne ins Stadion gegangen. Bei einem Spiel sei der Schiedsrichter aus dem Fanblock zweimal mit „Jude, Jude“ angebrüllt worden. „Keiner hat etwas unternommen. Seitdem gehe ich nicht mehr ins Stadion“, sagte A.
Am Dienstag war der 53-Jährige abends in Berlin mit seiner Tochter unterwegs, als ein Jugendlicher die beiden anhielt. Vermutlich weil seine Kippa unter dem Basecap zu sehen war, fragte der Unbekannte ihn, ob er Jude sei. Drei weitere Jugendliche kamen hinzu, sie schlugen auf den Rabbiner ein, drohten der Sechsjährigen mit dem Tod. Die vier mutmaßlich arabischen Jugendlichen konnten fliehen.
Inzwischen haben alle, die es immer tun, ihre Betroffenheit geäußert, die üblichen Sätze zum Antisemitismus in Deutschland sind gesagt, aber auf einer Seite herrscht auffälliges Schweigen: Was sagen die muslimischen Verbände nach diesem Angriff? Also genau jene, die sonst Beistand einfordern, wenn einer von ihnen angegriffen wird.
Es gibt in Deutschland vier große Organisationen, die für sich in Anspruch nehmen, Muslime hierzulande zu vertreten. Die staatliche Türkisch-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib), der Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ), der Islamrat (IRD) und der Zentralrat der Muslime (ZMD). Diese haben sich 2007 zu einem Dachverband, dem Koordinationsrat der Muslime (KRM) zusammengeschlossen, doch immer noch arbeitet jeder Verband auch unabhängig von den anderen.
Über Judenhass wird nicht so gern geredet
Jede dieser Organisationen bezieht regelmäßig Stellung zu allen möglichen Themen. Sobald ein Muslim irgendwo diskriminiert wird, trudeln – zu Recht – in den Redaktionen die Pressemitteilungen ein. Doch wenn es um den Judenhass bei Muslimen geht, werden die Verbände sehr viel schweigsamer.
Die Stille nach Vorfällen wie dem Angriff auf Daniel A., die Zurückhaltung gegenüber der eigenen Community ist derart auffällig, das man dahinter eine Strategie vermuten könnte. Diffuse Feindbilder und Hass gegen Juden werden übersehen. Dabei sind antisemitische Klischees unter muslimischen Jugendlichen weit verbreitet.
Bei einer Umfrage im Auftrag des Bundesinnenministeriums stimmten 15,7 Prozent der befragten muslimischen Jugendlichen der Aussage zu, Juden seien überheblich und geldgierig. Doch welcher Verbandsvertreter will schon seine eigenen Leute angreifen, wo es diese doch jeden Tag zu verteidigen gilt?
Levi Salomon, Sprecher des jüdischen Forums für Demokratie und gegen Antisemitismus, warnt seit Jahren vor Judenfeindlichkeit unter Muslimen in Deutschland. Erst als Dieter Graumann, Präsident des Zentralrats der Juden, die islamische Gemeinschaft aufforderte, den Antisemitismus in den eigenen Reihen zu verurteilen, tat dies der Koordinationsrat.
Eine solche Aufforderung brauchte der Zentralrat der Juden in einer der letzten großen Debatten um deutsche Muslime nicht. Als der damalige Bundespräsident Christian Wulff im Oktober 2010 den Islam als Teil Deutschlands bezeichnete, entstand eine hitzige Diskussion hierzulande. Rasch sprang Stephan Kramer, Generalsekretär vom Zentralrat der Juden, den Muslimen bei und kritisierte die Debatte als „hysterisch“ und lobte Wullfs Rede als „mutig“.
Weder VIKZ noch Ditib haben sich zum Angriff in Berlin bisher geäußert. Die letzte Pressemitteilung des Islamrats stammt vom 1. Februar. Der Koordinationsrat hüllt sich ebenfalls in Schweigen. Der Zentralrat der Muslime verschickte erst gestern auf Nachfrage eine Pressemitteilung, um darin seine „Solidarität und das Mitgefühl der jüdischen Gemeinde und allen Juden in Deutschland“ mitzuteilen. Zufälle sind möglich. Zusammenhänge nicht ausgeschlossen.
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