zwischen den rillen : The Rapture: Übers Zitat zum Ich
The Rapture lassen gerne mitteilen, dass sie die beflissen notierten Listen mit stilistischen Einflüssen amüsieren, die in den Rezensionen ihrer Werke kursieren. Als fiele den Rockjournalisten nichts Besseres für ihre unbeschreibliche Musik ein. Daran mag zutreffen, dass Rockjournalisten tatsächlich oft nichts anderes einfällt als das, was so ähnlich klingt. Aber gerade Rapture dürfen sich eigentlich nicht wundern. Sie zitieren ohne Ende. Man darf den Vergleichsklang nur nicht für das Wesentliche an ihnen halten: Also wen oder was sie zitieren, das Zitatziel. Tatsächlich sind die Möglichkeiten hier weitgehend ausgereizt, nicht erst seit dem Aufkommen der New Yorker The-Bands, zu denen The Rapture oft gezählt werden. Auch der neokonservative Rock britischer Provinienz hat da seit den mittleren Neunzigern wenige Quellen ausgelassen.
Nein, neu und bemerkenswert an The Rapture ist, wie sie zitieren. Ihnen geht es weder um den postmodernen Verweis auf das Gemachte und aus altem Material und Einflüssen Zusammengestellte jeder Pop-Musik, die berühmte Umkehrung der Einfluss-Angst in allem, was man Zitatpop genannt hat, von Roxy Music über ABC und Beck bis zu The Modernist. Noch steht das Lancieren eines bestimmten Materials als Zusammenhang und historischer Hintergrund der eigenen Arbeit im Mittelpunkt – wie etwa beim politisierten HipHop von den frühen Public Enemy bis zu Mos Def. The Rapture zitieren zwar offensiv, aber sie wollen weder auf einen bestimmten Kulturkanon verweisen noch auf einen generellen Umstand an Pop-Musik oder der Sorte Musik, die sie machen, offen legen.
Auf „Echoes“ wird ausgerechnet das Zitat zu einem Ort der Expression, zu einem Ort, an dem man zu sich selbst kommt. Der Moment, wo der Sänger ganz genau wie Robert Smith oder Jon King oder John-Lydon-bei-der-zweiten-PiL klingt, ein Saxofon wie James Chance und vor allem die elektrischen Flageoletts nach Andy Gill, genau da und nur da sitzt die Expression, genau da ergreift plötzlich die Seele des Jüngelchens die ganze Welt. Und großer Jubel bricht los.
Wie ist das möglich? The Rapture machen keine Rockmusik. Sie sind an Traditionen des Grooves und repetitiver Genres interessiert, und natürlich verstehen sie diese nicht als Kulturen primärer Expression in der Tradition der Rockmusik. Aber es gibt bei ihnen auch – meist minimale – Songstrukturen, Texte, Gesang und vor allem das Emblem der Expression: die elektrische Gitarre. Diese Elemente kommen nur als maximal fremde vor und können auch nicht als begehrte, angehimmelte Sound-Ideale aus der Kindheit gedeutet werden, dafür werden sie zu genau getroffen. Mit diesen ganz fremden Elementen kann ich aber wieder richtig „ich“ spielen. Und zwar deswegen so besonders frei und sorglos, weil ich niemandem verberge, dass ich spiele, und dennoch den ganzen Ich-Surplus einstreiche. Ich behandle die letzten Momente einer ehrenwert expressiven Rockmusik (PiL, Gang of Four, New York No Wave) als komplett fremd. Stürze ich mich in diese Elemente, diese wegen Expressionsvertrauen so überaus wohl gestalteten Zeichen, nachdem ich sie als ganz fremd bezeichnet habe, kann ich nur gewinnen.
Ein penetrant wiederholter Signifikant bleibt nicht bei seinem Signifikat, nie. Das war schon beim Minimalismus so. Nimmt man einen tollen, sexy Supersignifikanten, der zunächst ganz fest bei einem ganz bestimmten Signifikat hängt, kann dabei nur etwas Interessanteres rauskommen, als wenn man etwas zitiert, zu dem man ein Verhältnis herstellen will, und davon ausgeht, dass der Zitierende und das Zitierte je in sich einigermaßen intakt bleiben, Subjekt und Objekt, und das eine über das andere verfügen soll.
Es gibt übrigens mindestens eine Band, die schon mal etwas Ähnliches gemacht hat, wenn auch mit ganz anderem Material. Das war Air. The Rapture übertragen diese Methode nun auf die wilden New-Wave-Tage von ziemlich genau Oktober 1980 bis März 1982. Und sie machen sich nur zunutze, dass ihr Ausgangsmaterial von starken Zweifeln an der Möglichkeit des Authentischen schon attraktiv angekränkelt war. Das gibt ihnen die Chance, so feist bei sich zu sein. Optimal nichtauthentisch im Verhältnis zu ersten authentischen Zweifeln an der Möglichkeit des Authentischen. Da blitzen die Leuchtfeuer doppelter Negationen.
So genial das übrigens ist, angenehm ist es nicht immer und auch nicht immer schön. Und The Rapture sind der Magie des Materials gegenüber nicht immer so resistent wie bei ihrem Smash-Hit „House of Jealous Lovers“. Zuweilen fallen sie auf sich selbst rein und halten sich stabil für eine New-Wave-Combo, komplett mit dünnen, schwarz gekleideten Gefühlen und Wiener Schnitzel à la Weltschmerz. Aber irgendwann kracht dann doch wieder die Gang of Four dazwischen, und ausgerechnet unter ihrer restauthentischen Wucht zerbricht jede verlässliche Gefühls-Semiotik.
DIEDRICH DIEDERICHSEN
The Rapture: „Echoes“ (DFA/Motor)