zwischen den rillen : Dieses One Hit Wonder bleibt
Pop für alle: Das Album „Anniemal“ der norwegischen Sängerin Annie glänzt im rosasilbrigen Licht der Euphorie
Irgendwann Anfang 2000. Durch die Hände der Popbohème kursieren die Produkte des norwegischen Kleinstlabels Tellé. Das trikolorige Tellé-Logo mit der lieblichen Schreibschrift und diesem leichten Retrotouch, wie man ihn vom Trigema-Affen kennt, steht für Qualität. Als Speerspitze der musikalischen Gründe für die Tellé-Verehrung fungiert zu dieser Zeit eine Single, die so abgebrüht cool, so triefend eroto-housig und gleichzeitig mädchenhaft unschuldslämmrig ist, dass noch jeder einen Kaltstart in die Hüftbewegungen hinlegt: „Greatest Hit“ von einer Sängerin namens Annie, ein blitzender Popjuwel, der mit der verstreichenden Zeit und der ins Stocken geratenden Tellé-Nachschubproduktion immer mehr glänzte, weil er die Patina eines One Hit Wonder bekam.
Und jetzt das: Annie lebt, macht wieder Musik, ja hat ein ganzes Soloalbum aufgenommen und tritt einem entgegen als das nächste große Ding. Ihr Debüt „Anniemal“ – das zuerst auf dem Streets-Label 679 Recordings herauskam – nahm schon im letzten Herbst Skandinavien im Sturm, tauchte den großbritannischen Winter in rosasilbriges Popeuphorielicht, machte im Frühsommer rüber über den Großen Teich und schickt sich jetzt an, sekundiert von Warner Music und in Hochglanz titelnden Musikconnaisseurblättern, den Rest Europas zu erobern.
Annie ist mittlerweile 27 Jahre alt und hat ein Gesicht bekommen: ein wirklich hübsches sogar, mit locker geföhnten blonden Haaren drum herum und einer Jeansjacke darunter. Das musikalische Umfeld, in dem sie gehandelt wird, ist deutlich weiblicher und großnamiger geworden: Die neue Kylie Minogue soll sie sein, Britney Spears wird genauso als Referenz herangezogen wie Blondie, Madonna und Bananarama. All das liegt nicht gänzlich daneben, aber eben auch nicht richtig drauf. Wenn Annie live auftritt, mischt sie ihre Performance mit dem Djing, sie hat ihren Ort im Club und nicht auf der Stadionbühne. Annies Musik steht nicht für Diva, sie steht für ein neues Popstarmodell: Das sympathische Post- Spice-Girl-Starlet, das die Weihen des Undergrounds mit bestem Gewissen rauf auf die Mitte der Straße trägt. Mit ein bisschen Herzschmerz entlässt man Annie also aus dem Karton mit dem augapfelig gehüteten Geheimpopschatz – und hinein in die Welt des großen, guten Pop für die Hitparade, die Tanzfläche und alle anderen.
2001 starb Annies Freund und Mitmusiker beim „Greatest Hit“, der House-Produzent Tore Kroknes aka Erot, mit 23 Jahren an einem angeborenen Herzfehler. Der Grund, warum das Stück zunächst ein Solitär blieb. Annie brauchte ein paar Jahre, um sich aus der Depression frei zu strampeln, wieder Songideen zu entwickeln und in ihrer norwegischen Heimatstadt Bergen bei ihrem Club-Abend „Pop Til You Drop“ Timo Kaukolampi von den finnischen Op:l Bastards über den Weg zu laufen – damit der der Produzent von „Anniemal“ werden konnte.
Rühmen muss man dieses Jointventure für die stilistische Ungebundenheit, die das Album trotz massiger Verweise vorlegt. Da gibt es fläzig-süffigen Elektropop à la Saint Etienne und R’n’B von Missy-Elliott’schem Zuschnitt. Da gebärden sich bei der Diskonummer „Come Together“ die Handclaps wie bei Boney M., ein „lovely day“ wird mit einer ernst gemeinten House-Direktheit besungen wie seit Blaze-Tagen nicht mehr, und der „Chewing Gum“ mit bonbonfarbener Eurohouse-Attitüde gekaut. Und das alles hat ausgerechnet diesen einen Rahmen: Annies Stimme, das einzige Moment des Albums, das zur Scheidung der Geister taugen könnte. Denn diese Stimme wirkt alles andere als bruchsicher, sie kommt derart ephemer daher, dass man manchmal denkt: Ohne Halleffekte und den Tina-Charles-Vocoder wäre das Eis ein stimmchendünnes. Im Grunde aber ist diese gehauchte „Sweetie das Küken“-Reminiszenz der genau richtige Gegenpart zu den aufwändig produzierten, oft orchestral schönen Soundbetten von Annies Liedern.
Regelrecht schlucken lässt einen die Popperfektion eines Stücks wie „Heartbeat“, das Annie zusammen mit Svein Berge und Torbjörn Brundtland von Röyksopp geschrieben hat und das mit allem Recht der Welt die erste Singleauskopplung ist. Ein tighter Zwei-Viertel-Rockpopstomper mit ätherischen Backgroundvocals und von den Röyksopps per Hand eingespielten Instrumenten. Majestätisch und doch nicht erdenschwer, leichtfüßig und doch eine dringliche Ode an den intensiven Moment: Wenn Annies Heartbeat so schlägt, dann ist sofort für eine Synchronisierung der Herzfrequenzen zu plädieren.
KIRSTEN RIESSELMANN
Annie: „Anniemal“ (Warner). Im Oktober folgt Annies Beitrag zur „DJ Kicks“-Reihe bei Studio !K7