zwischen den rillen : Ausreißer beim Weitermachen
„Mittelpunkt der Welt“: Element of Crime schreiten das in 20 Jahren Bandgeschichte geschaffene eigene Universum souverän ab
Was als Erstes auffällt: das Runde und Wohlgestalte, das Überlegte, Durchdachte und Ineinandergreifende, das diese Musik ausstrahlt. Soll man die neue CD „Mittelpunkt der Welt“ – mit diesem schönen, Weite und Enge zugleich darstellenden Cover – also harmonisch, gar geglättet nennen? … Nach kurzem Zögern: Ach, das wäre zu viel gesagt. Aber man hat beim Hören beinahe sofort zu registrieren, dass hier vor allem auch der Wille wirkte, nach vier Jahren mal wieder das Markenzeichen Element of Crime aufzurichten.
Sven Regeners Stimme, dieses leicht Scheppernde im Sound, die Trompete, die Ukelele, dann selbstverständlich diese schönen, zupackenden Verse mittendrin („Alle Gläser sind leer / weit ist der Weg zu dir“) und, nicht zu vergessen, die Melancholie – alles ist an seinem Platz, eingebaut in Songs, bei denen man in jedem Moment denkt: Ja, so muss ein typischer Element-of-Crime-Song klingen. So schaut man, während man beim Abhören dieses Albums gepflegt auf seinem Sofa sitzt (wenn ein Fenster mit viel Himmel in der Nähe ist, der ideale Rezeptionsort), seinem eigenen Fuß beim Wippen zu und überlegt sich: Hier ist eine Band, die weiß, was sie kann, und auch weiß, was sie nicht kann. Da steht sie und kann nicht anders, als genau diese Musik zu machen, die sie eben macht. Und während dann draußen die Baumwipfel im Wind schaukeln und drinnen Sven Regeners Trompete zum dritten Mal aus den Boxen kommt, läuft alles auf den Gedanken zu: Vieles hat Element of Crime erreicht und nun also auch dies – dass man diese Band als ein Markenprodukt wahrnimmt.
Das ist nun durchaus eine beeindruckende Erfolgsgeschichte. Sie drückt sich derzeit in vielen Interviews, Werbemaßnahmen und ausverkauften CD-Stapeln aus; von der Aufmerksamkeit her können die Mannen um Sven Regener durchaus mit Franz Ferdinand mithalten (wenn auch in einem anderen Marktsegment).
Womöglich erklärt dieses Moment, dass die neue CD einem wie eine Qualitätsarbeit in eigener Sache anmutet, aber auch die sanfte Enttäuschung, die – bei aller Sympathie – von ihr ausgeht. Die einzelnen Songs für sich genommen erklären sie nämlich nicht. Vom ersten Lied „Delmenhorst“, das bei aller Gefühligkeit, um die es hier geht, so schön zwitschert und rumpelt und den Wallungswert dieses Ortsnamens perfekt ausspielt, über die Ballade „Im Himmel ist kein Platz mehr für uns zwei“ bis zum Song „Mittelpunkt der Welt“, der etwas interessant Verzögertes hat: Beschwingt wird das in 20 Jahren Bandgeschichte geschaffene eigene Universum abgeschritten. Kernsatz: „Alles geht immer irgendwie weiter.“ Wie erwachsen alles daherkommt, zeigt sich nicht nur in dem Vers „Die Frage ist nur, was du reden sollst, wenn der Angeberquatsch nichts mehr bringt“. Übers Angeben ist diese Band auch musikalisch definitiv hinaus. Hier geht es ums Weitermachen.
Souverän ist das alles. Die Sache ist nur: Vielleicht macht Element of Crime es sich doch zu leicht, Element of Crime zu sein? Jedenfalls fällt einem irgendwann einfach auf, dass man am meisten darüber überrascht ist, wie wenig einen hier etwas überrascht, und dass man am meisten darüber irritiert ist, wie wenig einen hier etwas irritiert. Alle Songs wirken so, als seien sie schon immer da gewesen. Kann schon sein, dass Sven Regener einen irgendwann noch dazu bringen wird, das schiere Weitermachen nicht nur als okay und alternativlos (Recht hat er ja), sondern sogar als eigentlich romantisch zu verkaufen – keiner könnte es besser als er. Aber erst einmal hält man noch zu diesen wenigen freigelassenen Klaviertönen, die fast ganz am Schluss des Albums durch das Lied „Mittelpunkt der Erde“ irrlichtern. Sie kommen einem vor wie die einzigen kleinen Ausreißer in einem ansonsten perfekt kontrollierten Sound, wie die einzigen Töne, die der Marke Element of Crime und dem reinen Weitermachen entkommen sind. DIRK KNIPPHALS
Element of Crime: „Mittelpunkt der Welt“ (Universal)