zwischen den rillen : Ein Souvenir vom Gardasee
Ein Genre hat endlich einen Namen: Im Beardo House von Lindstrom & Prins Thomas findet sich Krautrock neben Italo-Disco
Es gibt Augenblicke, da fügt sich eine bestimmte Musik, obwohl es sie schon seit einem Weilchen gibt, auf einmal zu einem Genre: aus keinem anderen Grund, als dass das Kind einen Namen hat. Was hat man sich in den vergangenen drei Jahren nicht verbogen, für einen bestimmten Neo-Disco-Sound die richtige Bezeichnung zu finden. Eine Musik, die sich aus den verschiedensten Epochen von Rock und Disco, Electro und Funk, House und Afrobeat ihre Bestandteile zusammenklaubte. Disco-Punk, nannten es manche, mit den verschiedensten Retro-Kombinationen wurde experimentiert.
Und dann ist der Name auf einmal da, und man kann gar nicht aufhören, ihn vor sich hin zu sagen: Beardo House haben findige Engländer ein Genre getauft, das sich gleichermaßen aus beard und weird zusammensetzt. Ein Bezeichnung, die eben nicht nur deshalb so treffend ist, weil sie ironischer Kommentar auf den neuesten Trend zur europäischen Hipstergesichtsbehaarung ist, sondern eben auch auf die Referenzen anspielt, auf die sich diese Musik besonders stark bezieht: auf die krautrockige Space-Musik, wie sie im Deutschland der Siebzigerjahre gespielt wurde, und auf einen bestimmten Italo-Disco-Sound. Beides ebenfalls Bartträgermusik – wenn die Bärte auch unterschiedlich akkurat geschnitten waren.
Lindstrom und Prins Thomas sind zwei DJs und Produzenten aus dem beschaulichen Oslo, die es in den vergangenen zwölf Monaten mit erstaunlicher Ausdauer geschafft haben, durch eine lange Reihe von großartigen Stücken Beardo House fest auf den Tanzflächen Europas zu verankern. Und auch wenn ihr Album „Lindstrom & Prins Thomas“ nicht zu der vollen Größe von Stücken wie „I Feel Space“ aufläuft, einem der Überhits des vergangenen Sommers, der einen durch die volle Schönheit retrogetränkter balearischer Sonnenaufgangseuphorie zu bezaubern wusste, oder dem winterlichen Gegenstück „Goettsching“, das einen durch die schiere Basswärme über die kalten Tage hilft: Es ist trotzdem eine wunderbare Platte.
Beardo House im engeren Sinne bezieht seine Kraft aus einer Sound- und Stilbibliothek, die sich eben nicht ausschließlich aus jenen Musiken speist, die seit Mitte der Neunziger immer wieder als das Mississippidelta des House herhalten mussten, jener Mix aus Soul, Disco-Funk und Electro wie ihn ein gutes Dutzend Bücher immer wieder in der New Yorker Paradise Garage verorteten, jenem verlorenen Tempel der schwulen schwarzen und hispanischen Discosubkultur und ihrem Hohepriester, dem verstorbenen DJ Larry Levan. Diese Bezüge sind da (und diese Musik hatte in europäischen Diskotheken jener Tage genauso ihren Platz, wie jeder bestätigen kann, der einmal das Glück hatte, einmal den Keller einer griechischen Stranddisko auszuräumen, auch da finden sich alte Larry-Levan-Promo-Maxis). Doch Stücke wie „Boney M Down“ hören sich tatsächlich an wie ein aufgemotztes und heruntergefahrenes Frank-Farian-Instrumental.
Dies ist eine Musik, die sich in ihrer Ästhetik eher an jenem anderen Paradies orientiert, dessen Musik gerade dem Vergessen entrissen wird – auch als Beginn einer europäischen Diskogeschichtsschreibung: die Cosmic Disco am Gardasee der Spätsiebziger und Frühachtziger. Dort wurde Krautrock mit afrobrasilianischen Platten gemischt, Softjazz mit Afrobeat und all das auf Basis europäischer und amerikanischer Discostücke. Nur eben in langsam. Und an dieser Maßgabe orientieren sich auch Lindstrom und Prins Thomas. Da hat kaum ein Stück jene Geschwindigkeit, wie man sie sonst vom House kennt.
Die Cosmic Disco, so erzählen es wenigstens die Alten, hatte eine Einflusssphäre, die von Norditalien über Österreich bis nach München reichte. Und hört man die neue Compilation des in München ansässigen Labels Gomma, so fällt es schwer, in ihrer Musik nicht auch Spurenelemente dieses Sounds zu entdecken, sie ebenfalls dem Beardo House zuzuschlagen.
Gomma ist die Firma von Mathias Modica und Jonas Imbery, die als Munk auch selbst Musik machen und auf „Gomma 3“ auch selbst mit drei Stücken dabei sind. Hier ist es allerdings mehr die Haltung, die sie mit dem Beardo-Genre verbindet, diese Freiheit, New Wave und Psychedlic Rock, Postpunk und House zu kombinieren. Denn so bewusst sich die Gomma-Künstler durch die Referenzhölle bolzen: dies ist bedingungslos zeitgenössische Musik, kein Nachbau künstlicher Paradiese.
Nun ist dieser Eklektizismus am Ende natürlich vor allem Kind der DJ-Kultur und ihrer Fähigkeit, auf Basis von Gefühl und Wissen Verschiedenstes zusammenzuwerfen, um etwas Neues herauszubekommen. Was man wunderbar auf DJ Naughtys „One Night in Berlin“-Mix hören kann. Er führt den Hörer von den Mary Jane Girls und ihrem Frühachtziger-Funk über Booka Shades zeitgenössischen House bis zu altem Chicago Jack wie Bam Bam und Hugh Masekela. Ein ausgehnter Kosmos aus fünfundzwanzig Jahren Clubmusik. TOBIAS RAPP
Lindstrom & Prins Thomas: „Lindstrom & Prins Thomas“ (Eskimo/ Rough Trade)„Gomma 3“ (Gomma/Groove Attack)DJ Naughty: „One Night In Berlin“ (Eskimo/Rough Trade)