zwischen den rillen : Großer Wurf im Sound des Luxus
Pompös, politisch, auch peinlich: Mit Trevor Horn wollen es die Pet Shop Boys auf „Fundamental“ noch einmal so richtig wissen
So düster waren sie noch nie – zumindest von außen betrachtet: Neil Tennant und Chris Lowe posieren auf dem Cover von „Fundamental“, ihrem mittlerweile achten Pet-Shop-Boys-Album, in schwarzen Bestatterhüten und blicken in ein nächtliches, schwarzes, abgründiges Nichts. Als einziger Hoffnungsschimmer: der eigene Pet-Shop-Boys-Schriftzug, in Form einer weißen Neonröhre. Es sieht so aus, als heulten Tennant und Lowe sie an wie zwei melancholisch gewordene Wölfe den Mond.
Zum Heulen neigen die Pet Shop Boys indes nur selten. Viel eher üben sie sich seit je in scharf beobachteten Gesellschafts- und Beziehungsbeschreibungen, die auch in niederschmetternden Momenten noch neugierig Distanz bewahren. Und eben in dieser subtilen Ironie, die im Popgeschäft noch immer ihresgleichen sucht. Das ändert sich auch mit „Fundamental“ nicht.
Was sich ändert, ist, dass es die Pet Shop Boys nach all den Jahren, in denen sie zunehmend seltener Chart-Erfolge feierten, noch mal so richtig wissen wollen: Die stilleren, akustischeren Klänge ihres letzten Albums „Release“ wollten nur echten Fans gefallen, ihre Vertonung von „Panzerkreuzer Potemkin“ wirkte wie ein Ablenkungsmanöver zweier in der Midlifecrisis gefangener Pop-Überdrüssiger. Nun wird noch einmal alles mobilisiert. Es scheint, als hätten sich die beiden zugeflüstert: „Komm, lass uns so tun, als sei es unsere letzte Platte!“
Dass Tennant und Lowe bei der Wahl des Produzenten, statt Experimente zu wagen, auf einen alten Bekannten zurückgriffen, wundert also nicht: Trevor Horn arbeitete schon 1988 mit ihnen zusammen, bei „Left to My Own Devices“, und die aus diesem Hit stammende, immer wieder gern zitierte Zeile „Che Guevara and Debussy to a Disco Beat“ steckt auch heute noch den intellektuellen, an Paradoxien nicht gerade armen Aktionsradius der Pet Shop Boys ab.
Tennant und Lowe engagierten explizit den „echten“ Trevor Horn. Nicht den, der zuletzt die unsäglichen t.A.T.u. für den europäischen Markt fit machte. Auch nicht den, der zwischendurch mal zum Spaß mit der Lieblingsband seiner Tochter, Belle & Sebastian, ins Studio ging. Nein, Tennant und Lowe wollten den alten Horn, den von „The Look of Love“ oder „Welcome to the Pleasuredome“. Einen pompösen 80er-Pop-Luxus-Sound also, der in manchen Ohren hoffnungslos überladen klingt. Tatsächlich versteht es Horn auch heute noch, sämtliche Register zu ziehen: „Fundamental“ klingt eigentlich wie ein hochpoliertes Best-of-Album. Dass die Songs neu sind, fällt manchmal erst nach ein paar Takten auf.
Für gehöriges Bangen in Fankreisen sorgten vorab Verlautbarungen, „Fundamental“ sei ein politisches Werk. Als hätten die Pet Shop Boys bislang nur über Kindergeburtstage und nie über Thatcherism oder Aids gesungen. Tatsächlich durchzieht „Fundamental“ eine tiefe Besorgnis über den Zustand der Post-9/11-traumatisierten Welt. Ein bisschen peinlich wird das allerdings bei der ersten Single, „I’m with Stupid“.
Fünf Jahre nach George Michaels „Shoot the Dog“-Video wagen sich Tennant und Lowe hier noch einmal an die These, Tony Blair und George Bush unterhielten ein libidinöses Verhältnis. Nun ja. Dass dieser für Pet-Shop-Boys-Verhältnisse etwas eindimensional geratene Song als erste Single veröffentlicht wurde, geht auf das Konto der Plattenfirma EMI. Tennant und Lowe hätten es, so lassen sie wissen, vorgezogen, wenn „The Sodom and Gomorrah Show“ die Vorhut gebildet hätte. Man versteht, warum: Das Stück ist ein ganz großer Wurf im Stile von „It’s a Sin“, angefeuert von schwungvollen E-Gitarren-Riffs, Streicher-Kaskaden und satten Bläser-Tuschen.
Auch die Balladen schwächeln nicht: „Luna Park“ behandelt mit spukigem Spinett den täglichen kleinen Appetit nach Horror, „Indefinite Leave to Remain“ ist ein butterweicher Schmachtfetzen, den man ohne Probleme als Plädoyer für die Homoehe verstehen kann.
Der einzige unausbügelbare Makel von „Fundamental“ lauert somit am Schluss, auf Position zwölf: Der Song „Integral“ ist zwar inhaltlich löblich – er kritisiert die Einführung von biometrischen Ausweisen in England –, seine Instrumentierung ist allerdings absolut unerträglich geraten. Als ob sie zwischendurch auf jegliche Zurechnungsfähigkeit gepfiffen hätten, pfeffern Tennant, Lowe und Horn hier noch mal mit billigstem Euro-Dancefloor-Trash um sich – was längst verdrängte „Go West!“-Fehltritte in Erinnerung ruft. Neil Tennant summiert diesen Kampfgesten-Schocker – und damit leider auch „Fundamental“ – mit einem pathetisch gehauchten „Perfect!“. Dies sollte man besser als schlechten Scherz verstehen. JAN KEDVES
Pet Shop Boys: „Fundamental“ (EMI)