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Archiv-Artikel

zwischen den rillen Wir sind die Bösen

So kalt fühlt sich der Wille zur Macht an: „Hell Hath No Fury“ von The Clipse ist ein Meisterwerk des Drogendealer-Rap

Warum sich so viele Rapper in ihrer Künstlerpersönlichkeit als Drogendealer geben, ist einfach zu erklären: oft sind sie einfach welche. Warum das klassenübergreifend ein solche Faszination auszuüben vermag, ist dagegen schwieriger zu verstehen. Weil man auch in der Vorstadt gerne mal eine Line zieht? Oder ist es die romantische Verklärung des Kriminellen als Outlaw, dessen Verbrechen nur eine getarnte Rebellion gegen die verwaltete Welt sind?

Nimmt man The Clipse aus Virginia, das Duo der beiden Brüder Malice und Pusha-T, kann man Letzteres mit ziemlicher Sicherheit ausschließen – „Hell Hath No Fury“ heißt ihr neues Album, und wenn es eine der wichtigsten Hiphop-Platten der vergangenen Jahre ist, dann aus einem genau entgegengesetzten Grund. So wie The Clipse diese Figur interpretieren, ist der Drogendealer der auf seine Essenz heruntergekochte Unternehmer. Der, der seine Existenz dem durch keine moralischen oder gesellschaftlichen Schranken eingegrenzten Gewinninteresse gewidmet hat.

Der Dealer also. Und zwar nicht der, der an der Ecke steht und Briefchen verkauft. The Clipse verkörpern den leitenden Offizier einer solchen Operation. Denjenigen, der seine Runden dreht und bei den Kleindealern das Geld einkassiert („Plenty ice on my neck so I don’t get nauseous / Float around in the greatest of Porsches“). Den, der den reinen Stoff ins Labor bringt, aus einem Kilo drei oder vier machen lässt und das dann weitervertickt. Den, dem man besser sein Geld gibt, weil man sonst mit Klebeband an den Hand- und Fußgelenken und einer Kugel im Kopf in einem Kofferraum endet. Den, der jetzt gerade einmal Mitte zwanzig ist und den man sich wie einen zum Warlord gewordenen Kindersoldaten vorstellen kann – nur eben nicht in Afrika, sondern mitten in einer amerikanischen Stadt. Und der drauf steht. Der diese Macht auskostet.

The Clipse sind alte Freunde des Star-Produzententeams Neptunes aus Virginia Beach, 2002 produzierten sie schon gemeinsam das Debütalbum „Lord Willin’“. Streitigkeiten mit ihrem Label verhinderten es drei Jahre lang, dass der Nachfolger erschien. Nun ist er da. Und „Hell Hath No Fury“ ist noch immer eine erschütternde Platte. Brillant, kalt, böse.

Nun hat die Figur des Dealers eine lange Geschichte im Hiphop, aber selten ist sie mit einer so überzeugenden Kälte präsentiert worden wie bei The Clipse. Auf keinen ihrer hart ergaunerten Dollars müssen sie Steuern zahlen, und die Immoralität, mit der sie das Geld gemacht haben, spiegeln sie in der kalten Freude, mit der sie darüber rappen, wofür sie es aus dem Fenster schmeißen: deutsche Autos, italienische Schuhe. The Clipse sind keine Stilisten, keine Rap-Feingeister. Genau das macht ihre künstlerische Größe aus. Sie erzählen, wie es ist. Eine faszinierende Mischung aus Indifferenz und Stolz klingt da durch.

Manchmal muss man Wörter nachschauen, wie bei „Pyrex stirrers turned into Cavalli furs“ (Pyrex ist die amerikanische Entsprechung zu Jenaer Glas, es geht also um die Glasstäbchen, in denen Crack geraucht wird, und die Pelze des Modemachers Roberto Cavalli, die man sich kaufen kann, wenn man genug pyrex stirrers unters Volk gebracht hat); manchmal nützt auch das nichts, etwa bei Zeilen wie „If you’re looking for a couple of roosters in the duffle, keep the hood screaming Cock-a-doodle-doo, motherfuckers“ (beides aus „Ride Around Shining“). Was immer es heißen mag, es wird nichts Gutes sein.

Bei aller Kälte des Bösen, die einen auf dieser Platte anweht, gibt es doch immer wieder Momente, wo der bedingungslose Wille zur Macht seine noch schwärzere Unterseite zeigt, die Paranoia nämlich, andere könnten ähnlich skrupellos sein. „Nightmares“ ist ein würdiger Wiedergänger von „My Mind’s Playing Tricks On Me“ der Geto Boyz, dem anderen großen Drogendealer-Paranoia-Song des Hiphop: „When you see millions, there are many chameleons / You’re not a gunner, for real, you’re just a runner / Haters I spot you from a far, and I’m the deer hunter / They be thinking nice car, nice crib / I be thinking, how long will these niggas let me live“.

All das funktioniert aber auch deshalb so großartig, weil die Neptunes der Platte ein Sounddesign verpasst haben, das sie so radikal bisher keinem ihrer zahllosen anderen Künstler zumuten konnten. Da gibt es tonnenschwere und langsame Beats, über die dann lustige Akkordeon- oder Harfensamples gelegt werden oder leichtfüßige Rhythmen, die düstere Synthieblubbereien kontrastieren. Mit viel Platz für Malice und Pusha-Ts erstaunlich ähnlich klingende Stimmen, die an keine andere Rapformation erinnern: Hier wird von einem ganz eigenen Ort aus gefunkt.

TOBIAS RAPP

The Clipse: „Hell Hath Not Fury“ (Jive/SonyBMG)