zwischen den rillen : Das Ende der Alternativszene von Manhattan
Heute schließt der Club Tonic. Den neuen Alben von Marnie Stern und Panda Bear hört man die Agonie der Lower Eastside an
„More Songs about Buildings and Food“ betitelten die Talking Heads 1978 ein Album, etwa zur gleichen Zeit nannte die Band Pere Ubu eine ihrer Platten „Dub Housing“. Städtische Industriebrachen und billiger Wohnraum haben die Entstehung von Popmusik nachhaltig begünstigt und beeinflusst – nicht zuletzt in New York. Die Entstehung der bis heute einflussreichen Downtown-Szene im Manhattan der späten Siebziger und frühen Achtziger etwa war ursächlich verknüpft mit dem ruinösen Zustand jener Gegend, den ausgebrannten Häuserblocks und den leer stehenden Ladenlokalen und Lofts jener Zeit.
Das ist lange her. Und wenn am heutigen Freitag der Livemusikclub Tonic seine Pforten schließt, wird die letzte Bastion der Alternativkultur in der Lower Eastside zumachen. Die ehemalige No-go-Area hat sich zur Luxuswohngegend gewandelt, das Tonic hat vor einem Apartmenthaus in der unmittelbaren Nachbarschaft kapitulieren müssen. Bereits im Januar dieses Jahres musste die Subtonic Lounge, eine dem Tonic angegliederte Bar, auf Betreiben der New Yorker Lobbyistengruppe „Quality of Life Force“ den Betrieb einstellen. „In unserem Viertel haben sich immer mehr Glaspaläste ausgebreitet“, schreiben die Tonic-Betreiber ihrer Kundschaft als Abschiedsgruß. „Dort werden andere Profite erwirtschaftet, als wir jemals mit unserem Business hätten verdienen können. Profit war aber nie unsere einzige Motivation, sonst hätten wir lukrativere Konzerte veranstaltet.“ Neun Jahre gab es den Club.
Clubs und Künstler ziehen weiter – nach Queens und Brooklyn –, und die damit einhergehende Dezentralisierung und Vereinzelung kann man der Musik jener Künstler anhören, die sich einem Laden wie dem Tonic verpflichtet fühlten. Der Gitarristin Marnie Stern etwa, die nächste Woche ihr Debütalbum „In Advance of the Broken Arm“ veröffentlicht. Sie dreht den Spieß einfach um. „Sie kommt aus dem Nirgendwo der Upper East Side von Manhattan“, teilt die Plattenfirma mit, als sei Stern vom Himmel in ein kulturelles Ödland gefallen. Ein Kunstwerk von Marcel Duchamp war titelgebend für das Album. Und im Finale „Patterns of a Diamond Ceiling“ singt Marnie Stern „I will paint you a picture that’s inside my head“.
Als Entsprechung zu Duchamps verlängertem Spatenstiel scheint Marnie Stern in ihrer Fantasie den Hals ihrer E-Gitarre präpariert zu haben. Dieser Teil des Instruments spielt auf „In Advance of the Broken Arm“ jedenfalls die Hauptrolle. Stern hat sich auf kratziges Fingertapping spezialisiert und schichtet ihre verzweigten Mathe-Rocksongs mit irre schnellen Griffbrett-Variationen zu beeindruckend querliegenden Gesangsmelodien. Ihre Musik ist immer im roten Bereich, aber straight oder tour de forcig im rockistischen Sinne ist hier gar nichts. Die Unruhe, die Nervosität, die aus den Songs von Marnie Stern dringt, ist in ein Drei-Minuten-Popsong-Format eingebettet und könnte als modernes Äquivalent zu älteren überspannten Downtown-Modellen wie etwa James Chance verstanden werden. Ein amerikanischer Kritiker hat über ihre Gitarrenskalen geschrieben, dass er zu dieser Musik am liebsten durch voll verglaste Downtown-Fensterfronten stürzen würde.
Brill-Building-Sound nennt man die Ära der frühen Sechzigerjahre, in der Songwriter wie Carole King in fensterlosen Büros in der New Yorker Tin-Pan-Alley Teenie-Popsongs im Dutzend schrieben. „Person Pitch“ (Paw Tracks/Cargo), das neue, dritte Soloalbum von Animal-Collective-Mitglied Panda Bear (bürgerlicher Name: Noah Lennox), steht mit einem Fuß im Brill-Building-Sound: Lennox hat Traumwörter und bonbonfarbene Gesangslinien jener Jahre zu Fantasielandschaften ausgemalt. Mit dem anderen Fuß spielt er auf der Looptaste seines Samplers und lässt den Gesang frontal mit One-Note-Hooks, Feedback und dubbigen Beats kollidieren. „Person Pitch“ ist ein Trichter, der sein riesiges Reservoir verengt. Ihr Schillern erhält die Musik gerade durch die Unvereinbarkeit der verschiedenen Pole. Der Rückgriff auf die Patterns eines unschuldigen Popzeitalters ist keine leere Retrogeste, es ist der Kommentar eines Künstlers, der sein Aus-der-Zeit-gefallen-Sein verarbeitet. Wenn alle ihre Bewusstsein erweitern, muss man seins eben verengen: 2005 hat Lennox New York den Rücken gekehrt und ist mit Sack und Pack nach Lissabon gezogen, „einer Stadt, in der ich nie auf die Uhr sehen muss“, wie er in einem Interview erklärte. JULIAN WEBER
Panda Bear: „Person Pitch“ (Paw Tracks/Cargo) Marnie Stern: „In Advance of the Broken Arm“ (Killrockstars/Cargo)