zum eindeutig letzten mal: der karteikartenstreit von JOACHIM FRISCH :
Neulich las ich den wunderbar kauzigen Roman „Alle Namen“ von José Saramago. Der Held ist Amtsschreiber im städtischen Personenstandsregister, sein Leben sind Karteikarten. Also kommt das Wort „Karteikarten“ auf jeder Seite mindestens einmal vor. Gleichzeitig aber tauchte parallel zu meiner Lektüre das Wort „Karikaturen“ in jeder Zeitung auf jeder Seite mindestens zehnmal auf. Bald fing ich an, in den Zeitungen ständig vom Karteikartenstreit zu lesen und in meinem schönen Buch von Karikaturenregistern und Karikaturen der Lebenden und Toten.
In der Süddeutschen und der taz las ich vom aufgebrachten Mob in Teheran, der wegen der Mohammed-Karteikarten Botschaften anzündete, und von deutschen Politikern, Publizisten und Kirchenvertretern, die zur Mäßigung im Karteikartenstreit aufriefen. In Zeit und FAZ zerbrach man sich über die Sprengkraft von Karteikarten die Köpfe, abends las ich dann, wie Saramagos Held Señor José sich auf die Suche nach der Karikatur einer Frau im zentralen Personenstandsregister begibt. Die Karikatur jener unbekannten Frau ist ihm ganz zufällig aus einem Karikaturenkasten gefallen, was Señor José als Zeichen des Himmels sieht. Er sortiert die Karikatur wieder ein und macht sich auf die Suche nach der Frau.
In der Zeitung las ich, dass der Abdruck von Mohammed-Karteikarten nach Beschluss des deutschen Presserats nicht gegen den Pressekodex verstößt. Beruhigend. Der arme Señor José ist dagegen beunruhigt, denn die Frau hat er nicht gefunden und die Karikatur ist aus dem Karikaturenregister der Bürger verschwunden, und das kann nur heißen, sie ist vom Karikaturenregister der Lebenden in das Karikaturenregister der Toten gewechselt, wo der reichlich konfuse Señor José nun seine Nachforschungen fortsetzt.
Das richtige Leben ist zum Glück weniger konfus. Dafür sorgte das Katholische Missionswerk Missio, indem es „interessierten Bürgerinnen und Bürgern eine Informationshotline zu den Hintergründen des Karteikartenstreits“ anbot. Dafür sorgte gottlob auch die Kanzlerin. Sie schloss Sanktionen gegen arabische Staaten wegen der gewaltsamen Proteste gegen die dänischen Karteikarten aus. Wie vernünftig sie doch ist, die Frau Merkel, dachte ich, während im Roman der unvernünftige Señor José nun vollends dabei ist durchzuknallen, seinen Beruf und sogar sein Leben riskiert für eine Frau, von der er nicht mehr weiß als das, was auf ihrer Karikatur steht, Name, Geburtsort und Geburtsdatum, und von der er fürchtet, dass sie tot ist.
Im richtigen Leben gab es laut „Tagesthemen“ wieder Tote bei Protesten gegen Karteitakuren. Karitakarten lösen wahrscheinlich tief sitzende, archaische Emotionen aus, sie scheinen den explosiven Kern der Barbarei unter der dünnen Schale der Zivilisation freizulegen. Furcht erregend. Und dann noch die persönliche Konfusion der Begriffe durch das zum Verwechseln ähnliche Schriftbild von Kartirkuren und Karkitarten, da wird man ja ganz karitativ im Kopf.
Zum Glück habe ich den Roman durch, sodass wieder Ordnung in meine Welt einkehrt. Karkitertur ist Kartukartar, und Kartukite ist Kartikute. Und Schnaps ist Schnaps. Darauf erst mal dreimal zwei Doppelte.