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Archiv-Artikel

wurst und gewalt von WIGLAF DROSTE

Der nächste Verwandte des Menschen ist nicht der Affe, auch nicht der lange als „Missing Link“ gehandelte Bonobo – es ist die Wurst. In Blut und Schmodder kommt der Mensch zur Welt, es ist für alle Beteiligten eine Viecherei. Kein Mensch wird gewaltfrei geboren, das merkt man ihm ein Leben lang an.

Auch jeder Wurst geht ein Gewaltakt voraus. Das macht die Wurst nicht nur dem Menschen ähnlich, sondern auch dem Nationalstaat – einer unheilvollen Erfindung, die der Mensch ausheckte und von der er nicht loskommt, weil er selbst an Gewalt gebunden ist. Zäh hängt der Mensch an seinen barbarischen Wurzeln und kann sich von Zwangs- und Hassvorstellungen wie dem Nationalstaat nicht emanzipieren.

Man muss Länder wie Deutschland oder die Türkei als Wurst begreifen. Es ist alles darin, was man sich vorstellen kann – und alles, was man sich auf gar keinen Fall vorstellen möchte. Um das krude Gemenge wird eine Pelle gespannt und festgezurrt, und fertig ist der Nationalstaat. Wie jeder anderen Konfektionswurst werden auch der Staatswurst Stabilisatoren beigegeben. Um dem üblen Gemenge eine möglichst lange Lebenszeit zu bescheren, schaufelt man Haltbarkeitsmittel hinein, Gifte aller Art, und damit die fiese Mixtur appetitlich aussieht und leuchtet, wird Nitritpökelsalz zugesetzt. Für die Nationalstaatswurst verwendet man das Nitritpöbelsalz Patriotismus. Das macht die eigentlich auswurfgraue, trübe Angelegenheit dann schön bunt, mit Fähnchen und Tralala.

Auch die Religion ist ihrem Wesen nach Wurst. Der Mensch kann seine unegalen, weisheitsfernen Pfoten nicht von ihr lassen und hat sie mit Konservierungsmitteln so geimpft, dass sie Jahrhunderte nach ihrem Ableben noch Verzehrbarkeit simuliert. Das Christentum, der Islam – nichts als Wurst: Blut und Sehnen, Denkfaulheit, Macht- und Unterwerfungsgelüste, Zwanghaftigkeit, Projektionen.

So macht man Religionswurst: Schlamm wird in Därme abgefüllt. Je gründlicher die einzelnen Zutaten zermahlen werden, desto feiner sieht das aus – und kaschiert die Wahrheit. Die aber heißt, gerade bei der Sakralwurst: versteckte Fette und verbotene Substanzen. Jesus, die alte Dauerwurst, rottet nun schon an die zwei Jahrtausende vor sich hin, wird aber immer wieder fit gespritzt von grausamen Doktoren. Die Leiche muss aufs Treppchen gehievt werden, koste es, was es wolle, jede Saison aufs Neue.

Verglichen mit Staats- und Glaubenswürsten ist noch die denaturierteste abgepackte Supermarktwurst harmlos. Manchmal ist sie sogar nützlich und inspirierend. Die Schweizer Künstler Peter Fischli und David Weiss gestalteten aus Scheiben von Mortadella und anderen Würsten manch lustige Auslegewarelandschaft. Das Fischli/Weiss, wo’s langgeht.

Der unreflektierte Mensch schuf sich die Wurst zu seinem Ebenbilde. Unbewusst erschafft er sich als das, was er ist: Wurst. Und betet in diesem Riemen sich selbst an. Der praktizierende Wurstologe betrachtet es mit Staunen, Gleichmut, Abscheu und Ratlosigkeit – einer Mischung, die selbst schon wieder Wurst ist. Denn alles ist Wurst, ihrer allein ist das Reich.