wir lassen lesen : FRIEDRICH BOHNENKAMP über BUSEMANNS Buch
Tiefer Blick ins Innere
Alle männlichen Heteros, die noch nicht unter der Haube sind, es aber sein möchten, sollten es bleiben lassen. In Sachen finalem Balzverhalten können sie nämlich machen, was sie wollen – sie werden einfältig und tölpelhaft dastehen vor der Gattin und Steuerermäßigung in spe, mitsamt ihren floristisch flankierten Anträgen. Denn jetzt hat ein 28-jähriger Student und Exsportler Millionen Männern vorgemacht, wie er aussieht, der ultimative Vorstoß, wie man die Frage aller Fragen fantasievoll stellt. Man schreibt ein Buch und beendet es mit den Worten: „… willst du mich heiraten? Ich will bestimmt. Schnell!“ Nachzulesen auf Seite 272 des Buchs „Aufgeben gilt nicht“. So viel zum Thema männliche Solidarität.
Der Literaturdebütant Busemann geht auch ansonsten völlig schonungslos mit vielen Geschlechts- und Artgenossen um, nämlich mit den Beckers, Effenbergs, Beckenbauern, Seelers, Baumanns und – ach ja – Bohlens dieser Welt: Was die nämlich nicht können, das kann er: schreiben. Und was die nötig haben oder hatten, das hat er eben nicht nötig: einen Ghostwriter. Das merkt man – und das ist gut so. Denn der Zehnkämpfer im Ruhestand schreibt, wie er seinen Sport betrieben hat – nicht durchgängig elegant, aber in (fast) allen Disziplinen unbekümmert, ohne Rücksicht auf etwaige Verluste und mit dem Mut zur ironischen Selbstkritik in der anschließenden Analyse.
Es handelt sich um eine Autobiografie und nicht um einen Roman, wobei das Sportlerleben des jungen B. durchaus märchenhafte Züge hatte: Er ist bislang der einzige deutsche Bank-Azubi, der nach zwei Tagen Leibesübungen von der Nation begeistert-gerührt adoptiert wurde; damals, 1996, als der 21-jährige Schlacks in Atlanta eine Silbermedaille im Mehrkampf ergatterte.
Was vorher und nachher passierte, wie er was wurde und was aus ihm wurde, das schildert er ohne Filter und so, wie man zu Hause bei den Busemanns in Recklinghausen war und ist: geradeaus und mit Humor. Den Ausflug eines im Grunde schüchternen Twens in die „Kir Royal“-Gesellschaft der Erfolgreichen, Schönen und Reichen – besser kann man ihn nicht erfinden und auch nicht beschreiben. Nämliches gilt für die Leidensgeschichte, die Quälerei, die sein Leben über Jahre bestimmte – weil sein Körper nicht für den Sport konzipiert war. Klarer und ohne große Larmoyanz ist das Innenleben eines Hochleistungssportlers wohl kaum erzählt worden. Wer ein Faible für Wortwitz hat, wer an Leichtathletik und an jungen Menschen interessiert ist, wer Ehrlichkeit hoch und hochgeistige Endlossätze gering schätzt, der wird sich wohlfühlen bei der Lektüre. Bis Seite 272.
P.S. Unlängst heiratete Katrin Rohde. Sie heißt jetzt Katrin Busemann. Glückwunsch nachträglich. An beide.
Friedrich Bohnenkamp ist mehrfach preisgekrönter SWR-Filmemacher und hat Frank Busemann über fast zwei Olympiaden filmisch begleitetFrank Busemann: „Aufgeben gilt nicht“. Deutscher Sport Verlag, 272 Seiten, 14,40 €