weinprobe : Süße Analyse & Kleintiere
2006 Riesling Auslese „vom roten Schiefer“, Clemens Busch (Mosel)
Clemens Buschs prachtvolle Riesling-Auslese „vom roten Schiefer“ aus Pünderich war anno 2006 eine der schönsten im ganzen Land. Sie heißt wie der Boden, aus dem sie gewachsen ist, denn das Erdreich ist, neben anderen natürlichen und kulturellen Faktoren, für den Charakter eines großen Weins von immenser Wichtigkeit. (Ein kleiner Wein hat keinen Charakter, was oft am Boden liegt, der sich zuweilen besser für den Anbau von Kartoffeln, Mais oder Rüben eignete.) Schließlich kommt fast alles, was die Beere an Geschmack in sich trägt, aus dem Erdreich, während Winzer und Sonne nur dazu da sind, die größtmöglichen Tiefen auszuloten und schmeckbar zu machen. Dazu trägt nicht zuletzt die Forcierung der Fruchtreife bei, die in diesem Falle überaus intensiv an feinste Rosine erinnert und damit das Wesen der Gattung Auslese perfekt zum Ausdruck bringt. Aber da sind eben auch noch die Würze des roten (weil eisenhaltigen) Schiefers und das faszinierende Süße-Säure-Spiel, das kein Wein der Erde besser draufhat als ein Riesling von der Mosel. Die 9 Volumenprozent Alkohol „schwere“ Auslese tänzelnd ihre beachtlichen 186 Gramm unvergorenen natürlichen Fruchtzucker bewundernswert leichtfüßig über die Zunge, da ein recht strammer Säurewert von 8,8 Gramm die Auslese am Gaumen gleichsam „entsüßt“. Was aber bleibt – und zwar unendlich lang –, ist dies: Mineralität, subtiles, feinnerviges, kitzelndes Spiel, eine beglückend feine Geschmacksintensität. Würden Sie die Auslese verdampfen und danach das wiegen, was an nichtflüchtigen Substanzen übrig bleibt, würde die Auslese 225,1 Gramm wiegen. Ziehen Sie davon den Zucker ab, so bleibt dem Wein noch immer das erstaunliche Gewicht von 38,9 Gramm zuckerfreiem Extrakt. Wer also Süße scheut, darf beruhigt sein: Sie ist Analyse nur, nicht Geschmack. Der Preis ist übrigens keinesfalls überzogen, bedenkt man, dass Weine dieses Kalibers auf den spätsommerlichen Versteigerungen in Trier für das Vier- bis Zwölffache unter den Hammer kommen!
Preis: 26,50 €, über Vinalia, Pestalozzistraße 85, 10625 Berlin, Tel. (0 30) 34 70 90 90.
2005 Spätburgunder Tradition, Weingut Jürgen Leiner (Ilbesheim/Pfalz)
Der junge Jürgen Leiner ist eines der größten und weitsichtigsten Winzertalente der deutschen Weinszene. Der biologisch-dynamische Anbau ist für ihn keine Mode (für viele Kollegen dürfte es das sein), sondern ein Ja zum Leben – dazu zählen auch Ameisen und andere Bodenklein- und -kleinsttiere, die sich die von Leiner aufgelockerten und strategisch begrünten Böden zurückerobern, wie sie auch seine Weinetiketten zieren – und zwingende Voraussetzung für die Erzeugung ausdrucksvoller Weinoriginale. Denn nur solche bereichern das Leben, während andere lediglich betrunken, aber nicht trunken vor Glückseligkeit machen. Leiners stattliche Kollektion Südpfälzer Weine von allerlei Sorten ist von bemerkenswerter Klasse – nicht nur Spiegel des jeweiligen Sortencharakters, sondern auch des Jahrgangs. Die Lagenweine repräsentieren darüber hinaus ihre jeweilige geografische Herkunftszelle auf sinnliche, um nicht zu sagen: saftige und feinmineralische Art und Weise. Leiners Spätburgunder „Tradition“ – über 20 Monate im 500-Liter-Eichenfass ausgebaut – ist einer der schönsten Burgunder seiner Art. Man kann geradezu süchtig nach diesem Wein werden, der die frischen, kühlen Nächte des nahe gelegenen Pfälzer Waldes ebenso in sich trägt wie die Sonne, die in dem Gebiet Zitronen und Feigen reifen lässt. Sein feinwürziger Duft ist überaus subtil und erinnert an frische rote Waldbeeren (Himbeeren, Erdbeeren) und – Wald. Der Gaumen fühlt kühle Seide mit feiner, verspielter Säure und ebenjenen Früchten, die die Nase frohlocken ließ. Ein köstlicher, animierender Wein voll Finesse und Eleganz, der jetzt, zweieinhalb Jahre nach der Lese, seine Höchstform erreicht. Bitte bei etwa 16 Grad solo oder zu Fleisch oder Käse genießen und pro Person und Abend eine Flasche kalkulieren. Garantiert keine Kopfschmerzen, sondern die Lust auf Fortsetzung am nächsten Tag!
Preis: 11,50 € über Viniculture, Grolmanstraße 44–45, 10623 Berlin-Charlottenburg, Tel. (0 30) 8 83 81 74. STEPHAN REINHARDT