piwik no script img

Archiv-Artikel

vorlauf Tanzende Botschafter

„Dans, Grosny Dans“ (Sonntag, 22.00 Uhr, 3Sat)

Wie in einem Märchen tanzen die Kinder über eine Wiese. Die Mädchen in weißen Kleidern, die Jungs im Kosakenkostüm. Die Sonne scheint auf eine heile Welt. Doch die Kinder leben in einer Ruinenstadt. Ohne Strom, ohne fließend Wasser. Über der Stadt kreisen Hubschrauber, aus denen geschossen wird. Auf dem Weg zur Schule geraten die Kinder nicht selten in eine Razzia, bei denen die größeren Jungen öfter mal verschwinden.

Der Dokumentarfilm zeigt, dass es den Jugendlichen in Grosny geht wie dem ganzen Volk der Tschetschenen: Immer noch schlecht. Der Krieg mit Russland hat ihr Land komplett zerstört. Während die Eltern ihr letztes Hab und Gut für ein bisschen Brot verkaufen, können die Kinder nichts anderes tun, als in den Resten der zerstörten Hauptstadt rumzulungern. „Um sie davor zu bewahren, haben wir anfangs beschlossen, jeden aufzunehmen“, erklärt Ramzan Akhmadow. Seine Tanzgruppe trainiert zwischen den Ruinen. Ohne Schutz vor Kälte oder Regen. Und ohne Musik.

Die geplante Auslandstournee ist für alle ein Riesending. Nicht nur, weil das bedeutet, zwei Monate dem Elend den Rücken zu kehren. Die Kleinen tragen die große Verantwortung, Tschetschenien zu präsentieren. „In den Augen mancher Leute sind wir Terroristen. Wir müssen beweisen, dass wir ganz normale Menschen sind“, verlangt der Trainer von der Gruppe. Ein absurder Gedanke.

Im Tourbus und auf den Bühnen sind die Kinder ganz normale Kinder. Sie lachen und scherzen. Die Kamera bleibt immer dicht an ihnen dran. Sie ist auch dabei, wenn sie sich über ihre Alpträume und getöteten Familienangehörigen unterhalten. Ganz beiläufig macht der auf vielen Dokumentarfilmfestivals ausgezeichnete Film so die tiefe Traumatisierung dieser Generation klar. Das Tanzen hilft, ihre Kultur und ihren Lebenswillen zu erhalten. Wie kleine Derwische fegen sie über die Bühne – eine tänzerische Hochleistung.

Europa gefällt den jungen Tschetschenen. Wie wild knipsen sie die Sehenswürdigkeiten der Städte – denn was sie sehen, sind in erster Linie unzerstörte Häuser. Als sie nach Grosny zurückkehren, erzählen sie ihren Eltern: „Wir haben das Paradies gesehen“. SILVIA HELBIG