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Archiv-Artikel

vor ort ALEXANDER FLORIÉ über wachsenden Bürgerprotest gegen das neue Kraftwerk in Walsum

Die Mitglieder der Duisburger Initiative gegen Umweltgifte Nord warten bei eisiger Kälte auf Einlass in die Stadtkirche Orsoy. „Es ist ja noch ein bisschen Zeit“, meint BI-Sprecher Wilfried Mohr. 50 Bürger haben sich versammelt. Der Grund: Die STEAG will für rund 800 Millionen Euro auf dem Gelände des Bergwerks Walsum ein neues Steinkohlekraftwerk errichten. Die Stadt Rheinberg kritisierte das Projekt Anfang Dezember im Erörterungsverfahren. Dinslaken, Duisburg und das Landesumweltamt schlossen sich an.

„Das Werk ist Unsinn“, findet Mohr. „Es geht um die Bewahrung der Schöpfung.“ Außerdem, sagt Michael Lefknecht, Umweltmediziner aus Duisburg, wird das Kraftwerk „nur aus betriebswirtschaftlichen Interessen der STEAG gebaut“. Die RAG wolle mit glänzenden Töchtern an die Börse, da erschließe sich ein neuer Markt: „Das Kraftwerk liefert nach Österreich und Baden-Württemberg.“ Hier vor Ort habe also niemand was von dem Werk – außer dem Dreck.

Zudem widerspreche das neue Werk dem Grundgedanken der Umweltkonferenz von Montreal, bis 2050 den Ausstoß von CO2 zu halbieren, erklärt Lefknecht. Vier Millionen Tonnen CO2 pro Jahr produziere die Dreckschleuder, dazu 300 Tonnen Feinstaub. Und die neue EU-Feinstaubrichtlinie sei schließlich nicht erfunden worden, weil wild gewordene Umweltschützer das wollten, sondern weil Feinstäube Atem- und Herzkreislaufkrankheiten verursachen. „Selbst das Landesumweltamt sagt, dass die Werte hier nicht eingehalten werden“, so Lefknecht.

Auch ästhetisch ist das STEAG-Werk vielen Menschen ein Gräuel. Die Optik des Kühlturms berühre das Lebenswertgefühl der Menschen, meint die Rheinberger Grüne Gisela Theile. „Das ist für einen denkmalgeschützten Bereich eine Schande.“ Ähnlich denkt auch Josef Devers, Orsoyer CDU-Stadtratsabgeordneter und Mitglied im Kreistag Wesel. „Die STEAG hätte vor drei Monaten hierher kommen müssen, um uns zu informieren. Hier ist Bürgerwille angesagt.“ Devers will eine Privatklage einreichen. „Wir sind aus dem Pott hierhin ins Grüne gezogen, und jetzt soll der Pott hierhin kommen – das ist nicht, was wir wollen“, meint Barbara Reichel, die seit zwei Jahren mit ihrem Mann in Orsoy wohnt.

Ein Nebenzimmer in der Dinslakener Stadthalle: Der Alt-Walsumer Marcel Opgehn-Rhein engagiert sich seit Gründung der BI vor drei Monaten gegen das Kraftwerk. Jetzt wirbt er bei den Dinslakener Grünen um Unterstützung: „Der Antrag war nicht ausreichend, Zahlen wurden vertuscht. Duisburg und die STEAG waren sich einig – obwohl Oberbürgermeister Sauerland uns mitgeteilt hat, dass die 45 Arbeitsplätze, die neu entstehen sollen, nicht ausreichen.“

Am selben Abend im Walsumer Brauhaus: Wilfried Mohr schwört seine 60 Mitstreiter nochmal auf die Demo zur Sondersitzung des Duisburger Umweltausschusses ein: „Wer nicht kämpft, hat schon verloren“. Alle wissen, nur über einen effektiven Widerstand lässt sich das Werk noch stoppen. „Wir können vor dem Verwaltungsgericht nicht klagen, weil wir keine Kohle haben“, räumen Mohr und Lefknecht ein. Die gesetzliche Frist für das gemeindliche Einvernehmen hat Duisburg verstreichen lassen, jetzt muss es über Basisarbeit gehen. Rund 7.500 Flyer sollen in den nächsten Tagen verteilt werden. Mithelfen wird auch Stefan Baumscheid. Der 37-jährige wohnt seit seiner Geburt in Alt-Walsum, jetzt 600 Meter vom neu geplanten Kraftwerksstandort entfernt, mit Freundin und Kind: „Das ist meine Heimat, für die will ich kämpfen.“