usa/israel : Scharon nutzt die Gunst der Stunde
Die Liquidierung des Hamas-Gründers Scheich Ahmed Jassin hat die Bush-Regierung kalt erwischt. Auf die Nachricht vom Mord reagierte Washington ratlos und überrumpelt. Furcht macht sich im Weißen Haus breit, das Attentat könnte Präsident George W. Bushs ohnehin wacklige Pläne zur Demokratisierung des Nahen Ostens unterminieren.
KOMMENTAR VON MICHAEL STRECK
Mit dem Attentat rächt sich bitter die strategische Entscheidung der Bush-Regierung, im laufenden Wahljahr das heiße Eisen Nahost lieber nicht anzufassen. Dahinter steht die Angst, sich wie Vorgänger Bill Clinton die Finger zu verbrennen. Bush will Clintons Fehler – zumindest hält er dessen Engagement für einen – nicht wiederholen und seine Präsidentschaft nicht in den Strudel des Palästina-Konflikts hineinziehen lassen. Denn dort macht man sich nur die Finger schmutzig – kein Platz für Ruhm und Ehre.
Überdies glaubte Bush, das Pferd von hinten aufzäumen zu können. Statt alle Energien auf die Lösung des Urproblems – einen Frieden zwischen Israelis und den Palästinensern – zu konzentrieren, glaubte er mit dem Regimewechsel in Bagdad eine Demokratisierungswelle im gesamten Mittleren und Nahen Osten auszulösen. Der Krisenherd Palästina werde dann schon zwangsläufig erlöschen, so sein naives Kalkül.
Doch Stabilisierung und Wiederaufbau von Irak und Afghanistan binden alle militärischen, politischen und diplomatischen Kräfte. Dabei gerät selbst die symbolträchtige Jagd auf Al-Qaida-Chef Ussama Bin Laden oftmals ins Hintertreffen. Überdies verbietet der heimische Wahlkampf weitere riskante Initiativen, um der Opposition kein weiteres Futter zu liefern, die ununterbrochen über die gescheiterte Antiterrorpolitik klagt.
Bushs Defensivposition, zu Hause mit dem Rücken zur Wand, im Irak zum Erfolg verdammt, nutzt Israels Premier Ariel Scharon seit Monaten schamlos aus. Er weiß, dass er vom Weißen Haus nicht in die Schranken gewiesen wird. Zwar reagierte die US-Regierung nach dem israelischen Anschlag doch schärfer. Aber Scharon muss nicht befürchten, dass Bush mehr als Absichtserklärungen über ein stärkeres Engagement im Nahostkonflikt verkünden wird. Schon gar nicht droht die Streichung von Militärhilfen, mit der Bush senior gelegentlich die Israelis gefügig machte. Deswegen gilt bis auf weiteres: Die US-Außenpolitik wird von Israel gestaltet.