uli hannemann, liebling der Massen : Müßiggang, Schlittenhang, böser Mann
So. Die Klimakatastrophe ist also da. Der ganze Rasen, die ganzen Bäume, alles ist weg, verschwunden unter kaltem, weißem Schnee.
Wenn ich mich schön warm anziehe, kann ich immerhin rausgehen und mir das Phänomen von nahem ansehen. Dieses Leuchten, Schimmern und Gleißen hat schon was Ästhetisches, das lässt sich nicht verleugnen. So bieten ja auch Wirbelstürme, Buschfeuer oder Flächenbombardements trotz oder vielleicht sogar gerade wegen ihrer zerstörerischen Kraft dem Auge oft einen eigentümlichen Reiz. Im Park sehe ich den Kindern beim Rodeln zu. Schön, dass ich mir das als Freiberufler leisten kann. Die Kinder kreischen vor Vergnügen. Ich schirme meine Sonnenbrille vor den allzu grellen Strahlen ab und beobachte amüsiert die Rutschversuche auf Hosenböden, Plastiktüten, Schlitten.
Ein bisschen komme ich mir jetzt wie ein böser Onkel vor. Nicht von ungefähr, denn die einzigen Männer, die um zwölf Uhr mittags am Schlittenhang herumstehen, sind böse Onkels und Freiberufler. Wer sonst könnte hier um diese Uhrzeit stundenlang herumlungern? Arbeitslose gewiss nicht. Bei den Wartezeiten auf den Ämtern heutzutage wären die ja noch froh um eine 40-Stunden-Woche.
Ein bisschen ähneln wir uns ja ohnehin, der Freiberufler und der böse Onkel. Wir lauern beide auf Gelegenheiten. Dazu weiß niemand so recht, was genau wir eigentlich treiben. Denn was heißt das schon: Freiberufler? Das Wort muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen. Nichts heißt es nämlich. Frei ist Alles ist Nichts.
Wie machen denn das überhaupt die bösen Onkels? Wir teilen den Lebensraum, die Tageszeiten und vermutlich auch die Künstlersozialkasse. Wir haben so viel gemeinsam. Wir könnten voneinander lernen. Am besten, ich frage einfach einen, wo wir schon mal so schiedlich friedlich nebeneinander stehen. „Entschuldigen Sie“, wende ich mich an einen Herrn im Daunenanorak, der aus einem dick verschneiten Busch heraus gebannt dem Spiel der Kinder folgt, „sind Sie böser Onkel?“ „Was fällt Ihnen ein?“, schnappt es empört unter seiner Pudelmütze, „ich bin Freiberufler!“ Stoßweise menetekelt sein heißer Atem ein Zwischending aus Hakenkreuz und Diddelmaus in die kalte Luft.
„Ach du meine Güte – Entschuldigung!“, beschwichtige ich den Aufgebrachten. Was ist denn mit dem los? Der scheint in der Tat zu denken, als Freiberufler sei er was Besseres. So einer könnte wirklich „Angeber“ unter Beruf eintragen. Na, egal – wenn er das erst mal so lange macht wie ich, hat er die Bodenhaftung wieder. Der angebliche Freiberufler rafft seine Rockschöße und eilt schimpfend durch den tiefen Schnee davon. Ein paar Frührentner können so eben noch beiseite springen. ULI HANNEMANN